Süddeutsche Zeitung

ARD-Film "Die lange Welle hinterm Kiel":Kriegsgeschichte auf dem Luxusliner

Die ARD-Melancholiefabrik Degeto wagt sich zu Jahresbeginn an eine ehrgeizige Literaturverfilmung: "Die lange Welle hinterm Kiel" basiert auf einem Roman des tschechischen Schriftstellers Pavel Kohout. Erst sieht es nach Traumschiff-Kitsch aus, dann jedoch geht es um die deutsche Kriegsgeschichte und das Schicksal der Sudetendeutschen.

Christopher Keil

Es fällt nicht nur ein bisschen auf, es fällt sehr auf, wie die ARD in ihrer Broschüre des Films Die lange Welle hinterm Kiel immer wieder das Traumschiff thematisiert, jene unendliche ZDF-Reise auf dem Meer, die seit 30 Jahren von einem angeblichen Sehnsuchtsort der Welt zum nächsten führt.

Die lange Welle hinterm Kiel also ist ein Roman des in Prag geborenen 83-jährigen Schriftstellers Pavel Kohout. Wenn sich Volker Herres, der ARD-Programmdirektor, zu der Romanverfilmung äußert, beginnt er mit dem Satz: Das Fernsehspiel "mag auf den ersten Blick wie eine Traumschiff-Folge anmuten".

Im Begleittext heißt es: "Die Traumschiff-Kulisse täuscht." Darin spiegelt sich womöglich die Furcht, der anspruchsvollere Zuschauer, unter Umständen kennt er ja das Original, könne beim Fernsehgenre Kreuzfahrtschiff, dort spielt die Handlung, weiterzappen. Andererseits soll der Verweis die Qualität des ehrgeizigen Projekts betonen. Denn "der Schein trügt", schreibt auch Herres, "hier gehen nicht die üblichen Wellness-Gäste an Bord."

Das ist richtig, und ehrgeizig ist das Projekt, weil es sich um ein Vierpersonenstück handelt und deutsche Kriegsgeschichte verhandelt wird. Man könnte sich außerdem die Frage stellen, wie ausgerechnet die Degeto, als Produktionseinheit die Melancholiefabrik der ARD, so eine literarische Vorlage meistert, die sie finanziert hat.

In diesem Fall ist das Degetohafte nur an zwei, allerdings schlimmen Stellen vorhanden. Produziert wurde Die lange Welle für ARD und ORF von einer österreichischen Firma, besetzt wurde sie mit Christiane Hörbiger und Mario Adorf in den beiden etwas größeren Rollen. Hörbiger, 73, und Adorf, 81, haben einiges Melodramtisches gedreht in den vergangenen Jahrzehnten. An einer Verkitschung Kohouts hätten sie vermutlich nicht mitgewirkt.

Monarchische Geringschätzung

Der Roman ist gut, das Drehbuch, in dem Klaus Richter den Stoff für den Film übertrug, ist auch gut, die Darsteller sind es ebenfalls. Und so schreitet Hörbiger als reiche alte Zicke an Deck, begleitet von einem schönen, viel jüngeren Mann, weshalb das an Wellness-Gäste gewöhnte Personal raunt: "Das ist sie, Margarete Kämmerer, österreichisch-bayerische Kalk- und Betonwerke, genannt die Schreckschraube". Sie kommt mit ihrem, was wohl: Lover. Ihr folgt Adorf, "ein Chirurg aus der Schweiz und Universitätsprofessor im Ruhestand". Er heißt Martin Burian. "Und wer ist die junge Frau?"

Tja, wer soll sie schon sein. "So sind sie, die Reichen und Schönen", sagen sich die Stewards gönnerhaft. Sie sind von sich sehr überzeugt. Und im nächsten Augenblick führt sie die Schreckschraube schon wie erwartet vor, weil die von ihr gewünschte Weinsorte nicht in der Schiffskühlung lagert. "Dann bestellen Sie Ihrem Kapitän, dass ein Gast hier ist, der vom nächsten Halt an Plascheck Smaragd täglich verlangen wird", sagt Hörbiger. Und im Klang ihrer Stimme schwingt eine monarchische Geringschätzung, die so wunderbar gar nicht passen möchte zu Kalk und Beton.

Auch die Klischees passen nicht. Unterhaltung für Unterhaltung, Satz für Satz erfährt man unterschiedliche Wahrheiten. Sigi ist nur der Neffe der Baulöwin. Die ernste Blonde ist die Schwiegertochter des Arztes. Und es gibt noch eine Stimme mit Klang, die Adorfs beziehungsweise Burians, an den sich die Österreicherin erinnert und der bei ihr körperliche Schmerzen auslöst. Sie will aussteigen, die Kreuzfahrt abbrechen, obwohl der Plascheck auf dem Weg ist.

Die größte Schwäche der Verfilmung ist eine fast dauerhafte musikalische Begleitung. Sie wird zur Belästigung, sie kann kaum vom Regisseur Nikolaus Leytner gewollt sein, der in seiner Inszenierung den genauen Figuren Kohouts folgt, in die Kabinen, Restaurants, Bars, aufs Sonnendeck, nach Achtern, dorthin, wo am Heck die Schiffsschrauben die lange Welle hintern Kiel drehen.

Wenn man sich löst, die gesammelten Eindrücke von Superfrauen löscht, von starken Müttern, von vom Schicksal geprügelten Blondinen, die nie ihren Lebensmut verlieren, von schlechten Darstellungen und noch schlechteren Dialogen, dann kann man auch Veronica Ferres als Sylva anders begegnen.

Der Sohn des Chirurgen, ihr Ehemann, hat sie verlassen. Mit ihm hatte sie die Kreuzfahrt gebucht. Nun liegt sein Vater neben ihr in der Suite. Um Sex geht es nie, sondern um Schutz. Burian ist gutmütig, begeisterter Schachspieler, ein rücksichtsvoller Herr, der es mit dem Mitleid nicht übertreibt. Aber er ist alt. An der Seite des hier so guten Adorfs spielt Ferres manchmal anders als sonst, das heißt, man denkt nicht sofort: Ja, sie sollte eine verlassene Frau spielen, sondern: Sie sieht tatsächlich irgendwie verloren oder verlassen aus. Auch Christoph Letkowski kommt an der Seite Hörbigers zur Geltung, der sich als Neffe Sigi so wirklichkeitsecht verhält.

Verlangen und Enttäuschung, Aufbegehren und Unverständnis

Kohout setzte Themen der Jugend - Verlangen und Enttäuschung, Aufbegehren und Unverständnis, vor allem gegenüber den vorherigen Generationen - als Kulisse des eigentlichen Konflikts ein, der auf dem Luxusliner verhandelt wird: Martin Burian und Margarete Kämmerer kennen sich. Sie wuchsen im Sudetenland auf. Er war als Jugendlicher in sie verliebt, doch sie entschied sich für einen anderen, für Burians besten Freund.

Als Hitler das Sudetenland 1938 ins deutsche Reich eingliederte, verwandelte sich der beste Freund in einen glühenden Nazi, in "einen Mörder", sagt Burian zu seiner Schwiegertochter, Mörder auch von Burians Bruder. Am Kriegsende lässt Martin, der Tscheche, man sieht das in Rückblenden, Sepp, den Nazi, liquidieren. Das ist die eine Seite. Auf der anderen stand und steht Margarete Kämmerer, die schwanger war vom Sepp, als Burian ihn hinrichten ließ und jetzt Rache schwört.

"Was wisst ihr schon davon", brüllt sie den Neffen an, der natürlich findet, das alles sei nun viel zu lange her, um noch auf Vergeltung zu sinnen. Doch eine Pistole führt die Tante aus der Mörtelbranche immer im Gepäck - Auge um Auge, Zahn um Zahn, nach alttestamentarischer Regel. So wurde im Krieg verfahren. So sehen wir das. Das erklären die Alten den Jungen.

Leise Bebilderung eines leisen Romans

Kohout, der Philosophie studierte, Mitglied der Kommunistischen Partei war, als Chefredakteur eine Satirezeitschrift führte und 1968 einer der Wortführer des Prager Frühlings war, hat sich in der Langen Welle noch einmal mit den Folgen des Krieges beschäftigt.

Der Film schafft es, seinen leisen Roman, wenn auch eben nicht ganz leise, zu bebildern - ohne ihm sehr zu schaden. Kohout ist sicher an Versöhnung gelegen, dafür hat er die Jungen, um das zu zeigen. Die Alten sind aus einer anderen Zeit. Und auch wenn es noch eine entsetzlich matschige Landausflugsszene der Jungen gibt als Referenz an die Degeto, so steht am Schluss kein Traum. Nur zwei symbolisch traumatisierte Menschen stehen am Heck des Schiffs. Und Sigi und Sylva werden auch kein Paar mehr.

ARD, 4. Januar, 20.15 Uhr

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Quelle:
SZ vom 04.01.2012/rela/pak
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