Süddeutsche Zeitung

Spendengala "Wir halten zusammen":Nach der Flut kommt der Grönemeyer

Beim großen Benefizabend der ARD zugunsten der Flutopfer könnte einem schwindlig werden zwischen Trümmern, Tränen und tragischem Klavier. Zum Glück beweist Herbert Grönemeyer feine Manieren.

Von Marlene Knobloch

Bevor die junge Frau aus Dernau erzählt, wie sehr alles im Arsch ist, fliegen rote Herzen. Die Schlammworte treffen auf ein mit viel Gefühl gepolstertes Studio. Roland Kaiser steht mit kariertem Einstecktuch vor der in Liebes- und Friedenssymbolen erstrahlenden LED-Wand und singt: "Liebe kann uns retten, befreit uns von allen Ketten."

Seit 7 Uhr morgens sendeten alle ARD-Radiowellen die Spendenhotline, erinnerten an die Flutkatastrophe in Westdeutschland, an das Geld, das die Menschen jetzt brauchen. Den Höhepunkt bildete die Show am Abend unter dem Motto "Wir halten zusammen" aus Köln, Leipzig und Hamburg mit teilweise lange verschollenen Künstlern und Künstlerinnen: Jeanette Biedermann, Yvonne Catterfeld, Sarah Connor, Peter Maffay, Roland Kaiser, Die Prinzen, Max Mutzke und, ja, mit seinem ersten Auftritt in diesem Jahr: Herbert Grönemeyer.

Es könnte einiges schieflaufen anso einem Abend, an dem verletzte, traumatisierte Menschen von ihrem noch sehr frischen Leid erzählen. Wo Flutopfer wie die Frau aus Dernau von ihren weggeschwemmten Häusern berichten, in dem stark gebaute Männer vor der Kamera in Tränen ausbrechen und gar nichts mehr kapieren, außer dass sie gerade zufällig im Schlamm ihren Ehering wiedergefunden haben. Denn der Abend soll natürlich nicht nur das Leid zelebrieren, sondern hat ein Ziel: Geld. Moderatorin Janina Ullman formuliert das zu Beginn der Sendung recht trocken: "Öffnen Sie Ihr Herz. Und vor allen Dingen: Öffnen Sie Ihre Portemonnaies." Und es liegt auch an Künstlern wie Sarah Connor und Herbert Grönemeyer, dass beim Hin- und Herschalten zwischen Helferinnen, Trümmermenschen, Eckart von Hirschhausen und Peter Maffay kaum Gefühlsschwindel eintritt.

Geöffnete Portemonnaies

Und es liegt an Sänger Alexander Klaws, ein Mann, dem man als enkellose Gräfin ohne Zögern das Schloss am Starnberger See vererben würde. Der Traumschwiegersohn sitzt zusammen mit andern Prominenten in der Telefonzentrale in Hamburg, strahlend bereit, die geöffneten Portemonnaies der Anrufer in Empfang zu nehmen.

Den schwierigsten Part des Abends hat Ingo Zamperoni. Er moderiert in irrem Takt zwischen "Weltuntergangsstimmung hoch zehn", wie es ein Flutopfer im Studio formuliert, geschockten Helfern, die Menschen von Dächern retteten, noch fassungslosen Einsatzkräften, die hochriskant an Dämmen bohrten, damit das Wasser abfließt, einem einfühlsamen Psychologen, der die Zustände in Ahrweiler mit Kriegserfahrungen vergleicht und einem grunderhitzten Eckart von Hirschhausen, der mal wieder die deutlichsten Worte finden will und sagt: "Die Kacke ist am dampfen." Ingo Zamperoni, sowieso eher ein Mann der feineren Sprache, moderierte den Schicksalsmarathon bis dahin sehr souverän und kühlt die Worte Hirschhausens prompt runter: "Mhm, auch das haben wir schon ein paar Mal gehört."

Stilsicher wirken die Kerzen

Vom echten Leid schaltet er nach Leipzig zur Inszenierung - und die ist immer heikel im Angesicht einer Katastrophe. Stilsicher wirken da die Kerzen, die vor der Bühne für die Todesopfer brennen. Weniger stilsicher wirken die vielen Sprühfontänen, zwischen denen Jeanette Biedermann gesangliche Höhenwanderungen zu Achttausendern unternimmt, von "10 000 Fragen" singt, die "in Kopf und Herz schlagen" und dazu schwarz-weiß Bilder in Slow Motion geschnitten werden von Menschen auf Baggerschaufeln.

Nicht alle Künstler kommen heil durch das Tal zwischen selbstvermarktender Performance und ehrlicher Anteilnahme. Max Giesingers Apokalypsenpop samt Zwinker- und Zeigefingerposen trifft nicht unbedingt den richtigen Ton. Den meisten wie Sarah Connor gelingt es an diesem Abend aber erstaunlich gut, aufrichtig zu sein. Und als die Prinzen singen, dass sie sich für dich schlagen, dich übers Wasser tragen, dass du immer auf sie zählen kannst, ist das Publikum so bewegt, dass es sich ganz sachte hin- und herwiegt.

"All-Star Line-up"

Udo Lindenbergs starke Unterlippe darf bei diesem "All-Star Line-up", wie Zamperoni es formuliert, natürlich nicht fehlen. Udo ist zwar nicht anwesend, aber stellt aus Hamburg mit Krisenschnute ein Gemälde vor, das er eben fertiggestellt habe. Das Bild von ihm auf einem Schiff zwischen busenreichen Frauen kann der kunstliebende Zuschauer ersteigern.

Und kurz vor dem Ende, bevor Zamperoni den Spendenstand von über 16 Millionen Euro verkündet, sitzt dann wirklich Herbert Grönemeyer mit dicker schwarzer Hornbrille im Ledersessel. "Ich glaube, die Menschen stehen noch unter Schock", sagt er. Und als er dann endlich verrät, welchen Song er gleich spielen wird, und die Moderatorin ihn auf die eigene traurige Schicksalsgeschichte hinter diesem lenken will, macht Grönemeyer einen feinen Schritt angesichts der Katastrophe. Er will schon das so oft Erzählte abspulen, da unterbricht er sich selbst, sagt: "Ach, das ist jetzt uninteressant."

Dann steht er mit seinen Jungs auf der Bühne, die gemeinsam mit dem Song 20 Jahre gereift sind, und grönemeyert vom "Mensch".

Und am Ende muss man sagen: Es ist okay.

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