ARD-Film "Die Akte General":Der unbeirrbare Fritz Bauer

Die Akte General

Kein Urlaub: Fritz Bauer (Ulrich Noethen, links) leistet Überzeugungsarbeit, um den Mossad auf NS-Verbrecher Adolf Eichmann anzusetzen.

(Foto: SWR/UFA FICTION)

"Die Akte General" über den Auschwitz-Ankläger Fritz Bauer gibt den Blick frei auf eine von Altnazis durchsetzten Epoche der deutschen Geschichte.

TV-Kritik von Joachim Käppner

Eine Frankfurter Straßenecke, ein konspiratives Treffen: der deutsche Generalstaatsanwalt Fritz Bauer und ein Agent des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad. Die beiden streiten sich: Reicht das Material, das Bauer durchsticht, nun aus, um Adolf Eichmann zu fassen oder nicht? Der Israeli ist skeptisch, der Ankläger zornig. Er will Eichmann, den Organisator des Holocaust im Reichssicherheitshauptamt der Nazis, vor Gericht stellen. Aber der Mörder hat sich in Argentinien versteckt. Und was immer Bauer versucht, ihn zur Verantwortung zu ziehen, scheint an Bedenken und Widerständen zu scheitern. So beginnt der Film Die Akte General über den großen Juristen und Auschwitz-Ankläger Fritz Bauer (1903 - 1968). Am Ende legt sich in einem israelischen Gefängnis die Schlinge um Eichmanns Hals.

Es ist, ein halbes Jahrhundert nach den Auschwitz-Prozessen, der dritte Film über Fritz Bauer binnen kurzer Zeit. Im Kino liefen bereits zwei sehenswerte Beiträge: In Im Labyrinth des Schweigens von 2014 geht es mehr um die Verfahren selbst, angereichert um klassische Spielfilmelemente. Der Staat gegen Fritz Bauer aus dem vergangenen Jahr widmet sich der Persönlichkeit des Anklägers. Wozu, kann man sich fragen, also nun ein dritter Beitrag?

Äußerlich unterscheidet sich die ARD-Produktion Die Akte General wenig von ihren Vorgängern: schön in Szene gesetzte Nachkriegsjahre samt Nierentisch und Straßenkreuzern, der Mut des Einzelnen, ein System herauszufordern, das vergessen will. Die Akte General ist vielleicht der politischste Film unter den dreien und verblüfft auch durch die herausragende Leistung Ulrich Noethens, der Fritz Bauer so echt verkörpert, dass der Unterschied zur wirklichen Person kaum noch zu erkennen ist - äußerlich als Kettenraucher mit Bürstenfrisur und Hornbrille, psychologisch als schwer nahbaren, brüsken und doch bescheidenen Mann, der sich moralisch von einem Großteil seiner Umgebung deutlich abhebt. Denn diese Umgebung sind die von ehemaligen Nazis durchsetzte Politik und Justiz der Fünfziger- und Sechzigerjahre.

Bauer ließ sich nicht wegloben oder fortbeißen, weil er, der lange Verkannte, eigene Wege ging

Intensiv beleuchtet der Film, warum sie Bauer nicht unterkriegen konnten, warum er, der lange Verkannte, ethische Maßstäbe gegen alle Widerstände durchsetzen konnte; nicht oft genug aus seiner Sicht, aber die Deutungshoheit der Ewiggestrigen - Widerstand ist Verrat, das Befolgen von Mordbefehlen Pflicht und so fort - brach und als das entlarvte, was sie war: eine absichtsvolle Flucht in Lügen und Verantwortungslosigkeit. Bauer ließ sich nicht wegloben und nicht fortbeißen, weil er eigene Wege ging, wenn Dienstaufsicht, Bundeskriminalamt oder das Kanzleramt seine Ermittlungen hintertrieben.

Er arbeitete bei der Verfolgung von Nazitätern mit der Staatssicherheit und der DDR-Justiz zusammen, und der Film arbeitet schön heraus, dass seine Arbeit von den geheimen Akten aus Ostberlin einerseits profitierte, Bauer sich des Risikos aber immer bewusst war. Denn auch die DDR-Justiz, so antifaschistisch sie sich gab, hatte kein Interesse, allzu viele Ex-Nazis vor Gericht zu bringen. Sie nutzte ihre Dokumente vor allem, um NS-belastete Politprominenz in Westdeutschland anzuprangern. Damit freilich hätte sie weniger Erfolg gehabt, wären deren Führung und Verwaltung nicht durchsetzt gewesen von Ex-Nazis aller Couleur, angefangen bei Kanzleramtsminister Hans Maria Globke, der 1935 aufs Widerwärtigste die Nürnberger Rassengesetze kommentiert hatte.

Die DDR ihrerseits inszenierte 1963 einen Prozess in Abwesenheit gegen Globke; im Bestreben, Hitlers und Adenauers Staat als Früchte aus derselben Wurzel hinzustellen, tat sie genau das, was Bauer befürchtet hatte. Die Ankläger vermischten Dichtung und Wahrheit, und absehbarerweise solidarisierte sich die westdeutsche Politik nun erst recht mit einem Mann, dessen Rolle als graue Eminenz ein besonderer Schandfleck für die junge Republik war.

Die alte BRD war ein anderes Land - und gewiss kein besseres

Wesentlich wichtiger als die Ostdeutschen waren aber ganz andere Verbündete für Fritz Bauer: die Israelis. Ohne den Mossad wäre es Bauer nie gelungen, Eichmann vor Gericht zu bringen. Umgekehrt hätte Israel ohne Bauer nicht die nötigen Informationen und vielleicht auch nicht den Willen gehabt, den Massenmörder zu entführen und ihm den Prozess zu machen. Die Akte General inszeniert das wechselvolle Zusammenspiel Bauers mit den Israelis nicht als Heldengeschichte. Bauer selbst mochte selten über seine jüdische Herkunft reden. Wenn er im Film am Strand von Tel Aviv entlangspaziert, ein älterer, etwas steifer, zu warm angezogener Herr, dann ist er ein Fremder in diesem Land des Neuanfangs, das ganz andere Prioritäten hat als die Suche nach einem Nazi-Massenmörder und sie dann doch aufnimmt.

Nicht jede Szene ist wirklich überzeugend, die Darstellung des alten Adenauer erinnert eher an die Youtube-Clips, in denen der böse alte Imperator aus Star Wars auf Rheinisch fragt: "Watt war jätz noch mit dä Todesstern?" Insgesamt aber ist unter der Regie von Stephan Wagner (Buch: Alexander Buresch) eine Annäherung an eine Epoche gelungen, in welcher diese Republik in vielerlei Hinsicht ein anderes Land war und gewiss kein besseres. Der Film zeigt auch, dass die Verrohung der politischen Debatte während der heutigen Flüchtlingskrise nicht präzedenzlos und kein alleiniges Phänomen von Internet-Obskuranten ist. Morddrohungen, wüste Beschimpfungen, anonymes Denunziantentum, selbst Brandanschläge gab es reichlich auch in der vordigitalen Ära Adenauer.

Es ist ein ruhiger, langsamer Film, der viel Wert legt auf Dialoge und Charaktere; selbst die Szene, als das Mossad-Team Eichmann in Argentinien auf dem Heimweg überwältigt, wird eher beiläufig geschildert. Die Feinzeichnung erlaubt es aber, ein Gefühl dafür zu entwickeln, gegen welche Widerstände Fritz Bauer und seine Mitstreiter in der deutschen Justiz ankämpften: undurchsichtige Netzwerke, Verrat, Durchstechereien, Intrigen. In diese Justiz, in diesen Staatsapparat hatte Bauer wenig Vertrauen; die Gefahr, dass Altnazis im System Eichmann warnen würden, war zu groß. Daher arbeitete der Ankläger mit dem Mossad zusammen; er brach das Recht, damit Recht geschähe. Und wenn Eichmann doch in die Bundesrepublik ausgeliefert worden wäre? Bauer sagt dazu im Film einen beklemmenden Satz: "Bei einem Prozess in Deutschland hätte er vielleicht Freispruch bekommen."

Die Akte General, ARD, 20.15 Uhr.

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