Süddeutsche Zeitung

ARD-Serie "Frau Temme sucht das Glück":Sicherheit für deutsche Menschen

Die neue ARD-Serie "Frau Temme sucht das Glück" erzählt von der Angst vor dem Risiko - eine schlaue Diagnose der deutschen Gegenwart.

TV-Kritik von Luise Checchin

In der Hipness-Hierarchie der Büroutensilien liegt der Tacker nicht gerade auf den vorderen Plätzen. Es fiele zum Beispiel schwer, ihn sich auf dem Schreibtisch eines Berliner Start-ups vorzustellen. Wenn also Carla Temme, die Protagonistin der neuen ARD-Serie Frau Temme sucht das Glück, in der ersten Szene ihrem Kollegen dabei hilft, seinen Tacker zu laden, ist das schon einmal ein ganz brauchbarer Hinweis darauf, in was für einer Welt man hier gelandet ist.

Die Welt der "Rheinischen Versicherung", in der Carla Temme als Risikoanalystin arbeitet, verkörpert in jedem Detail die Miefigkeit der alten Bundesrepublik: von der Holzvertäfelung der Wände über die in Rentnerbeige gehaltenen Lamellengardinen bis zur Sekretärin, die sich weigert, von Filterkaffee auf Cappuccino umzusteigen.

"Menschen brauchen Sicherheit. Vor allem deutsche Menschen"

In einer Sache hat die "Rheinische" die Zeichen der Zeit aber erkannt: Der moderne Mensch ist vereinzelt und verängstigt, er sehnt sich nach Sicherheit. Die finanziell angeschlagene Firma will deshalb eine "No-Limit-Versicherung" einführen, die verspricht, absolut alles zu versichern, von Körperteilen bis zur Treue des Ehepartners. Für Carla Temme ist das Abzockerei, grundsätzlich ist sie aber von ihrer Arbeit überzeugt. "Menschen brauchen Sicherheit", findet sie, "vor allem deutsche Menschen".

Allein schon dieser Gegenwartsdiagnose wegen ist Frau Temme sucht das Glück sehenswert. Die Serie macht sich über die Risikovermeidungsgesellschaft lustig, nimmt die Verunsicherung, die ihr zugrunde liegt, aber ernst.

Das funktioniert auch deshalb so gut, weil Meike Droste (Foto) ihre Figur sehr klug anlegt. Carla Temme hat eine Vorliebe für Zahlen, sie hält das Leben für kalkulierbar. Ein Schicksalsschlag hat dazu geführt, dass sie ihr eigenes so risikolos wie möglich gestaltet. Trotzdem spielt Droste sie weder als autistischen Nerd noch als Mauerblümchen, ganz im Gegenteil. Carla Temme hat eine trockene, aber menschenfreundliche Art, sagt immer, was sie denkt, und ist äußerst durchsetzungsfähig.

Auch die glänzend besetzten Nebenfiguren dürfen Tiefe zeigen. Da ist etwa der joviale, spielsüchtige Chef (Martin Brambach), der arrogante, sexuell verunsicherte Karrierist (Sebastian Schwarz) oder der treuherzige Kollege mit der kriminellen Vergangenheit (Ronald Kukulies).

Einzig der Erzählstruktur fehlt es an Komplexität. Die amourösen Verstrickungen, die Carla erlebt, als sie den abenteuerlustigen Schweden Mikael (Richard Ulfsäter, Foto) kennenlernt, sind sehr vorhersehbar. Genauso die Plotwendungen der Versicherungsfälle, die den Rahmen der einzelnen Folgen vorgeben. Auch die pseudophilosophischen Off-Kommentare über das Glück, die Carla Temme in Form von Tagebucheinträgen abliefert, hätte es nicht gebraucht. Man wünschte sich das Ganze etwas beiläufiger, offener, mit noch mehr Mut zur Absurdität. Aber vielleicht ist es widersinnig einer Serie, die von der Angst vor dem Risiko erzählt, abzuverlangen, auf eben das zu setzen.

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SZ vom 24.01.2017/doer
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