ARD setzt "Gottschalk live" ab:Wenn die Wundertüte leer ist

Es hat nicht gereicht: Die Sendung "Gottschalk live" bestand im Wesentlichen aus harmlosen Gesprächen und Klatschthemen aus der Boulevardpresse - da halfen auch die hübschen Sprüche nicht. Jetzt ziehen die Intendanten die Reißleine und setzen die Sendung ab. Dennoch kann sich die ARD in Zukunft offenbar eine Abendshow mit Gottschalk vorstellen.

Christopher Keil

Am 23. Januar strahlte die ARD zum ersten Mal "Gottschalk Live" aus. "Gottschalk Live" war: Thomas Gottschalk live auf Sendung zwischen 19.20 Uhr und der "Tagesschau". Anfang Juni wird "Gottschalk live" eingestellt. Das haben die Intendanten an diesem Mittwoch beschlossen. Erstaunlich daran ist nur, dass sie sich so lange Zeit gelassen haben.

Was aber war "Gottschalk Live"? Eine Show, die niemand sehen wollte? Ein Experiment, das nie hätte beauftragt werden dürfen? Gute Laune jedenfalls wollte "Gottschalk Live" sein, ein bisschen Blabla vor den ernsten Nachrichten um 20 Uhr, Entspannung für sie und ihn, ein paar Gäste, Gags und Werbeblöcke. "Der liebe Gott hat mich mit einer gewissen Heiterkeit ausgestattet", sagte Gottschalk, "ich will die helleren Seiten der Wirklichkeit durchdeklinieren."

Das klang beinahe programmatisch, wenn auch nicht mehr dahintersteckte als das Prinzip, nach dem Gottschalk 30 Jahre lang erfolgreich Unterhaltung machte beim ZDF. Es ist das Prinzip: Die Show bin ich selbst. In den folgenden Wochen vermeldeten Mediendienste täglich den Quotenstand von "Gottschalk Live", was für sich genommen eine sehr traurige Geschichte wurde, weil die Quote von 14,5 auf 3,4 Prozent fiel und sich heute, drei Monate nach Sendestart, bei fünf Prozent stabilisiert hat. Das ist nicht gut.

Bereits am 29.Februar stellte Thomas Gottschalk nüchtern fest, "die Wundertüte hat nicht funktioniert". Die Wundertüte war gefüllt mit belanglosen Klatschgeschichten aus der Boulevardpresse, harmlosen Gesprächen, blonden Spiegeleien und manchmal komischen Sprüchen.

Ein Cleaner musste her

Die ARD engagierte Markus Peichl, was man ja machen kann, denn Peichl war nicht nur einer der Erfinder des 80er-Jahre-Zeitgeistmagazins Tempo, sondern später auch Redaktionsleiter der Talkshow "Beckmann". Peichl versteht viel von Kunst, er versteht, wie Medien funktionieren, er ist ein schlauer Mann, ein Cleaner, wenn man so will, ein Strukturierer. Er sagte, dass "Gottschalk live" bis zur Sommerpause im Juni ein Konzept habe und dass die Quote im Herbst steigen werde. Was man als Cleaner so sagt, wenn ein Malheur weggeputzt werden muss.

Peichl holte Publikum ins Studio, wechselte die Kulisse aus, "Gottschalk Live" wurde aufgezeichnet und sieht jetzt aus wie eine der Talkshows, die spät abends in der ARD eine Leiste bilden. Auch Peichl wurde deshalb für sich genommen eine traurige Geschichte.

An diesem Mittwoch, gegen 14 Uhr, schalteten sich die Intendanten der ARD zusammen. Die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft, Monika Piel vom Westdeutschen Rundfunk (WDR), hatte um das fernmündliche Beisammensein gebeten. Montags war im Spiegel ein "ARD-Papier" zitiert worden. Die Unterlage dokumentiert die angeblich negativen Auswirkungen von "Gottschalk Live". Dem Ersten fehlten 600.000 Zuschauer, seit es die Sendung gebe. Die gezielte Herabsetzung der Show traf Gottschalk und wohl auch Piel, und beide suchten das vertrauliche Gespräch.

Solo ohne Applaus

Seit zwei Monaten stemmt sich Piel gegen alle Kräfte in der ARD, die "Gottschalk Live" kritisierten und mehr noch, die umgehende, wenigstens baldige Absetzung verlangen. Piel vor allem hatte das Geschäft mit Gottschalk, seinen Wechsel vom ZDF ins Erste betrieben und abgewickelt. Es war ihr Solo, die Kollegen applaudierten nicht, doch sie widersetzten sich auch nicht.

´Gottschalk Live": Ende am 7. Juni

Thomas Gottschalk nimmt die Entscheidung der Absetzung seiner Show "Gottschalk live" mit Fassung zur Kenntnis: "Über das Schicksal eines Fernsehmoderators entscheidet das Publikum und ich muss zur Kenntnis nehmen, dass es mir nicht gelungen ist, an diesem Programmplatz genügend Zuschauer zu begeistern. Trotzdem hat mir diese Erfahrung großen Spaß gemacht und ich danke der ARD, dass sie mir die Chance dazu gegeben hat."

(Foto: dpa)

Zu Piel, 61, baute Gottschalk, 61, Vertrauen auf, er ließ sich auch zunächst nicht davon irritieren, dass eine stille Mehrheit der Intendanten nach dem schließlich missglückten Relaunch seiner Sendung von Mitte März an die Absetzung wünschte. Gottschalk sprach sich weiter Fröhlichkeit zu, probierte dies, probierte das, ließ sich vieles ein- und manches ausreden - nicht immer zu seinem Vorteil.

Auf die Frage, wie lange er es aushalten könne, unterhalb der kritischen Marktanteilsgrenze von zehn Prozent wahrgenommen zu werden, hatte Gottschalk einmal gemeint: "Das hängt von der Geduld meines Arbeitgebers ab." In der bewussten Indiskretion der Spiegel-Meldung erkannte Gottschalk, dass es an der Zeit ist, sich aus der Todeszone abzusetzen. Mit Todeszone wird der Vorabend der ARD bezeichnet, weil dort Programmdirektoren vieles anstellen, das Allerwenigste ist dabei von Dauer.

In der Schaltkonferenz an diesem Mittwoch kämpfte Piel darum, "Gottschalk Live" noch die Wochen bis zur Sommerpause Anfang Juni zu gewähren. Offenbar plädierte ARD-Programmdirektor Volker Herres, 54, für einen sofortigen Abbruch. Nach langer Debatte einigten sich die Intendanten darauf, "Gottschalk live" erst nach dem 7. Juni einzustellen.

Wie Thomas Gottschalk, der Meister des Mainstream, künftig eingesetzt wird, ist noch nicht ausgemacht. Monika Piel erklärte: "Ich finde es schade, dass 'Gottschalk Live' beim Publikum nicht den Zuspruch gefunden hat, den wir diesem Format alle gewünscht haben. Thomas Gottschalk ist mit uns das Wagnis für ein neues Sendekonzept eingegangen. Wir werden nun in aller Ruhe gemeinsam über eine Zusammenarbeit in anderer Form nachdenken."

Nach SZ-Informationen kann sich die WDR-Chefin vorstellen, Gottschalk über das Jahr hinaus zu beschäftigen. Angedacht ist offenbar, eine Abendshow für ihn zu entwickeln.

Ob alles anders gekommen wäre, hätte sich "Gottschalk Live" mit etwas mehr Struktur und professioneller Disziplin, mit genauerem Ziel, auch mit einer besser ausgestatteten Redaktion von Anfang an zu einem hübschen Standard des Vorabends entwickelt? Ob sich die Produzentin, Ute Biernat von der Grundy Light Entertainment, Vorwürfe macht, Thomas Gottschalk zu viele Freiheiten eingeräumt zu haben? Ob sich Gottschalk ärgert, dass es wieder nichts wurde mit dem Versuch, auszubrechen aus dem Wetten, dass..?-Muster?

Vielleicht, vielleicht auch nicht. "Über das Schicksal eines Fernsehmoderators entscheidet das Publikum", erklärte Gottschalk. "Ich muss zur Kenntnis nehmen, dass es mir nicht gelungen ist, an diesem Programmplatz genügend Zuschauer zu begeistern. Trotzdem hat mir diese Erfahrung großen Spaß gemacht."

So spricht ein freier Mann, einer, der weiß, wie man Verträge erfüllt und einer, der schon vor seinem Dienstantritt für die ARD ausgesorgt hatte. Sorgen muss sich um Thomas Gottschalk niemand. Er wird noch ein bisschen weiter Fernsehen machen, schon allein, um seinen Werbewert zu behalten, der ihm ja ordentliche Gagen ermöglicht. Und im Sommer 2013 wird kaum noch jemand daran denken, dass es am Vorabend der ARD einmal eine nicht sehr gelungene Late Light Show gegeben hat.

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