Süddeutsche Zeitung

ARD: "Lügen vom Dienst":Eine Bombenstory und ein wahrer Scoop

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Die Geschichte des Täuschers Curveball: Die ARD zeigt eine Dokumentation über den Mann, der Iraks Biowaffen mit erfand.

Hans Leyendecker

Bagdad 2003. Feuer lodert, Bomben fallen auf die irakische Hauptstadt. Der Diktator Saddam Hussein taucht kurz auf und verschwindet wieder. Angeblich hatte er trotz UN-Sanktionen weiter an Massenvernichtungswaffen gebaut. Dann: George W. Bush. Der Irak habe seine "Fabriken zur Herstellung von Biowaffen vergrößert und verbessert", sagt der damalige amerikanische Präsident in die Kameras. "Die Quelle ist ein irakischer Chemieingenieur", hatte sein damaliger Außenminister Colin Powell bei seinem berühmten Auftritt am 5. Februar 2003 vor den Vereinten Nationen der Welt erklärt, als er die vorgebliche Notwendigkeit des Irakkrieges mit Schwindelgeschichten begründete.

Nach genau 73 Sekunden rückt in dem ARD-Film Die Lügen vom Dienst - Der BND und der Irakkrieg groß der Mann ins Bild, der mit der Rechtfertigung des Krieges eine Menge zu tun hatte. Er heißt mit Vornamen Rafed, aber alle Welt kennt ihn unter dem Namen "Curveball". Der Begriff stammt aus der Baseball-Sprache und ist die Bezeichnung für einen mit Drall geworfenen Ball, der Gegner täuschen soll.

Curveball alias Rafed, 43, steht in Karlsruhe vor einem Zigarettenautomaten, schaut missmutig zwei Reporter an und ruft schließlich die Polizei. Die Kamera zeigt die Hand eines Polizisten ganz dicht vor dem Objektiv. Die Dreharbeiten werden gestoppt. Die Beamten löschen sogar das zuvor gedrehte Material. Dann kommt die Schwarzblende.

Trommelwirbel wäre auch nicht schlecht gewesen, denn die halbstündige Dokumentation des NDR-Reporters Stefan Buchen und seines dänischen Kollegen Poul-Erik Heilbuth, die an diesem Donnerstagabend im Ersten läuft und in wichtigen Sequenzen zuvor bei Panorama gezeigt wird, ist ein Scoop. Endlich ist der Mann mit dem schwarzen Haarschopf, der den Amerikanern wichtige Vorwände für den Krieg lieferte, kein Phantom mehr. Er bekommt Gesicht und Gestalt und ist ganz schön stämmig.

Die Lügen vom Dienst ist das Ergebnis einer jahrelangen Recherche von Reportern des TV-Magazins Panorama, die 2007 begann und jetzt den ersten Film hervorbrachte. Erzählt wird, wie Curveball im Winter 1999 im bayerischen Aufnahmelager Zirndorf an den Bundesnachrichtendienst (BND) geriet und zum Top-Informanten aufstieg. Angeblich hatte er im Irak in einer Fabrik gearbeitet, die angeblich eine Tarnfirma von Saddams angeblichen geheimen Waffenprogrammen war und angeblich die schlimmsten biologischen Waffen der Welt herstellte. Angeblich habe es bei einem Unfall zwölf Tote gegeben, hatte er behauptet. Das Biowaffenprogramm sei mobil, die Giftküchen für die Werkstoffe seien auf Lkw-Aufliegern montiert gewesen, hatte er dem BND zu Protokoll gegeben. Und die Papiere mit den Aussagen des Informanten landeten bei der Bush-Administration, die Gründe für den Krieg suchte.

"Wir wissen, dass der Irak seit den späten neunziger Jahren mehrere biologische Waffenlabors besitzt. Diese eignen sich zur Herstellung von Kampfstoffen und können von Ort zu Ort bewegt werden", sagte Bush vor dem Krieg. Alles Schwindel. Die Waffen gab es nicht und auch nicht die behauptete Kooperation Saddams mit al-Qaida.

Die Geschichte des Täuschers Curveball, den das Weiße Haus einst zur besten Sendezeit im Fernsehen präsentieren wollte, ist oft geschrieben worden. In den USA ist ein Buch über ihn erschienen und eine offizielle Untersuchung gelangte später zu dem Schluss, die Lügen über die rollenden Biowaffenlabore seien die schlimmsten unter den vielen falschen Behauptungen vor dem Krieg gewesen.

Aus Sicht vieler Amerikaner haben die Deutschen mit der Rechtfertigung des Krieges also eine Menge zu tun. Obwohl die Regierung des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, SPD, gegen den Krieg war, habe sie, so der Vorwurf, mit Hilfe Curveballs Material zum Anfachen der Kriegshysterie geliefert. Die Deutschen verweisen darauf, sie hätten Curveball lange vor dem Krieg nicht mehr geglaubt, und das den Amerikanern klar gesagt.

In der Dokumentation werden beide Darstellungen erläutert: Erst tritt der ehemalige CIA-Mann David Kay auf, der nach dem Krieg im Irak vergeblich die Massenvernichtungswaffen suchte, von denen Curveball gesprochen hatte: "Erstaunlich, dass die Deutschen jetzt plötzlich behaupten: Der Kerl taugt nichts. Wenn man einen Informanten wirklich für einen Lügner hält, dann verbrennt man ihn, das heißt, man schaltet ihn ab." Der frühere deutsche UN-Botschafter Gunter Pleuger weist darauf hin, er habe die Amerikaner vor dem unzuverlässigen Curveball gewarnt: Nach Auffassung der zuständigen deutschen Stellen seien die Aussagen Curveballs "falsch" gewesen, "und das haben wir unseren amerikanischen Freunden auch gesagt", sagt Pleuger. Diese Warnung erfolgte ihm zufolge aber nicht öffentlich. Fest steht: Curveballs Fall hat zeitweise die deutsch-amerikanischen Beziehungen belastet und war eine Blamage für viele Geheimdienste.

Ein Verdienst der Fernsehreporter bei dieser Spurensuche ist es, die wüste Materie trotz aller Darstellungsprobleme anschaulich hergerichtet zu haben. Flüchtlinge, Nachbarn, ein Vermieter, ein Rechtsanwalt und der Deutschland-Korrespondent des arabischen Senders al-Dschasira sprechen über den Schwindler, der immer wieder ins Bild gebracht wird. Vor einer Sparkassenfiliale ist Curveball zu sehen, vor seiner Wohnung macht er rum, und weil er sich früher sogar mit seinem Trenchcoat wichtig machte, läuft eine Figur in einem Trenchcoat durch die Stadt.

Die Geschichte, bei der die Zuschauer also vermutlich nicht vor Langeweile einnicken werden, hat auch Nachrichtenwert. Den Recherchen der Reporter zufolge hat der Minus-Informant auch nach Aufdeckung der Lügengeschichten bis Ende 2008 vom BND 3000 Euro netto im Monat erhalten. Das ist neu. Das Geld soll von einer Münchner Tarnfirma des BND gezahlt worden sein. Nach der Kündigung des Vertrages habe, wie Panorama melden wird, Curveball gegen die Kündigung geklagt und vor dem Arbeitsgericht München eine Nachzahlung von knapp 2000 Euro erstritten. Auch soll ihm der BND im Jahr 2008 noch zu einem deutschen Pass verholfen haben. Zwei Mitarbeiter des Dienstes hätten bei der Karlsruher Einbürgerungsstelle vorgesprochen und dem vorgeblichen Erfinder der Kriegslüge bei der Erledigung von Papierkram geholfen.

Für die einen ist das alles ein Skandal, für die anderen eine Selbstverständlichkeit. "Eine Quelle, der Schutz garantiert wurde, bleibt eine Quelle, auch wenn sie dreckig war", sagt ein deutscher Nachrichtendienstler. Die Autoren sehen das offenkundig anders. "Wenn der BND Unterstützung leistet für Herrn Curveball, dann halte ich das für überhaupt nicht mehr vertretbar", sagt im Film der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele. Wieso dieser seltsame Informant auch noch die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten habe, müsse parlamentarisch geklärt werden.

Der Film endet milieugemäß. Vor dem Abspann ist zwar kein Schlapphut zu sehen, aber ein leerer Stuhl. Eine Lampe leuchtet ins Nichts. Curveball hatte den Reportern ein Interview zugesagt und daraus ist, weil er Geld wollte, auch nichts geworden.

Die Lügen vom Dienst - Der BND und der Irakkrieg, ARD, Donnerstag, 22.45 Uhr; Ausschnitte der Doku zeigt das Politmagazin Panorama am Donnerstag bereits um 21.45 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 01.12.2010
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