ARD-Krimi:Nicht schon wieder Big Data!

Tatort: Wendehammer; HR Tatort Wendehammer

Eine Wand voller Computerbildschirme: Kommissar Brix (l.) und der Verdächtige Engels in dessen privatem Fort Knox.

(Foto: HR/Degeto/Bettina Müller)

Auch im Frankfurter "Tatort" geht es um Digitalisierung. Dabei wäre der Fall doch so schön skurril. Die Nachlese.

Kolumne von Carolin Gasteiger

Die Erkenntnis:

Sie glauben, Ihre Nachbarn sind schlimm? Warten Sie ab, bis Sie die Anwohner in diesem Tatort sehen - sie bespitzeln sich ununterbrochen, beschimpfen und treten die Haustiere des anderen tot. Angesichts dessen können Sie sich vermutlich glücklich schätzen. Und wenn nicht: Kommen Sie bloß nicht auf die Idee, einen Elektrozaun zu installieren!

Eigentlich geht es in "Wendehammer" um:

Big Data. Nils Engels hat sein Haus im titelgebenden Wendehammer völlig durchdigitalisiert - vom Kühlschrank bis zur Mülltonne. Tannen mag er ebenso wenig wie Haustiere, und er schreckt nicht davor zurück, beides möglichst effektiv zu beseitigen. Kein Wunder, dass die Nachbarschaft nicht gut auf diesen Außenseiter und sein persönliches Fort Knox zu sprechen ist. Als Nachbar Abendroth auf einmal verschwunden ist, fällt der Verdacht natürlich auf Engels.

Bezeichnender Dialog:

Paul Brix' Mitbewohnerin Fanny feiert Geburtstag. Der Kommissar und seine Kollegin Janneke sind schon ein wenig beschwipst und gönnen sich in der Küche eine kleine Pause. Da fängt Brix an, zu philosophieren:

Brix: Singularity. Wir werden alle gesteuert, der Internet-Gott hat uns alle in der Hand. Autos fahren selber, die Wohnzimmer fahren selber. Internet weiß, wer wir wirklich sind.

Janneke (lacht): Dann weiß es ja wenigstens einer.

Top:

An Skurrilität und Situationskomik mangelt es diesem Tatort nicht. In einer Szene macht Kommissarin Janneke auf Uma Thurman und tanzt wie in "Pulp Fiction", in einer anderen läuft eine bellende Frau durchs Bild, dann fliegt ein menschliches Auge durch die Pathologie. Das könnte alles wunderbar funktionieren, wenn ...

Flop I:

... all die Anspielungen und Filmzitate Sinn ergeben würden, wie im Wiesbadener Fall "Wer bin ich?" mit Ulrich Tukur. In "Wendehammer" hingegen wirkt es, als hätten die Macher wahllos ins Berühmte-Filmszenen-Archiv gegriffen und einmal kräftig durchgerührt. Man fragt sich bloß: Warum? Zumal da ja noch dieses andere Thema wäre ...

Flop II:

Immer wieder Big Data! "Wendehammer" ist nach "HAL" aus Stuttgart und dem Bremer Fall "Echolot" bereits der dritte Fall in dieser Saison, der sich mit Digitalisierung beschäftigt. Nichts gegen das Thema an sich. Aber nicht, wenn es jedes Mal in platte Klischees verfällt und auf Analoge-Kommissare-entdecken-dieses-Internet-Weise Angst vor jedweder technischen Neuerung verbreitet. Als würden Tatort-Gucker hinterm Mond leben! Selbst die Details der Umsetzung ähneln sich: Wie schon in Stuttgart erscheinen die Lebensläufe der Ermittler in Sekundenschnelle auf dem Bildschirm und der Obernerd zertrümmert, weil es ihm über den Kopf wächst, sein selbst geschaffenes Werk.

Beste Szene:

Hitchcock lässt grüßen: Brix will eigentlich nur eine Aktenschachtel aufräumen. Aber als er die Tür im Präsidium öffnet, flattern Tauben herein. Viele Tauben! Anders als Tippi Hedren in "Die Vögel" trägt Brix jedoch eine Ich-bin-verkatert-Sonnenbrille und zeigt Bauch. Die Szene ist zwar unnötig, aber hübsch anzusehen.

Beste Auftritte:

Von der schrulligen Krimiautorin über den alternden Halodri bis hin zur affektierten Operndiva und ihrem Mopspärchen Vitali und Wladimir sind auch die Nebenfiguren in "Wendehammer" herrlich gestört und überzeichnet. Jede einzelne hätte einen eigenen Tatort verdient.

Schlusspointe:

Der Mann mit dem Falkner-Handschuh pfeift - und auf seiner Hand landet die weiße Eule, die Nils Engels zu Beginn des Falles bereits auf der Laterne entdeckt hatte. Nun sperrt der Fremde das Tier in einen Käfig im Kofferraum seines Vans, dann zoomt die Kamera aus der Szene heraus und zeigt die Nachbarschaft von oben, wie bei Google Maps. Und das Wort Vogelperspektive gewinnt plötzlich eine ganz andere Bedeutung.

Die besten Zuschauerkommentare:

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