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ARD-Film "Der Liebling des Himmels":Eintauchen ins menschliche Fiasko

Regisseur Dani Levy hat die wunderbare ARD-Komödie "Der Liebling des Himmels" gedreht. Ungewöhnlich für einen Mann, der im Kommerz nie ganz angekommen ist. Eine Begegnung.

Von Claudia Tieschky

In dem Kinofilm Das Leben ist zu lang gibt es diese irre Szene, in der Alfi Seliger über die Berliner Stadtautobahn brettert. Uralter Jaguar, der Arm im Gips, in der Hand den Joint, aus der Anlage hämmert Tötet sie, tötet sie alle! von Knorkator. Seliger röhrt inbrünstig mit. Es ist die Szene, nachdem er, der Filmregisseur mit übler Lebenskrise, gerade beim Fernsehen rausgeflogen ist, wo er für gutes Geld eine schlechte Soap drehen sollte. Nicht mal das Geldverdienen klappt, weil Seliger halt unbedingt Kunst machen will, und weil das Fernsehen so ist, wie es ist.

Und jetzt hat also Dani Levy, der Regisseur und Schöpfer dieses Alfi Seliger, einen Freitagabendfernsehfilm in der ARD gedreht. Freitagabend ist der Platz für den Unterhaltungsfilm aus dem Hause Degeto, der ARD-Produktionstochter, von der meist buntes Gewese aus einer schrecklich netten Parallelwelt versendet wird. Levy droht zwar nicht wie Alfi Seliger mit einer Komödie namens "Mo-haha-med", aber in seinem Werkverzeichnis findet sich immerhin diese Hitler-Interpretation Mein Führer, in der Katja Riemann zu dem auf ihr liegenden Helge Schneider (als Adolf Hitler) den unvergessenen Satz sagt: Ich spüre Sie gar nicht, mein Führer.

Mit anderen Worten, man hätte die Paarung Dani Levy - Degetofreitag nicht unbedingt für naheliegend gehalten. Er selber auch nicht. An diesem Freitag ist also Der Liebling des Himmels von Dani Levy in der ARD zu sehen, ein Film, "der wirklich ganz aus mir heraus stimmt, wo ich sage, den kann ich voll vertreten". Andrerseits war klar, dass es schon etwas für das Freitagabendpublikum sein sollte. "Ich bin ja nicht stur", sagt Levy vergnügt.

Mit diesem Film zeigt die Degeto, dass sie sich verändern will

Was diesem Freitagabendpublikum nun brutalerweise zugemutet wird, ist eine echte Komödie, also schlimmste menschliche Abgründe. Dani Levy gibt gern zu, was man seinem Werk sowieso anmerkt: "Ich liebe amerikanische Komödien." Und zum Beweis erklärt er auch gleich, wie inspirierend für seinen Freitagsfilm die Produktion Besser geht's nicht von James L. Brooks mit Jack Nicholson als Riesenarschloch war.

Das Schöne für die Degeto daran ist, dass sie jetzt den Beweis in der Hand hat, dass sie sich wirklich verändern will, mutiger und so sein kann, wie es die Firma seit ein paar Jahren immer behauptet. Außerdem sind Axel Milberg und Mario Adorf dabei. Karl Dall hat einen Kurzauftritt und Günther Jauch auch, der spielt sich selbst.

Für Milberg, sonst Tatort-Kommissar aus Kiel, hatte der koproduzierende NDR den Film eigens entwickelt. Es gab auch schon ein Buch, als Levy engagiert wurde, das schrieb er dann allerdings völlig neu. Alles musste schnell gehen, das hat ihm gefallen. Milberg spielt den Hamburger Zwangsneurotiker Magnus Sorel, dem man schon in den ersten fünf Filmminuten dabei zusehen darf, wie er das kontrolliert, was er gerade in die Kloschüssel gemacht hat.

Dieser Mensch ist ausgerechnet Psychoanalytiker. Bisher ging das gut - aber nur, damit es vor den Augen des Zuschauers umso effektvoller in Asche zerfallen kann, als eines Tages ein Einbruch stattfindet, eine Anzeige wegen sexueller Nötigung eingeht, eine Krebsdiagnose bekannt wird. Der Mann hat jetzt allen Grund, seine Schritte mit allergrößter Vorsicht zu setzen - die Sache ist nur, man sieht ihn schon vorher auf dem Trottoir nur so und nicht anders gehen.

Seine Filme zeigen ein Lebensgefühl: Independent

Dani Levy wiederum ist mit 57 Jahren zwar ein bisschen grauer, aber nicht wesentlich älter als der Typ, der in den frühen achtziger Jahren in RobbyKallePaul mit den Dramen einer West-Berliner WG kämpfte oder der in Du mich auch mit Anja Franke durch die schwarzweiß gefilmte Stadt zog und sogar Helmut Berger für eine Nebenrolle gewann. Der Spiegel bezeichnete die Low-Budget-Beziehungskomödie als "Sperrmüllromanze in einem Berliner Wohnklo". Das war als Lob gemeint, und daran merkt man, wie lange das schon her ist. 1986 kam der Film ins Kino, er lief, wenn die Erinnerung nicht trügt, in den Programmkinos zur gleichen Zeit wie Spike Lees She's gotta have it.

Es ist aber nicht nur diese schiere Zufälligkeit der Jahreszahl, die beide Filme verbindet, oder dass beide von ungeordneten urbanen Verhältnissen handeln und das böse B-Wort, Beziehung, aus der Sicht verliebter Männer durchspielen, oder die Erinnerung an kleine schwarzgestrichene Kinos. Nein, es ist viel mehr. Es ist ein Lebensgefühl, das in Zeiten der Community so wahnsinnig lang her zu sein scheint. Dieses Lebensgefühl hieß "unabhängig", beziehungsweise Independent.

Man hat Sehnsucht nach dieser Zeit, und deswegen ist es so toll, dass sie bei Dani Levy noch da ist. Wenn man ihn fragt, ob das Wort Independent heute noch Bedeutung hat, dann lässt er sich Zeit, als ob er einer Erinnerung nachhängt. "Ja, find ich schon." Er spricht Berlinerisch, bloß mit Stimmbändern, die noch immer die runden Vokale seiner Schweizer Heimat samt den dazugehörigen kantigen Konsonanten bilden möchten.

Von dieser Schweiz, wo er in Basel in wohlbehüteter jüdischer Bürgerlichkeit aufwuchs und als Jugendlicher im Zirkus auftrat, verabschiedet er sich 1979; neun Monate lang schlägt er sich mit Gelegenheits-Jobs in den USA durch; dann geht er nach West-Berlin, wo er mitten hinein gerät in Friedensbewegung und Hausbesetzerszene, beim Kindertheater Rote Grütze spielt und das Kino entdeckt.

Zwischen den frühen Filmen und den Komödien, die ihn populär gemacht haben, liegen eine Beziehung mit der Schauspielerin Maria Schrader und einige ziemlich ernste Filme: Stille Nacht, Meschugge, Väter. Herzzerreißende Dramen über Liebe und Veränderung.

In seinem Berliner Arbeitszimmer hängt ein riesiges gerahmtes Tableau mit Fotos von Kindern und ihren Vätern - Szenen aus den Siebzigern genauso wie aus den Fünfzigern. Das Zimmer befindet sich in der Produktionsfirma X Filme, die Levy 1994 mit Stefan Arndt, Wolfgang Becker und Tom Tykwer gegründet hat. Die Bilderwand ist übrig geblieben von Väter (2002), und sie zeigt nicht nur Menschen, die mit diesem Film verbunden sind.

Sie zeigt vielleicht alles, was Dani Levy in seinen Filmen beschäftigt. Familie eben, diese kuriose Bindung, wandelbare Liebe, Dysfunktionalität, die immer ungelöste Vergangenheit. "Ich glaube", sagt er, "dass ich immer noch sehr intuitiv und ohne wirkliche inhaltliche Konzeption fast schon obsessiv an bestimmte Knoten rangehen muss, die mich beschäftigen."

"Ich sitze zwischen Stuhl und Bank"

Ein wichtiger Knoten war: "Ich, als Jude, Kind von jüdischen Flüchtlingen, lebe wieder in Berlin." So entstand Alles auf Zucker, der Film, den jeder von ihm kennt, so entstand, ausgerechnet, eine neue Phase der Komödie. Und doch: "Mein ganzes Leben habe ich irgendwie das Gefühl, bin ich nie wirklich angekommen im Kommerz. Das ist nicht nur positiv. Gerade in Zeiten von Selbstzweifeln beim Schreiben habe ich das Gefühl, ich sitze zwischen Stuhl und Bank. Ich bin jemand, der zu kommerziell ist für Arthouse und zu sehr Arthouse für den Kommerz."

Nur so eine Idee: Vielleicht gehört es dazu, gerade nicht dazuzugehören, wenn man der Regisseur und Autor ist, der am ergreifendsten vom Scheitern erzählen kann, als Lachnummer oder Drama oder genau auf der Messerschneide dazwischen. "Ich wünsche mir", sagt Dani Levy, der sich mit diesem Satz natürlich für weitere Freitagabend-Einsätze ins Spiel bringt, "unabdingbare, krasse, extreme Kunst für mich. Ich will so oft es geht, in das menschliche Desaster und Fiasko eintauchen."

Sein Magnus Sorel jedenfalls bringt es ohne Weiteres auf die Fallhöhe von Verlieren in Hollywood-Komödien oder bei Woody Allen. Und weil Sorel einer Dynastie angesehener Psychoanalytiker entstammt, kommt ein ausgewachsener Vater-Sohn-Konflikt ins Spiel, bei dem Mario Adorf den Sorel senior spielt - ein Guru-Patriarch mit langen grauen Haaren und indianischem Schmuck behängt. Als Monument der Psychoanalyse sitzt er im Sand an der Hamburger Standperle. So wunderbar hat man Adorf noch nie gesehen, und sein Sohn Milberg ist das arme Würstchen.

Es ist, man kann es nicht anders sagen, ein ARD-Film für die ganze Familie.

Der Liebling des Himmels, ARD, 20.15 Uhr.

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