Framing:Die Verwirrung bei der ARD scheint groß zu sein

ARD-Interview 2017 in Frankreich

Das Framing-Gutachten für die ARD ist eine demokratiepolitisch wie ethisch zweifelhafte Banalitätenparade.

(Foto: picture alliance / Marijan Murat)

Ein qualitätsvoller öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist heute wichtiger denn je. Er sollte es seinen Gegnern nicht so ungeheuer einfach machen.

Von Norbert Frei

Für ihren kürzlich bekannt gewordenen "Framing"-Unfug ist die ARD völlig zu Recht, inzwischen aber auch zur Genüge, durch den Kakao (und Schlimmeres) gezogen worden. Wer immer das Gutachten vor zwei Jahren bestellt und abgenommen hat: Er oder sie sollte die sowohl demokratiepolitisch als auch ethisch mehr als zweifelhafte Banalitätenparade nachträglich aus eigener Tasche bezahlen müssen. Es kann übrigens nur jemand gewesen sein, dem die deutsche Sprache und Syntax so wenig bedeuten wie Interpunktion und Grammatik, denn auch diesbezüglich ist das mittlerweile im Netz nachzulesende "Manual" aus dem ominösen "Berkeley International Framing Institute" eine hanebüchene Veranstaltung.

Dass derartige Beraterprosa in einer Institution Beachtung findet, die, ungeachtet aller sogenannten sozialen Medien, nach wie vor zentral ist für das öffentliche Gespräch in unserer Gesellschaft und die unser aller Weltwahrnehmung zu nicht geringen Teilen formt, ist bitter. Noch bitterer ist das durch die Affäre sichtbar gewordene Ausmaß an Verwirrung und Verzagtheit, das bei den Öffentlich-Rechtlichen zu herrschen scheint. Wie kann es sein, dass ausgerechnet ein journalistisches Großsystem namens ARD in jener Wirklichkeit, die sie uns doch möglichst differenziert und unverstellt nahebringen soll, nicht mehr ohne manipulative "Rahmung" seines Tuns und Lassens glaubt auskommen zu können?

Die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland, zu der man das später entstandene Zweite Deutsche Fernsehen und die Programme des Deutschlandradios noch hinzurechnen darf, war einmal ein stolzer Haufen. Die Etablierung ihrer Einzelsender ziemlich rasch nach Kriegsende war, durchaus vergleichbar dem Grundgesetz, dessen 70. Geburtstag wir in diesem Frühjahr feiern, eine Antwort auf das Scheitern der ersten deutschen Demokratie: Weil der Rundfunk in der NS-Zeit politisch so sehr missbraucht worden war, sollte er fortan unabhängig vom Staat organisiert sein, aber auch unabhängig von der Privatwirtschaft.

Den Zeitungs- und Zeitschriftenverlegern hat das natürlich nie gefallen. Ihr Kampf gegen das öffentlich-rechtliche Sendemonopol nahm Fahrt auf, als mit dem Siegeszug des Fernsehens die Markenartikelwerbung zu den bewegten Bildern abzuwandern drohte. Der zähe Streit führte wiederholt bis vor das Bundesverfassungsgericht, und als das Argument der eng begrenzten Sendefrequenzen technisch hinfällig wurde, war der Systembruch nicht länger zu verhindern. Die Einführung des "dualen" Rundfunksystems, sprich: die Zulassung privater Anbieter in den Achtzigerjahren, erweist sich im Rückblick als tiefer kommunikationskultureller Einschnitt.

Der Weg, den ARD und ZDF eingeschlagen haben, führt nicht aus der Defensive heraus

Statt konsequent auf Qualität zu setzen angesichts des damals die Wohnzimmer flutenden Peinlichen und Primitiven - die Älteren erinnern sich an "Tutti Frutti", die Jüngeren kennen das "Dschungelcamp" -, begaben sich die Öffentlich-Rechtlichen in das Rennen um die Quote. Aus Angst, Zuschauer zu verlieren, wurde demokratiepolitisch Wichtiges und kulturell Bedeutsames in Spartenkanäle (Phoenix, 3sat, Arte) abgeschoben, das Niveau der Unterhaltung in den Hauptsendern nach unten nivelliert. Im Bieterwettbewerb mit den Privaten flossen und fließen astronomische Summen für die Übertragungsrechte von Sportveranstaltungen und "Mega-Events", während in den "wortlastigen" Hörfunkprogrammen ein notorisch gewordenes Spardiktat herrscht.

Der Weg, den ARD und ZDF eingeschlagen haben, führt eigentlich für jeden erkennbar nicht aus dem Abstieg und der Defensive heraus. Man fragt sich, warum er trotzdem weiter beschritten wird. Merkt niemand, wie sehr der ewige Streit mit den Zeitungsverlegern - zuletzt um die einander immer ähnlicher werdenden Formen der jeweiligen Internetpräsenz - dem Ansehen der "Anstalten" schadet? Wieso verzichten die beitragsfinanzierten Öffentlich-Rechtlichen nicht auf ihr ohnehin eng limitiertes Werbefernsehen und entziehen ihren privaten Konkurrenten damit nicht das Hauptmotiv ihrer rufschädigenden Dauerkritik? Die Höhe der Erträge (2017 netto rund 340 Millionen Euro) sollte angesichts von acht Milliarden Euro an Rundfunkbeiträgen keine unüberwindliche Hürde sein. Ein solcher Verzicht würde nicht nur die Glaubwürdigkeit des beitragsfinanzierten Systems erhöhen, von dem wir als Bürger profitieren wie von sauberem Trinkwasser und guten Straßen. Er könnte womöglich auch einer weiteren Verkümmerung der Regionalpresse entgegenwirken, die ihren Lesern unter Hinweis auf zu hohe Kosten am liebsten schon übermorgen gar keine gedruckten Zeitungen mehr anbieten möchte. So jüngst zu hören in Thüringen, wo die westdeutsche Funke-Mediengruppe faktisch über ein Monopol verfügt.

Zu einem neuen, auf Qualität statt auf Quote gegründeten Selbstbewusstsein der Öffentlich-Rechtlichen würde es auch gehören, den besonders in Ostdeutschland beheimateten "Lügenpresse"-Predigern Paroli zu bieten, statt ihnen großzügig Raum zu geben. Dass die Chefredakteure von ARD und ZDF im vergangenen Herbst im Doppelpack nach Dresden pilgerten, um sich in einem Kreisverband der AfD der Diskussion zu stellen, mag ihrer persönlichen Fortbildung im Umgang mit Verstockten dienlich gewesen sein. Aber der Auftritt war ein Fehler. Ein demokratisch standfester, nach allen Seiten kritisch-aufklärerischer Journalismus darf sich seinen prinzipiellen Gegnern weder anbiedern noch versuchen, sie mit "Frames" zu überlisten.

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Kolumne von Norbert Frei

Norbert Frei ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Jena, er leitet das Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts. Alle Kolumnen von ihm lesen Sie hier.

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