ARD-Film "Auf der Straße":Ältere Frau am Abgrund

Auf der Straße

Hanna (Christiane Hörbiger) schlurft durch die Gegend, ihr Leben zieht sie in einem Rollkoffer hinter sich her. Sie ist im Alter verarmt.

(Foto: Svenja von Schultzend/ARD Degeto)

Wenn sich das deutsche Fernsehen dem Altwerden widmet, blickt der Zuschauer in eine äußerst düstere Zukunft. Und fragt sich: Habe ich noch alle Tassen im Schrank?

Von Joseph von Westphalen

Die Fans werden es schon seit Wochen wissen und die Receiver längst auf Aufnahme gestellt haben, um die Youtube-Zusammenstellungen von Lieblingssequenzen sofort mit neuen Szenen zu ergänzen: Am kommenden Montag sendet das Erste den Film Auf der Straße mit Christiane Hörbiger.

Christiane Hörbiger, die gerne als "Grande Dame" bezeichnet wird, und die, gäbe es einen Preis für die adretteste Schauspielerinnenfrisur mit Sicherheit in die engere Wahl der Jury käme, spielt hier eine Frau ihres durchaus vorgerückten Alters, die nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes in furchterregender Geschwindigkeit zur Obdachlosen wird. Ihr Mann hatte ihr seinen beruflichen Bankrott verheimlich, die Pfänder lassen ihr nichts als ein paar Habseligkeiten.

Vor ihrer mittelständischen Ehe war sie (Ironie?) Inhaberin eines kleinen Friseursalons gewesen, nun hängen die sonst so haubenhaft geföhnten Hörbiger-Haare flusig herunter. In Klamotten, die kein Flüchtling tragen, die keine Flüchtlingshilfe annehmen würde, schlurft sie durch die Gegend und zieht einen armseligen Rollkoffer hinter sich her, mit dem sie sich unter den anderen Obdachlosen, etwas fremd und verrückt ausnimmt.

Brücken sind in Hamburg nicht so romantisch wie in Paris

Es gibt da natürlich noch Hoffnung: eine Tochter nämlich, die ihre Mutter allerdings so sehr hasst, dass sie ihrem herzensguten Lebensgefährten (warum muss der so abscheulich tätowierte Oberarme haben?) und ihrer Tochter gegenüber behauptet hat, ihre Eltern seien längst gestorben. Ein Familiendrama muss sich früher abgespielt haben. Christiane Hörbiger, die hier Hanna Berger heißt, weiß, dass sie sich als Mutter schäbig verhalten hat.

Weil sie aus Ehrgefühl, Stolz und schlechtem Gewissen der Tochter keinesfalls zur Last fallen möchte, geht sie nicht zum Sozialamt, schläft lieber im Freien, lässt sich von (freundlichen) Polizisten von der Parkbank zur Obdachlosenunterkunft bringen, hält den Horror dort nicht aus, flüchtet unter die Brücken, die in Hamburg nicht so romantisch sind wie in Paris, wird bestohlen und legt sich flaschensammelnd mit Flaschensammlern an.

Der Film kann so trostlos nicht aufhören, der Mut wäre zu viel verlangt. Man ahnt, es muss Versöhnung von Mutter und Tochter geben, und die wird zwangläufig kitschig ausfallen. Das Ende immerhin ist dann wenigstens nicht happy, sondern hellgrau. Den überraschend schnellen Absturz in die Armut kann der Zuschauer, der eine magere Rente zu erwarten hat, mit einigem Grusel nachvollziehen. Christiane Hörbiger spielt die Obdachlose mit einer fast besessen Inbrunst. Stellenweise glaubt man ein verwahrlostes Weib aus Gorkis Nachtasyl oder eine unverträgliche Hexe aus einem Shakespeare-Stück vor sich zu haben.

Mut zur Hässlichkeit und zum Armseligen

Man kann das übertrieben finden, eindringlich aber ist es, und man muss den Mut der Schauspielerin zur Hässlichkeit und zur Darstellung des Armseligem bewundern. Die immer jung und blendend aussehende Iris Berben kann man sich in der Rolle nicht vorstellen.

Nun ist Christiane Hörbiger seit einigen Jahren gut eingeübt, was ältere Frauen am Abgrund betrifft. Das deutsche Fernsehen wollte es so. Vor nicht allzu langer Zeit hat sie auch sehr drastisch eine ältere Alkoholabhängige gespielt, dann eine Firmenchefin mit Alzheimer. Man hat den Eindruck, dass sich die Schauspielerin in jenem Milieu wohler fühlte, als jetzt vor dem Geldautomaten, der die Karte einzieht.

Auf der Straße ist der Auftakt zu einem so genannten Themenabend Armut, der mit einer Dokumentation von Reinhold Beckmann über Menschen fortgesetzt wird, die in eine finanzielle Misere geraten sind. Vermutlich werden in nächster Zeit weitere Filme über die Altersarmut entstehen und irgendwann wird es sich sicher auch Iris Berben nicht nehmen lassen, eine verarmte Adelige zu spielen. Und sicher wird es nicht bei einem Themenabend bleiben, es dürfte in nicht allzu ferner Zukunft eine ganze Themenwoche Altersarmut geben, so wie es vor drei Jahren im besinnlichen November 2012 die ARD-Themenwoche "Leben mit dem Tod" gegeben hatte - mit zum Teil ziemlich guten Filmen.

Filme stürzen sich auf die Probleme der Zeit

Dass unsere genusssüchtige Gesellschaft den Tod und das Elend verdränge, ist eine Behauptung, die gebetsmühlenartig vorgebracht wird, wenn von Tod und Elend die Rede ist. Von Verdrängung kann keine Rede sein. Das Gegenteil ist der Fall.

Auch wenn an diesem Samstag gerade die eher gemütliche ARD-Themenwoche "Heimat" zu Ende geht, muss zugestanden werden, dass nicht nur die öffentlich-rechtlichen Sender, sondern auch die Kinofilme den Problemen der Zeit nicht ausweichen, sondern sich geradezu auf sie stürzen.

Alzheimer und die Demenzerkrankungen waren bisher die mit Abstand beliebtesten Elendsthemen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Es sind in den vergangenen Jahren derart viele Spielfilme, Dokumentarfilme und Semidokumentationen über das Vergessen und Verdämmern und Verschwinden der Erinnerung gedreht worden, eine Themenwoche Demenz würde nicht annähernd ausreichen, um auch nur die sehenswertesten dieser Produktionen zu zeigen.

Mit Hilfe von ein paar DVDs, Youtube-Videos, dem Streamen von Filmen und der guten alten Google-Suchmaschine mit ihren oft doch recht hilfreichen Algorithmen kann man seine eigene Demenz-Themenwoche zusammenstellen und sich dabei fragen, ob man noch alle Tassen im Schrank hat.

Kurzzeitgedächtnisverlust? Typisch.

Als Vorbereitung auf den aktuellen Hörbiger-Altersarmutsfilm empfiehlt es sich, mit dem Hörbiger-Alzheimerfilm (Stiller Abschied) zu beginnen. Dann den quälend- guten Brandauer-Demenz-Film Auslöschung, wenn man den noch nicht kennt. Dann das Demenz-Drama mit Robert Atzorn, das erst vor wenigen Wochen im ZDF lief (Mein vergessenes Leben). Dann Hannelore Hoger (Nichts für Feiglinge). Nach fünf Filmen hintereinander, kann man sich bereits bei zweien nicht mehr erinnern, wie sie ausgehen. Panik.

Nur Heino Ferch hat bisher keinen Demenzkranken spielen dürfen

Kurzzeitgedächtnisverlust? Typisches Symptom. Oder will das Gedächtnis so viel Elend einfach nicht behalten. Vielleicht hat man doch noch keine Alzheimerplacken im Hirn, sondern eine Art Sicherung, die rausfliegt, wenn es zu viel wird. Schutz vor Überlastung. Aber wieso merkt man sich, was man sich keineswegs merken will? Es gab auch jede Menge Talkshows zum Thema. Verona Feldbusch plapperte von ihrer dementen Mama. Wieso merkt man sich, dass die nach ihrer Hochzeit Pooth heißt und ihr Mann mit Vornamen Franjo? Solches Idiotenwissen will niemand in seinem Kopf.

Forscht man nach dem Thema Demenz im Film, stößt man auf diverse Alzheimer-Gesellschaften und bald auf die Homepage des Familienministeriums. Neben einem Grußwort der Ministerin (na, wie heißt sie doch gleich?) werden Dutzende von Filmen zum Thema Demenz empfohlen. Ist das nicht nett, wie wir Bürger spielfilmerisch darauf vorbereitet werden, was demnächst jedem Fünften von uns blühen soll, wenn er unbedingt mehr als 80 Jahre alt werden will.

Eher komisch als beklemmend

Richtig, Til Schweiger hat ja mit Didi Hallervorden eben erst einen Gaga-Film gedreht (Honig im Kopf). Fast kein älterer deutscher Schauspieler, der nicht schon einen Demenzkranken gespielt hat. Götz Georges Vergesslichkeit (Mein Vater) brachte Dutzende von Amazon-Kunden zum ergriffenen Schwärmen, Horst Janson (Eines Tages), auch gut, aber weniger massenkompatibel. Michael Gwisdek (Vater Morgana) natürlich eher komisch als beklemmend.

Nur Publikumsliebling Heino Ferch hat bisher noch keinen Dementen spielen dürfen. Zu jung? Er hat sich neulich in einer Siegfried-Lenz-Verfilmung (Der Verlust) in so kurzer Zeit von einem Schlaganfall erholt, ihm wäre sogar zuzutrauen, dass er entgegen allen besseren medizinischen Wissens allein kraft seiner gewaltigen Nackenmuskulatur auch diese Krankheit besiegt.

Fast alle Demenzkranken im Film haben keine größeren finanziellen Probleme. Es ist zu hoffen, dass kein Drehbuchautor oder Produzent auf die Idee kommt, das neue Medienthema Altersarmut mit Alzheimer zu verknüpfen. Arm und dement - das wird zwar in der grausamen Wirklichkeit zukünftig das eigentliche Problem werden, aber für den Zuschauer ist das dann wirklich zu viel.

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