ARD-Film mit Götz George:Höre denen zu, die schweigen

Besondere Schwere der Schuld Götz George

"Gekommen, um auszubuddeln, was er vergraben hat": Das sagen sie über Joseph Komalschek (Götz George), als er nach 30 Jahren im Knast wieder da ist.

(Foto: ARD Degeto)

In "Besondere Schwere der Schuld" wird ein entlassener Häftling allein gelassen. Es ist ein Solo Götz Georges, der inzwischen kaum mehr Worte braucht um etwas zu sagen.

Von Holger Gertz

Götz George braucht inzwischen fast überhaupt keine Worte mehr, um etwas zu sagen. Was zu sagen ist, sagt er schweigend, raunend, keckernd lachend, leise keuchend, laut atmend. Schon das unvergessliche Kammerspiel Der Totmacher von Romuald Karmakar über den Kindermörder Fritz Haarmann strandete in Georges Schnaufen, man sah ihn nicht mehr, man hörte nur noch seinen Klang, verzweifelt, einsam. Dann: Abspann.

George, der laut fluchte, als er noch Kommissar Schimanski war, ist sehr leise geworden. Schon sein Ächzen ist ein Statement. Vieles im Leben spielt sich im Stillen ab, im Vagen. Und Götz George ist der Großmeister der Stille.

Der Film Besondere Schwere der Schuld bringt ihn in Berührung mit einem anderen Großmeister der Stille. Sascha Arango hat das Drehbuch geschrieben, einer der herausragenden Erzähler im deutschen Fernsehen, und natürlich gilt der Satz gerade für ihn: dass ein guter Erzähler immer ein noch besserer Schweiger ist. "Ich habe noch nie ein Problem damit gehabt, dass lange nichts gesagt wird. Wenn die Situation einleuchtend genug ist, muss nichts gesagt werden." So fasst Arango seine Haltung und Weisheit zusammen, die seine Kieler Tatorte mit Axel Milberg als Kommissar Borowski verlässlich zu Ereignissen macht, die sich einprägen, weil nichts zugequatscht wird. "Die Frau am Fenster" damals, mit Sibylle Canonica als vor Liebe irre gewordene Tierärztin: wie sie ihrer jungen Rivalin hinterherschaute in einem Laden, die Rivalin spielte mit Babyrasseln herum und überlegte, welche sie sich aussuchen soll. Wie also die Tierärztin nur schaute und beobachtete und nichts sagte, aber doch alles. Die Rivalin würde sterben müssen.

In Besondere Schwere der Schuld sagt Götz George nichts, nur Johnny Cash singt, Hurt. George schraubt an einem Apparat herum, der eine Bombe sein könnte oder ein Gewehr. Er schraubt, er justiert, leises Schnaufen vor Anstrengung, manchmal der Anflug eines Selbstgesprächs. Er richtet etwas her, das sich schließlich als Beinprothese entpuppt, wienert das Leder des Schuhs, drückt den Stumpf in die Halterung, richtet sich stöhnend auf. Ein ganzer Film - oder die Idee einer Geschichte - in wenigen Minuten: Der scheinbare Bombenbastler ist ein Versehrter, der Täter könnte Opfer sein.

Komalschek ist ein wenig auch Schimanski

Es gibt ein wunderbares Zitat von Wolf Wondratschek, das zu Georges Spiel genauso passt wie zu Arangos Stil: Höre denen zu, die schweigen.

George verbringt die ersten zwanzig Minuten schweigend, obwohl oder gerade weil er der Mann ist, um den es geht: Joseph Komalschek war 30 Jahre lang im Gefängnis, wegen besonderer Schwere der Schuld. Er soll eine Nachbarin ermordet haben, Anita, und deren Baby, die Leichen wurde nie gefunden, aber eine Nabelschnur, in seinem Hausmüll. Komalschek hat die Taten nie gestanden, jetzt kommt er zurück in seine Heimatstadt, in der alles passiert ist, tiefes Ruhrgebiet natürlich, Komalschek ist ein wenig auch Schimanski.

Er will herausfinden, was damals passiert ist. Er hat zwar nicht mehr genug Wut und Mut in sich, um sich zu rächen. Aber seine Kraft reicht noch aus, Gerechtigkeit zu fordern.

Georges Gegengewicht fehlt

Komalschek ist wieder in seinem Revier, aber er kommt nicht an, er ist auf der Flucht. Alle kennen seine Geschichte, alle beobachten ihn, die Nachbarn, die Polizisten, die Gartenzwerge, die Zeitungsreporter. "Warum kommt der zurück? Warum ist der da?", fragen die Frauen "Er ist gekommen, um auszubuddeln, was er vergraben hat", sagen die Männer.

Das ist ein schöner Arango-Satz, subtil und ausdeutbar. Es geht in vielen seiner Stücke um solche Fragen: Was ist wahr? Wen trifft in Wahrheit die Schuld? Ein Mensch buddelt, wenn er buddelt, nach Geld oder nach Knochen. Und was er zu Tage fördert, könnte alles bestätigen, was man über ihn zu wissen glaubt. Oder es könnte alles entkräften, was man 30 Jahre gegen ihn vorgebracht hat, der buddelnde Mensch ist eine Bedrohung für jene, die sich wünschen, er wäre nie zurückgekommen. Die Wahrheit ist eine Bedrohung für jene, die sich mit der Lüge so behaglich eingerichtet haben.

Es gibt starke Momente in diesem Film, sie entwickeln sich aus den Dialogen. Komalschek muss ins Einwohnermeldeamt, er braucht einen Pass, der Büromensch hat Fragen.

Geboren?

Komalschek: "Gladbeck, 1939."

Religion?

Komalschek: "Ohne."

Beruf?

Komalschek: "Verbrecher."

Verbrecher ist kein Beruf.

Komalschek: "Steht in der Zeitung. Berufsverbrecher."

Arangos Tatorte leben davon, dass den starken Hauptdarstellern - Sibylle Canonica, Lars Eidinger, Lavinia Wilson - der sehr tolle Kommissar Borowski gegenübersteht. In diesem Film von Regisseur Kaspar Heidelbach fehlt ein Gegengewicht zu George, dessen Komalschek in verzweifelteren Momenten optisch beinahe ins Heinrich-George-hafte hinübergleitet: Der Sohn hatte den Vater im vergangenen Jahr so wunderbar gespielt.

Komalschek wird observiert von recht nassforschen jungen Polizisten. Sie sehen aus wie die von sich überzeugten Jungfußballer in der Bundesliga und benehmen sich auch so. Singen dem mutmaßlichen Verbrecher dauernd den Namen seines mutmaßlichen Opfers hinterher, Anita war ja mal ein Schlager von Costa Cordalis. Dass es im Ruhrpott noch Kneipen gibt, die Whisky-Bill heißen und in denen die Bedienungen BH zum Glitzercowboyhut tragen, ist eine charmante Überzeichnung, aber der Polizeirat Scherler ist in seiner gehetzten Schmierigkeit eine unerwartet flache Karikatur.

So ist es vor allem ein Solo Götz Georges, von dessen Größe der Film lebt und unter der er gleichzeitig ächzt. Und Ächzen ist ein leises Statement.

Besondere Schwere der Schuld, ARD, Samstag, 20.15 Uhr.

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