ARD-Film "Der weiße Äthiopier":Zu Tränen verrührt

Der weiße Äthiopier

Hallo, Baby! Frank (Jürgen Vogel) lernt Ayantu (Sayat Demissie) kennen und lieben, und jedem Zuschauer muss das Herz aufgehen.

(Foto: ARD Degeto/WDR/MOOVIE/Yidnekache)

Man braucht keine Analysen, um die Misere des deutschen Fernsehfilms zu verstehen. Es reicht, sich den ARD-Film "Der weiße Äthiopier" anzusehen.

TV-Kritik von Katharina Riehl

Als Ferdinand von Schirach im Sommer 2009 seinen ersten Band mit Kurzgeschichten veröffentlichte, drehten sich die vielen Texte über das Buch und die Interviews mit dem Berliner Strafverteidiger immer auch um Variationen derselben Frage. Schirach hatte in seinem Band Verbrechen Fälle aus seinem Berufsalltag in kleine literarischen Formen gefasst, Geschichten über mordende Ehemänner und Schwestern oder zum Beispiel über eine Familie, die ein ganzes Gericht zum Narren hält. Die Frage, die alle bewegte, und doch im Grunde völlig nebensächlich war: Ist das alles wirklich wahr?

Auch im Presseheft der ARD bekommt Ferdinand von Schirach wieder diese Frage gestellt, die er routiniert beantwortet ("Literatur ist immer wahrer als eine fünf Meter dicke Akte"), die aber im Zusammenhang mit dem hier beworbenen Film unsinniger kaum sein könnte. Denn Der weiße Äthiopier , die unbegreiflich verkitschte ARD-Verfilmung der Kurzgeschichte "Der Äthiopier", zeigt so exemplarisch wie selten, woran es dem deutschen Fernsehfilm häufig fehlt: an Wahrhaftigkeit.

Natürlich gibt es in der ARD auch noch die supersupernette Referendarin, die Herzen knackt

Film wie Kurzgeschichte erzählen die sagenhafte Lebensgeschichte von Frank Michalka, der als Baby in einer Plastikbadewanne ausgesetzt und von lieblosen Menschen adoptiert wurde, in dessen Leben nie etwas richtig lief und der sich mit den falschen Leuten anlegte. Michalka reist dann eines Tages nach Äthiopien, einfach weil der Name des Flugziels schön und weit entfernt klingt, und bleibt. Er wird Teil einer Dorfgemeinschaft, findet eine Familie - und sitzt doch sechs Jahre später in Berlin vor dem Richter, weil er gerade in Deutschland eine Bank überfallen hat.

Trailer "Der weiße Äthiopier"

Ferdinand von Schirachs Kurzgeschichtenbände sind nicht nur wegen der unerhörten Begebenheiten darin zu Bestsellern geworden, sondern auch wegen des Tonfalls, in dem der Jurist sie erzählt. Ohne jede Ausschmückung, ohne sprachliche Girlanden, trocken und sachlich beschreibt Schirach, was seinen Mandanten widerfährt. Seine Texte sind gnadenlos reduziert auf das Wesentliche, was manche auch einem begrenzten literarischen Vermögen zuschreiben, in den kurzen Texten aber ganz wunderbar funktioniert.

Der Film nun - das Buch stammt von Heinrich Hadding, Tim Trageser ist der Regisseur - nimmt diese Geschichte und ertränkt sie im erzählerischen Zuckerguss. Angefangen damit, dass neben dem mittelalten Anwalt auch eine supersupernette Rechtsreferendarin (Paula Kalenberg) auftritt, die ins Herz des Räubers blicken und ihm seine Erlebnisse entlocken kann. Oder, wie es im Presseheft heißt: "Von einem afrikanischen Kinderlied zu Tränen gerührt, erzählt Michalka seine traurige Lebensgeschichte."

Ertränkt im Zuckerguss

Richtig unerträglich wird es dann, wenn Frank Michalka in Äthiopien ankommt, wenn sein neues, besseres Leben illustriert wird, indem schwarze, bunt bekleidete Menschen klatschend die Härten des Alltags wegsingen und ihr rares Essen mit dem weißen Mann teilen. Wenn Jürgen Vogel, der den Michalka spielt, mit dankbaren Hundeaugen seine schwarzen Freunde ansieht und den Kopf an den Bauch seiner schwangeren Frau drückt. Aus der lakonischen Geschichte Schirachs wird ein O-du-fröhliches Weihnachtsmärchen.

Die Kunst des Autors Schirach ist es, den Leser mit seinen moralischen Fragen alleine zu lassen, ihm eben nicht durch künstlich hergestellte Emotion eine fertige Meinung vorzusetzen. Das aber traut die ARD ihren Zuschauern offenbar nicht zu. Man braucht im Grunde keine klugen Analysen mehr, um zu verstehen, warum das deutsche Fernsehen mit dem der Briten, Amerikaner und Skandinavier so selten mithalten kann. Es reicht völlig, diesen Film zu sehen.

Der letzte Film, der auf einem Schirach-Text beruhte, verärgerte nicht nur Experten

Dass Der weiße Äthiopier so sensationell misslingt, ist auch deshalb interessant, weil Oliver Berben, der den Film gemeinsam mit Günter Rohrbach produzierte, sich den Kurzgeschichten Schirachs schon ganz anders genähert hat. Zwei kleine Fernsehserien hat Berben aus den Texten bereits gemacht, in Verbrechen spielte Josef Bierbichler den Anwalt, in Schuld war es Moritz Bleibtreu. Auch die beiden Serien taten sich schwer damit, den Ton der Bücher in Filmszenen zu übersetzen, den Anwalt zu inszenieren, der in den Kurzgeschichten kaum fassbar wird.

Trotzdem waren beide Serien sehr moderne, sehr gut gemachte Fernsehexperimente mit tollen Bildern und großartigen Schauspielern bis in die Nebenrollen. Dieser Film aber ist das, was man früher klassisches Süßstofffernsehen aus der Degeto-Hölle genannt hätte, doch die Degeto hat sich inzwischen deutlich verändert. Bei Der weiße Äthiopier aber ist sie Mitproduzent.

Der bislang letzte Schirach-Film im deutschen Fernsehen hatte derweil nichts mit den Erzählbänden Verbrechen und Schuld zu tun. Im Oktober zeigte die ARD die ebenfalls von Oliver Berben produzierte Gerichtsverhandlung Terror - Ihr Urteil, die auf einem Theaterstück des schreibenden Anwalts beruhte und das Publikum zum Abstimmen aufforderte: Muss ein Kampfpilot ins Gefängnis, weil er ein Flugzeug abschoss, das mit terroristischer Absicht auf ein Fußballstadion zuraste?

Terror - Ihr Urteil ist filmisch kaum mit dem Äthiopier zu vergleichen, das war ein toll inszenierter und gespielter Film, der aber in der Verkürzung der juristischen Fragestellung nicht nur Experten verärgert hat. Ein Film, der die Welt mal wieder ein bisschen einfacher machte. Genau so viel vermutlich, dass auch ein Fernsehzuschauer sie gerade noch begreifen konnte.

Der weiße Äthiopier, am 21. Dezember um 20.15 Uhr auf ARD

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