Süddeutsche Zeitung

ARD-Film: "Bis nichts mehr bleibt":Operierende Thetanen

Scientology will die Menschheit "clear" machen - der ARD-Film zum Thema ist zwar mutig, lässt aber viele Fragen offen.

Marc Felix Serrao

Ein Traum. Am Horizont versinkt die Sonne im Meer, ein paar Meter weiter rauscht die Brandung, und die Blondine sagt mit weichem Blick: "Du bist so anders, ganz verwandelt." Darauf er: "Wie bin ich denn?" Und sie: "Stark."

Das ist keine neue Deo-Werbung, das ist eine Szene aus dem ARD-Film Bis nichts mehr bleibt. Ein wichtiger, mutiger Film, heißt es beim Sender, ein echtes "Event". Schon am Montag zeigte das Erste ein passendes Gespräch bei Beckmann ("Das Machtsystem"), an diesem Mittwoch, direkt nach dem Film, folgt die Diskussion bei Hart aber fair ("Sekten, Gurus und Gehirnwäsche").

Bis nichts mehr bleibt hat früh für Aufregung gesorgt. Es geht um Scientology. Und es ist das erste Mal, dass ein fiktionaler deutscher Film die umstrittene, vom Verfassungsschutz beobachtete Organisation beim Namen nennt. Die ARD und ihre Produzenten (SWR, NDR, Degeto, Teamworx) haben das Projekt mit einiger Geheimhaltung gedreht, als vermeintliche Tatort-Folge.

Man befürchte, dass Scientology einen Weg finden könnte, die Ausstrahlung noch zu verhindern, hieß es. Am Ende protestierte die selbsternannte "Kirche" zwar gegen die "religiöse Intoleranz" der ARD. Doch sehr viel mehr geschah nicht.

War alles nur Sender-PR, wie im einen oder anderen Kommentar schon angedeutet wurde? Und was ist Scientology wirklich, abgesehen von ein paar Tom-Cruise-Fans, die an Aliens glauben und irre viel Geld für seltsame Psychoseminare ausgeben? Die erste Frage kann man verneinen. Sicher, es ist PR, wenn sich ein Sender selbst Mut attestiert. Aber in diesem Fall ist die Eitelkeit verzeihlich. Es konnte ja keiner wissen, wie Scientology reagieren würde; die Liste von Fällen, in denen die Anwälte der Organisation überaus harsch auf Kritik reagiert haben, ist lang. Die zweite Frage kann der Film leider nur teilweise beantworten.

Bis nichts mehr bleibt (Buch und Regie: Niki Stein) erzählt von einer Familie, die zerbricht. Hauptfigur ist der junge Vater Frank Reiners (Felix Klare). Ein weicher, durchsetzungsschwacher, aber im Herzen guter Bursche, der sein Studium versemmelt hat und nun Taxi fährt. Er gerät als erstes in die Fänge der Organisation.

Eine nette Einladung, ein erster Psychotest, ein noch nettere Begrüßung im Kreis der Mitglieder, noch ein Psychotest ... und irgendwann wird er aufgefordert, doch mal seine Frau Gine (Silke Bodenbender) mitzubringen. Deren Familie hat Geld, das weiß auch Scientology. Nach anfänglicher Skepsis - weggespült mit Hilfe eines stürmischen Ehevollzugs im schicken Scientology-Strandhaus nach Sonnenuntergang - wagt sich auch die Frau an den Ort, von dem der Mann so schwärmt. Und ist hin und weg.

"Clear"

Gine Reiners steigt rasch auf und bucht einen Kurs nach dem anderen. Ihr Mann, dessen Taxigeld kaum ausreicht, beginnt zu zweifeln. Doch als er schließlich, mit Hilfe der um Tochter und Vermögen bangenden Schwiegereltern, aussteigen will, ist es für seine Familie zu spät. Gine ist im Scientology-Jargon bereits "clear" - frei von alten Sorgen. Mehr noch: Ein Goldarmband weist sie (wie Tom Cruise) als "operierenden Thetan" aus, als Führungsmitglied, das Materie, Raum und Zeit beherrscht.

Die Stärke dieses wichtigen, in vielerlei Hinsicht lehrreichen Films ist sein bis in die Nebenrollen ansehnliches Ensemble, allen voran der manisch-freundliche Scientology-Advokat Dr. Gerd Ruppert (Kai Wiesinger). Seine Schwäche liegt darin, dass er Scientology trotz aller Mühe um Faktentreue und Vollständigkeit nicht wirklich zu fassen bekommt.

Psychogespräch mit Hauptwiderstandsmessung

Sicher, man versteht, dass einer wie Frank Reiners auf Zuwendung stark reagiert. Besonders das "Auditing", ein Psychogespräch mit Hautwiderstandsmessung, wird gut erklärt. Doch vieles wird nur angerissen, ohne weitere Begründung. Das stumme gegenseitige Anstarren der Mitglieder etwa. Die Auf- und Abmarschiererei zwischen zwei Wänden. Saunagänge in Klamotten. Offiziersuniformen wie aus dem Karnevalsgeschäft. Hier macht der Film viele Fässer auf, die er für Zuschauer, die keine Scientology-Experten sind, nicht wieder schließen kann.

Ein Rätsel bleibt auch die Frau. "Ron sagt...", sagt Gine beim Streit mit Frank - und zitiert Scientology-Gründer Ron Hubbard. Man begreift leider nicht, wie aus diesem reizenden, geistig gesunden Fräulein, das dem Taxifahrerfreund zuliebe anfangs selbst dem stolzen Kaufmannspapa (wunderbar knöterig: Robert Atzorn) die Stirn bietet, wie aus ihr so rasch eine hirnlose Sprechpuppe werden konnte. Was nicht heißen soll, dass Scientology zu so etwas nicht imstande wäre. Nur verstanden hätte man ihn gerne: diesen Albtraum.

Mittwoch, 31.3.2010 "Bis nichts mehr bleibt", ARD, 20.15 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 31.3.2010/berr
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