ARD-Drama "Die Auslöschung":Liebe am Anfang vom Ende

Die Auslöschung SWR Klaus Maria Brandauer Martina Gedeck

Das Bewusstsein von Kunsthistoriker Lemden (Klaus Maria Brandauer) erlischt in der Demenz, Judith (Martina Gedeck) ist bei ihm.

(Foto: SWR/Petro Domenigg)

Subtil und klischeefrei: "Die Auslöschung" zeigt, wie zwei nicht mehr ganz junge Menschen die Liebe in ihr Leben hereinbrechen lassen und die Vergänglichkeit ertragen. An diesem Film gelingt fast alles.

Von Rebecca Casati

Wien, eine Familienfeier, wie man sie sich sehnsuchtsvoll ausmalt: Die Gesellschaft hat an der weißgedeckten Tafel, im Schatten einer Kastanie, Platz genommen, eines ihrer Kinder ist getauft worden, über ihnen bestätigt der Himmel die Ewigkeit.

Klaus Maria Brandauer, der hier den Kunsthistoriker Ernst Lemden verkörpert, steht auf und hält eine dieser Reden, die die Lemdens dieser Welt eben halten: Seneca zitierend, aufs Gemächlichste egoman und auf den Applaus der Bildungsbürgertumsbeflissenheit hin getaktet. Lemdens Rede mündet in einem etwas deplacierten Witz: "Kennt ihr die Vorteile von Demenz? Man lernt immer neue Leute kennen. Man kann seine Ostereier selber verstecken. Und, ähm? Man lernt immer neue Leute kennen!" - ha, ha, ha . . .

Hier ahnt man als Zuschauer nicht, dass Lemden sich bereits mit etwas befasst, das sich seines scharfen Geistes zusehends bemächtigt. Es ist in der Familie immer nur ein bisschen nebulös davon die Rede, dass "der Papa sich endlich wieder berappelt", seit er sich neu verliebt hat.

Von ihrer Ernsthaftigkeit bezaubert

Seine neue Liebe heißt Judith, sie restauriert Gemälde und ist der Welt etwas abhanden gekommen, irgendwo in den Vierzigern oder Fünfzigern, zwischen Museum und Altbauwohnung. In den eitlen, umschwärmten, mondänen Lemden verliebt sich so ziemlich von jetzt auf gleich, als er einen Vortrag bei ihr im Museum hält. Seit dem Tod seiner Frau hat der, so hört man heraus, nur noch seine Groupies flachgelegt. Er ist von ihrer Ernsthaftigkeit bezaubert. Und dann ergreifen diese beiden nicht mehr ganz jungen Protagonisten die Chance, die ihr Lebensabschnitt angeblich nur noch selten birgt.

Das klingt, in der saturieren Rotweintrinkerwelt von Ü50-Akademikern angesiedelt, erst mal unsexy. Ist es aber nicht, weil die äußeren Umstände universal werden, wenn etwas so gut und plausibel erzählt wird wie hier, nämlich: Wie zeitungebunden Liebe sein kann, wenn man nur tapfer genug ist, sie jederzeit reinbrechen zu lassen. Wie einerseits gnädig sie die Perspektive werden lässt. Und wie unbarmherzig andererseits.

Wie sich zwei ineinander verlieben, Boy Meets Girl, das ist die am häufigsten erzählte Geschichte der Welt. Die Menschen werden auch nie genug davon bekommen, weil sie den Anfang von allem beschreibt; nur dass sie hier den Anfang vom Ende meint. Doch zunächst tun diese Neuverliebten, was Neuverliebte so tun: Wein trinken, des anderen Anhang kennenlernen, einander bekochen, das Zusammenziehen diskutieren, allen Freunden auf die Nerven gehen, aufs Land fahren und Steine über den See flitschen lassen. Im Wesentlichen: die Zeit stoppen.

Ganz und gar unzynisch

An diesem Film stimmt und gelingt wirklich fast alles. In den Hauptrollen spielen Klaus Maria Brandauer und Martina Gedeck. Zwei ehrfurchtgebietende Großnamen, was gegen die alte Besetzungsregel verstößt, nach der ein Star den anderen killt. Hier nicht, beide lassen einander und ihrem Schicksal Raum, Brandauer spielt den eitlen Pfau gänzlich uneitel, nach Gedeck kann man sich eine Restauratorin gar nicht mehr anders vorstellen als verhuscht, mit ungebändigten Locken und gemusterten Kleidern. Brandauer wirkt gespannt, Gedeck irgendwie amorph, und dann zerfließen doch beide, als die Krankheit in ihr Leben rinnt. Auch diese Geschichte hat man schon gesehen, gehört und gelesen; weil sie das Ende beschreibt. Und auch das wird subtil und klischeefrei erzählt. Bleibt nur ein Mini-Makel.

Drehbuchautor (mit Agnes Pluch) und Regisseur ist der grimmepreisdekorierte Österreicher Nicolaus Leytner, der seine Geschichte sicher nicht zufällig so genannt hat wie Thomas Bernhard sein letztes Prosawerk. In dem es allerdings um einen Bewusstseinsstrom, nicht um dessen Verlust geht. Der Titel des Zynikers Bernhard ist kein passender für das Sterben in diesem ganz und gar unzynischen Film. Der damit beginnt, dass die Protagonisten einen Regenbogen betrachten. Ein Schnipsel aus einem Video und, wie man hinterher weiß, zugleich Antizipation des großen Ganzen:

Er: "Ich glaube, jetzt ist es vorbei. . ."

Sie: "Aber schön war's."

Die Auslöschung, ARD, Mittwoch, 20.15 Uhr.

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