Süddeutsche Zeitung

ARD-Film mit Henry Hübchen:Zu alt für Rock 'n' Roll, zu jung zum Sterben

Ruhestand? Darauf hat Henry Hübchen als TV-Journalist Paul im ARD-Film "Die Zeit mit Euch" so gar keine Lust. Seine Freunde feiern ihn trotzdem - am Ende sind alle ein bisschen einsamer.

Von Bernd Graff

Das Problem von Menschen, die heute knapp über 60 Jahre alt sind, ist, dass sie aus den bislang gültigen Generationenrastern der Deutschen fallen. Der schnoddrige Defätisten-Spruch traf noch nie so passgenau zu wie auf sie: Auch wenn sie noch zu Jimi Hendrix tanzen, sind sie zu alt für Rock 'n' Roll, aber zu jung zum Sterben.

Als erste Nachkriegskinder haben sie ihr Leben ausschließlich in Frieden verbracht, sie haben Deutschland nicht wieder aufgebaut, sondern vorgefunden und geerbt. Und sie treffen auf eine medizinische Rundumsorglosversorgung, die man sich allerdings leisten können muss. Doch diese Deutschen können sich mehrheitlich ziemlich viel leisten. Die Kinder sind aus dem Haus, sie können nun alle Freiheiten genießen, die man für Geld kaufen kann. Diese 60-Jährigen entsprechen nicht einmal mehr ansatzweise dem Bild der Greise, das man noch mit ihrer Großväter- und Vätergeneration assoziierte. Wirklich jung sind sie aber natürlich auch nicht mehr.

Um diese bei allem Wohlstand und aller kraftstrotzenden Gesundheit keineswegs sorglose Generation der Sehr-Bald-Rentner hat Regisseur Stefan Krohmer nach dem Buch von Gabriele Kreis eine wunderbar besetzte Fernsehproduktion verfertigt, die genau das zum Thema macht: Was bleibt von den Plänen, Hoffnungen, dem Luxus und Wohlleben, wenn man - so um die 60 und mitten in Saft und Leben - Bilanz zieht? Die Zeit mit Euch heißt diese Produktion, und das ist auch schon die Antwort auf die Frage.

Langjährige Verhältnisse, enttäuschte Hoffnungen, klamme Ängste

Dem TV-Journalisten Paul (Henry Hübchen) droht ein Ruhestand, auf den er keine Lust hat. Doch er soll trotzdem gefeiert werden. So haben sich seine alten Freunde Klaus (Ernst Stötzner), ein Onkologe, und dessen Frau, die Personalchefin Marlene (Johanna Gastdorf), im Haus des Gymnasiallehrers Heiko (Herbert Knaup) und dessen Gattin, der Buchhändlerin Vera (Ulrike Kriener), zusammengefunden. Auch Pauls Frau Christiane (Leslie Malton), eine ehemalige Stewardess, ist zugegen. Heiko möchte nun mit Paul auf einer Harley durch die USA reisen. Doch Paul winkt ab.

Er hat einen Buchvertrag in der Tasche, will seine Memoiren schreiben. Nicht die einzige Irritation des Abends. Es werden langjährige Verhältnisse gestanden, enttäuschte Hoffnungen und klamme Ängste, ja dann auch lebensbedrohliche Krankheiten offenbart und neue Pläne geschmiedet. Das alles kommt so unprätentiös und wie beiläufig aufgezeichnet daher, dass man vor der Regie- und kollektiven Schauspielleistung nur den Hut ziehen kann. Am Ende sind alle ein wenig einsamer geworden, reifer vielleicht auch, aber sie haben immer noch sich. "Früher war die Familie eine Tankstelle, jetzt ist sie eine Garage", sagt Paul einmal. Man kann Henry Hübchen nur dafür bewundern, mit welch heiterer Resignation er diese Erkenntnis hervorzubringen vermag.

Die Zeit mit Euch, ARD, 20.15 Uhr

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SZ vom 09.01.2015
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