ARD und ZDF: Internet:Weit entfernt vom Vorbild

ARD und ZDF haben sich ihre Online-Angebote von Bürokratie-Monstern genehmigen lassen. Vieles ist schief. Wie es wirklich geht, zeigt die BBC.

Ralph Pfister

Es sollte, nach langen Jahren, endlich Schluss sein mit den Streitigkeiten zwischen Verlegerverbänden und dem öffentlich-rechtlichem Rundfunk. Was ARD und ZDF im Internet dürfen, dafür war die letztgültige Klärung eingeplant. Und es gab eine Art Zauberwort mit einem Begriff, der zum bürokratischen Prozedere in dieser Frage genau passt: "Drei-Stufen-Test".

Pressekonferenz zur Hauptversammlung der ARD-Intendanten

Der ARD-Vorsitzende Peter Boudgoust wehrt sich gegen die Kritik an den Drei-Stufen-Tests.

(Foto: ddp)

Doch kaum sind die Online-Angebote von ZDF (Ende Juni) und ARD (diese Woche) nach einem langwierigen Testverfahren genehmigt, geht die Debatte erst richtig los. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) nennt die Sache eine Farce, der Zeitschriftenverlegerverband (VDZ) poltert über den "Freibrief für grenzenlose Online-Expansion".

In einzelnen Medien wird schon eine Art Notstand ausgerufen. So geißelt die Frankfurter Allgemeine Zeitung die ARD-ZDF-Onlinepläne als "Herrschaft des Staatsjournalismus" sowie als "totalen Machtanspruch" der Öffentlich-Rechtlichen. Es klingelt die ganz große Münze: Dem Ausbau im Netz, besonders bei Text-Angeboten, seien kaum Grenzen gesetzt - und im Wachstumsfeld Digital würden die gebührenfinanzierten Öffentlich-Rechtlichen zum direkten Konkurrenten der privatwirtschaftlichen Medien.

Die ARD sieht das Ganze dagegen als "Möchtegern-Skandal" und ist über die Anwürfe verbittert: Der amtierende Vorsitzende Peter Boudgoust, ein besonnener Verwaltungsfachmann in der Intendanz des SWR, verleiht seiner "Sprachlosigkeit" über die harsche Kritik der FAZ und deren "geschichtsvergessene Vergleiche" in einem offenen Brief an den Herausgeber Ausdruck.

Das Verfahren der Drei-Stufen-Tests, in denen die Telemedienkonzepte der Öffentlich-Rechtlichen geprüft werden, war durch die EU-Kommission nötig geworden. Der Entscheidung der Brüsseler Spitzenbeamten war wiederum eine Beschwerde des Privatrundfunkverbands VPRT vorausgegangen.

Die Idee: Drei-Stufen-Tests sollten, mit dem Public-Value-Test der britischen BBC als grobem Vorbild, klären, was die Öffentlich-Rechtlichen im Internet dürfen und was nicht. Erste Stufe: Ein neues Internet-Projekt von ARD und ZDF muss analog zum Programmauftrag den "demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft" entsprechen. Zweite Stufe: Es muss einen qualitativen Beitrag zum publizistischen Wettbewerb liefern. Und, dritte Stufe: Der dafür nötige Aufwand ist zu prüfen.

Nun wehklagen beide Seiten. Die öffentlich-rechtlichen Manager müssen große Teile ihres Angebots im Netz löschen. Aktuelle Filme und Nachrichten dürfen beispielsweise höchstens eine Woche in die Mediathek eingestellt werden - eine Praxis, die ausgerechnet die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung als "Irrsinn" kritisierte. Internet gehöre zum Rundfunk, hielt der einstige Bundesverfassungsrichter Hans-Jürgen Papier in einer Studie für die ARD fest.

Im Wunderland der Rundfunkräte

Ganz allgemein aber sehen die Verlegerverbände eine uferlose Expansion von ARD und ZDF im Netz. Beide Sendersysteme zusammen kassieren acht Milliarden Euro jährlich von den Bundesbürgern an Rundfunkgebühren. Es gebe keine Wettbewerbsgerechtigkeit.

Die Probleme beginnen schon damit, dass die deutsche Test-Systematik sehr wenig zu tun hat mit dem britischen Vorbild, das die Öffentlich-Rechtlichen einst bemühten.

Bei der öffentlichen, grundsätzlich werbefreien BBC in London beispielsweise wachen zwölf wirkliche Experten im BBC Trust über den Public-Value-Test. Dieses Gremium beaufsichtigt alle Unterabteilungen der BBC, es entscheiden also stets die Gleichen. Hier sitzen Leute, die etwas von Wirtschaft und Medien verstehen. Dazu gehört die einstige Wirtschaftsredakteurin des Independent, ein Investmentbanker, ein Journalismusprofessor, ein Wirtschaftswissenschaftler, die einstige Chefin der Independent Television Commission oder ein langjähriger Medienmanager.

Am Verfahren beteiligt ist zudem die Ofcom als zuständige Aufsichts- und Wettbewerbsbehörde. Sie ist auch für die Privatsender zuständig und überprüft die Auswirkungen auf Markt und Wettbewerb.

In Deutschland hingegen, dem Wunderland der Rundfunkräte, steht der publizistische Wettbewerb im Vordergrund. Gutachten zur Marktauswirkung spielen eine wesentlich geringere Rolle. Und gegen das Ansinnen, externe Stellen entscheiden zu lassen, führt beispielsweise die ARD ihre gesetzlich festgelegte Staatsferne ins Feld.

Und es gibt ja in der ARD mit ihren elf Landesrundfunkanstalten so viele Gremien, so viele Rundfunkräte und Verwaltungsräte, die von der Sache freilich nicht allzu viel verstehen müssen. Es handelt sich um die Emissäre gesamtgesellschaftlich relevanter Gruppen. Und so geben sich hier Interessenvertreter ein Stelldichein. Sie kommen von Landfrauen-Verbänden, der Kirche, Sportverbänden oder Parteien, und ersitzen sich in vielen Stunden so etwas wie Ahnung.

Kompetenz, am Ende von unabhängigen Stellen, spielt keine Rolle. Hier immunisiert sich ein System selbst - und das ist in Wirklichkeit das größte Problem.

Verantwortlich für die Drei-Stufen-Tests sind die jeweiligen Rundfunkräte der einzelnen Sender. Das heißt nicht nur, dass die Aufseher jeweils über die ihnen unterstehenden Angebote urteilen statt eine - wie vom VPRT geforderte - unabhängige Stelle. Nein, es bedeutet auch, dass im föderalen ARD-Verbund jeweils andere Rundfunkräte ein Machtwörtchen sprechen.

Der Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks entscheidet über DasErste.de, der des SWR über ARD.de oder der des Hessischen Rundfunks über Boerse.ARD.de. Jeder darf einmal für alle richten und gewichten. So fallen Entscheidungen über äußerlich ähnliche Angebote höchst unterschiedlich aus - beispielsweise, was die Verweildauer von Sendungen im Netz angeht.

Die Verlage beschäftigt insbesondere die Frage, welches Angebot von ARD und ZDF denn "presseähnlich" sei und damit eine Konkurrenz zu Verlagsangeboten darstellt. So etwas dürfte nicht publiziert werden. Das Papier-Gutachten des Ex-Verfassungsrichters kommt zum Schluss: Presseähnlich seien nur Produkte, die eins zu eins das Printprodukt abbilden. Das wiederum bedeutet: Sie lesen gerade keinen presseähnlichen Text, sondern - dieser formalen Logik folgend - eine Art Rundfunkbeitrag. Für den Bereich Rundfunk wiederum haben die Öffentlich-Rechtlichen einen Programmauftrag.

Damit tut sich ein weiteres Problem auf: Es gibt keine eigens ausgearbeiteten Regelungen für das Medium Online. Die Website zu einer Tageszeitung macht eben, wenn sie gut ist, weitaus mehr, als einfach Print-Inhalte eins zu eins abzubilden. Im Internet geht es um Wort, Text und Bild, und das eine vom anderen zu trennen macht so viel Sinn, als würde man Zeitungen die Bunt-Fotografie verbieten.

Regelungen des Printwesens oder des Rundfunks lassen sich eben auf das Meta-Medium Internet nicht einfach so übertragen. Und ohne eine triftige Gesamtreform des zu komplizierten, nach dem Parkinsonschen Gesetz gewucherten ARD-ZDF-Systems sind ohnehin keine Fortschritte zu erzielen.

In der Sache jedoch müsste es um eine Stärkung des Qualitätsjournalismus und der publizistischen Aufklärung gehen - um Leitwerte, die für ARD und ZDF sowie die ambitionierten unter den Printprodukten gelten.

Und so kooperieren ja auch, bei allem Geschrei der Interessenvertreter, einige Redaktionen der großen Holtzbrinck-Mediengruppe (Zeit, Südkurier) ganz selbstverständlich mit öffentlich-rechtlichen Anstalten. Und der Zeitschriften-Großverlag Bauer kündigte erst jüngst freudig eine Kooperation mit dem ARD-Onlineangebot Tagesschau in 100 Sekunden für das eigene Blatt TV Movie an.

Das Leben ist nun mal der beste Lehrmeister.

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