ARD-Film über Sexismus:Der Arsch vom Amt

Meine fremde Freundin

Judith Lorenz (Ursula Strauss) ist eine selbstbewusste Frau, die sich zu wehren weiß. Dass sie von ihrem Kollegen im Büro vergewaltigt wurde, ist ein Schock. Aber ist es auch die Wahrheit?

(Foto: Sandra Hoever/NDR)

"Meine fremde Freundin" ist ein Sexismus- und Vergewaltigungsdrama über die Frage: Wer lügt? Wie der Film mit scheinbaren Gewissheiten spielt, macht ihn hochaktuell - und sehr angreifbar.

Von Christine Dössel

Kollege Lehmann ist das, was der Engländer "a pain in the ass" nennt: eine veritable Nervensäge. Man könnte in diesem Fall auch sagen: ein echtes Arschloch.

Mit geschwellter Brust und Macho-Sprüchen auf den Lippen geriert er sich im Gesundheitsamt Hannover als Alphamännchen, spielt sich bei den Mitarbeiterinnen als Chef auf (obwohl es eine Vorgesetzte gibt) und benimmt sich fast immer eine Spur daneben. Meistens sind es verbale Übergriffe - zweideutige Bemerkungen, Anzüglichkeiten, Zoten. Gern aus dem Bereich der Tierwelt: Der "deckfaule Nashornbulle" im Zoo von Hannover, die "hohe Fortpflanzungsquote bei Kleinnagern" - es sind solche Sachen, mit denen Lehmann die Frauen konfrontiert. Und provoziert. Eine Kollegin hat seinetwegen gekündigt. Ihrer Nachfolgerin, der frisch nach Hannover gezogenen Judith Lorenz, bietet der Chauvi gleich beim Einstand seine Hilfe an, falls sie mal was schleppen muss, um mit einem Blick auf ihren Busen hinzuzufügen: "Sie tragen ja ohnehin recht schwer."

Die Neue, sensationell cool und in sich ruhend gespielt von Ursula Strauss, lässt sich allerdings nichts gefallen. In der nüchternen Angestellten- und Strickpulloverwelt des Gesundheitsamts sticht Judith Lorenz als selbst- und karrierebewusste moderne Frau heraus, die Lehmanns Atavismen schlagfertig kontert beziehungsweise ihn einfach auflaufen lässt.

So weit die Ausgangssituation in dem sehenswerten Film Meine fremde Freundin von Stefan Krohmer (Buch: Katrin Bühlig und Daniel Nocke), der sich auf brisante Weise vom Sexismus- zum Vergewaltigungsdrama ausweitet. Gezeigt wird, wie Lehmann (großartig: Hannes Jaenicke) der Kollegin Lorenz im schummrigen Aktenarchiv nahe rückt mit den Worten: "Sie sind ja ein richtig böses Mädchen." Dann blendet die Kamera ab.

In den folgenden Tagen ist Judith Lorenz krankgemeldet. Erst Andrea Bredow (Valerie Niehaus), ihre neue Freundin aus dem Büro, entlockt ihr, was passiert ist: Sie sei von Lehmann vergewaltigt worden. Andrea ermutigt Judith, zur Polizei zu gehen, und so nimmt ein Verfahren seinen Lauf, das alle Beteiligten in ihre je eigenen Abgründe blicken lässt und den Zuschauer hin- und herreißt in seinen Gefühlen und Urteilen. Soll man dem Unsympathen Lehmann glauben, der noch im Gefängnis seine Unschuld beteuert? Sind Zweifel an Judith angebracht, weil sie, mit den Augen der kreuzbraven Familienmutter Andrea betrachtet, nicht gängigen Verhaltensmustern entspricht, zu ichbezogen ist?

Applaus von falscher Seite?

Der Film belässt da lange Zeit vieles in der Schwebe, was eine Qualität ist. Krohmer leuchtet subtil Situationen und Charaktere aus, betreibt ein tiefgründiges Spiel mit Stereotypen und scheinbaren Gewissheiten und zeigt auch ein Krankheitsbild.

Aber gerade das könnte diesem unter anderem vom Fall Kachelmann inspirierten Drama von einigen auch vorgeworfen werden. Beziehungsweise ihm Applaus von falscher Seite einbringen. Gedreht Anfang des Jahres, kommt der Film zu einem Zeitpunkt heraus, da ihn die Enthüllungen über den US-Produzenten Harvey Weinstein und die dadurch ausgelöste #MeToo-Debatte zwar hochaktuell machen, aber für viele Frauen sicher auch kontraproduktiv. Das wird zu diskutieren sein. Der Film ist Teil des ARD-Themenabends "Sexuelle Nötigung, Lügen, Vorurteile - Männer unter Generalverdacht?", der mit einer Diskussion bei Maischberger ausklingt.

Meine fremde Freundin, ARD, 20.15 Uhr.

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