Süddeutsche Zeitung

ARD-Projekt "Rommel":"Hitler verhaften: ja! Attentat: nein!"

Die Aufregung um das ARD-Projekt "Rommel", das kommendes Jahr in Überlänge ins Fernsehen kommt, ist schon jetzt groß. War Erwin Rommel eine tragische Figur, die zu spät erkannte, dass sie dem Verbrecher Adolf Hitler diente, wie es der Film suggeriert? Oder war der "Wüstenfuchs" ein Widerstandskämpfer, wie Experten im Umfeld der Hinterbliebenen meinen?

Katharina Riehl

Am 29. August 2008 verschickte die Produktionsfirma Teamworx eine Pressemitteilung: "SWR und Teamworx planen Fernsehfilm über Erwin Rommel". Die große und aufwändige Verfilmung, hieß es, suche nach Antworten auf die Widersprüche in der Laufbahn des schwäbischen Offiziers, "der sich gegen den Diktator wandte und dafür mit seinem Leben zahlte - und sich doch nie ganz von seiner Faszination für Hitler lösen konnte".

Benannt wurden auch die Beteiligten des ARD-Projekts, die Produzenten Gabriela Sperl und Nico Hofmann und der "anerkannte Rommel-Biograf" Maurice Philip Remy. Für Hofmanns historisches Ereignisfernsehen (Dresden, Die Flucht) sollte Remy, der auch das Buch zum ARD-Film Mogadischu und viele Dokumentationen schrieb, am Drehbuch arbeiten.

Das TV-Drama über Rommel ist inzwischen abgedreht, es wird vermutlich Mitte des kommenden Jahres in Überlänge zu sehen sein. Ein ganz anderes Rommel-Drama ist schon jetzt zu beobachten. Wie meistens, wenn historische Stoffe ins Kino oder Fernsehen gebracht werden, ringen die Produzenten mit Wissenschaftlern, möglicherweise Angehörigen und Zeitzeugen um die Deutungshoheit. Wer als Produzent Geschichte fiktionalisiert, weiß das. Themen-Setzer wie Teamworx-Chef Hofman rechnen die Debatte als Marketingkraft in ihre Überlegungen ein.

Doch die Aufregung um Rommel, so soll der Film heißen, ist selbst für Hofmannsche Projekte ungewöhnlich und wurde so nicht erwartet oder gewünscht. Zum Wüstenfuchs sind viele Biographien, sogar Hollywood-Filme und unterschiedlichste Annäherungen vorgelegt worden. So gestritten wie diesmal wurde selten.

Im Mittelpunkt der Kontroverse steht das Drehbuch, das nun nicht von Rommel-Experte Remy stammt. Es wurde von Niki Stein verfasst, der auch die Regie führte. Stein hat mit Teamworx vorher das Scientology-Drama Bis nichts mehr bleibt (8,69 Millionen Zuschauer sahen den Film 2010 in der ARD) geschrieben und inszeniert. Er ist kein Unbekannter.

Vergangenen Dienstag saß der Regisseur in einem Münchner Hotel und legte Stück für Stück sein Bild von Erwin Rommel auf den Tisch. Es ist das Bild, das Stein und Produzent Hofmann - in Abstimmung mit den Historikern Peter Steinbach von der Universität Mannheim und Sönke Neitzel von der Uni in Glasgow sowie Rolf Dieter Müller und Winfried Heinemann vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt aus Potsdam - über den 1944 von Hitler zum Selbstmord gezwungenen Generalfeldmarschall im Film zeichnen wollen. Für Stein ist Rommel ein Mann, der fasziniert war von Hitler und als Offizier Karriere machte, der spät an Hitler zu zweifeln begann und für seine Zweifel mit dem Leben bezahlte. Es sei deshalb die Geschichte der Katharsis eines Mannes, der zu spät erkennt, dass er einem Verbrecher gedient hat, sagt Stein.

Im September, kurz vor Drehbeginn, rete sich erster Widerstand gegen Steins Rommel-Version. Die Familie Rommel - Lieselotte, die Ehefrau des früheren Stuttgarter Bürgermeisters und inzwischen schwer erkrankten Rommel-Sohns Manfred, und beider Tochter Catherine - schickte Briefe an den Intendanten des Südwestrundfunks (SWR), Peter Boudgoust. Darin hieß es, Erwin Rommel werde zu negativ bewertet, als "Günstling, Emporkömmling, Naziverbrecher".

Die Historikerin Cornelia Hecht, die offenbar im Auftrag der Familie das Rommel-Drehbuch begutachtete, brachte sich dann im Magazin Focus in Stellung. Sie wirft Stein vor, dass er sich in seiner Version auf die 1978 erschienene Rommel-Biographie David Irvings beziehe. Sein Buch gilt, zumindest teilweise, als gut recherchiert, doch der Autor hat sich in späteren Jahren als Revisionist und verurteilter Holocaust-Leugner unmöglich gemacht.

In Bild am Sonntag formulierte Catherine Rommel ihre Angriffe: Stein habe "braune Soße" verarbeitet. Produzent Nico Hofmann reagierte mit juristischen Schritten - gegen Cornelia Hecht. Zahlreiche Historiker kritisieren laut Focus plötzlich den Umgang mit den geschichtswissenschaftlichen Beratern des Films, die "nur für den Abspann" gebraucht würden. Familie gegen Produzent und Regisseur, Historiker gegen Historiker - geht es bei "Rommel" um Eitelkeiten unter Historikern und persönliche Kränkungen?

Maurice Philip Remys Drehbuch wurde nie umgesetzt, stattdessen gab Nico Hofmann den Entwurf Niki Stein zu lesen, und der legte einen neuen vor. Der SWR erklärt jetzt, für den damaligen Vorschlag habe es bei der Finanzierung keine ausreichende Förderung gegeben. Der Filmförderfonds Bayern bestätigt das, nennt aber keine Gründe. Hofmann erklärt seine Entscheidung so: "Maurice Philip Remy hat einen historischen Bilderbogen geschrieben und eine klare Haltung in der Widerstandsfrage eingenommen. Das sah ich als extrem angreifbar an." Begutachtet wurde der schließlich verworfene Film über Rommel von der Historikerin Cornelia Hecht, die mit Teamworx einen Beratervertrag hatte.

Die ebenfalls am Remy-Projekt beteiligte Produzentin Gabriela Sperl sagte Anfang 2011: "Maurice Philip Remy und ich haben für Teamworx ein (Rommel-)Buch entwickelt. Inzwischen gibt es eins von Niki Stein. Nico Hofmann und ich werden uns einigen." Konkret erklärte sie: In der Diskussion um diese Figur gehe es darum, wie sich Rommel in der Phase des 20. Juli zum Widerstand verhalten habe. Da könne man, so wie sie und Remy, eine positivere Bewertung Rommels abgeben.

Remy sieht Rommel aktiver im Widerstand, Stein nicht. Wissen muss man aber auch, dass schon das in der Förderung gescheiterte Projekt nicht allein Remys Entwurf war - Teamworx hatte einen Autoren das Buch bearbeiten lassen. Remy erklärt auf Anfrage, er habe die Zusammenarbeit mit Teamworx im Mai 2010 selbst beendet, "weil offenbar wurde, dass Herr Stein nicht bereit ist, sich mit dem Thema vorurteilsfrei auseinanderzusetzen".

Es geht am Ende wohl um die Frage einer endgültigen Wahrheit über Rommel. Doch die gibt es nicht. Hofmann hat für das Projekt anerkannte Wissenschaftler engagiert, und natürlich gibt es zu jeder anerkannten wissenschaftlichen Meinung auch die oft ebenso anerkannte Gegenposition. Regisseur Stein erklärt: "Ich hatte das Gefühl, Maurice Philip Remy will eine historische Sensation, eine Umdeutung. Er wollte etwas enthüllen. (. . .) Die Sicht Rommels, die bei uns im Film immer wieder eine Rolle spielt, ist die: Hitler verhaften: ja! Attentat: nein!"

Wer sich mit Niki Stein über Rommel unterhält, erlebt einen Mann, der sich im Detail mit Rommel auseinandergesetzt hat. Auf alles, was ihm vorgeworfen wird, antwortet er lange und differenziert. So glaubt er etwa nicht, dass die Eberbach-Papiere (benannt nach dem Oberbefehlshaber der Panzergruppe West, mit dem Rommel angeblich über den Staatsstreich sprach) beweisen, dass Rommel aktiv das Attentat auf Hitler mitplante. Und anders als die Familie Rommel wertet er die Befehlsverweigerung des Generals in der zweiten Schlacht bei El Alamein 1942 nicht als Wendepunkt in Rommels Leben.

Könnte die Familie Rommel in Remys Film eine Chance gesehen haben, eine späte Uminterpretation des Vaters, Schwiegervaters und Großvaters in einem Fernsehfilm zu verewigen? Niki Stein sagt: "Die medialen Äußerungen der Familie Rommel und von Frau Hecht sind meiner Meinung nach ein verzweifelter Versuch, noch einmal das Ruder herumzureißen, aber tatsächlich finde ich die Art und Weise, wie die Familie Rommel und ihre historischen Berater ihre Neuinterpretation erzwingen wollen, nicht mehr statthaft."

Cornelia Hecht sagte dem Focus, David Irving habe in seiner Rommel-Biographie versucht, den von ihm verehrten Feldmarschall vom Makel des Widerstands reinzuwaschen. Irving - und damit auch Stein, so muss man das wohl verstehen - unterschlage die Rolle Rommels im Widerstand aufgrund einer verblendeten Quelle.

Selbstverständlich habe er Irving gelesen, sagt Stein, und auch Szenen aus seiner Darstellung entwickelt - das seien aber alles Momente, die auch in anderen Schriften über Rommel vorkommen. Dem SWR und Teamworx hat Stein das alles zugänglich gemacht und das Drehbuch mit Fußnoten versehen. Die Ironie ist, dass er es Cornelia Hecht damit leicht machte nachzuweisen, an welchen Stellen er aus Irvings Buch zitiert hat.

Im August 1978 veröffentlichte Der Spiegel einen Beitrag Manfred Rommels, Anlass war das erschienene Irving-Buch. Rommel kritisierte es zum Teil und schrieb, sein Vater habe den Krieg im Sommer 1944 beenden wollen. Er erklärte, er sei vor dessen Tod Tag für Tag mit ihm zusammen gewesen und wisse, dass der sich "gewiss nicht als Mitglied der Berliner Widerstandsbewegung" betrachtet habe. "Von dem Anschlag Stauffenbergs auf Hitler hat mein Vater vorher nichts gewusst." Auch dies, schrieb er 1978, sei alles nicht neu.

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Quelle:
SZ vom 12.11.2011
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