Seit dem Referendum über den Brexit und der Wahl in den USA sind Erforschungen des Phänomens Fake News fast so populär wie die gefälschten, oft reißerischen Nachrichten selbst, die im Netz manchmal sogar mehr Klicks bringen als wirklich informierende Beiträge. Erst am Mittwoch veröffentlichte etwa Buzzfeed eine Analyse, der zufolge sieben der zehn erfolgreichsten Artikel über Angela Merkel auf Facebook Fake News seien. Die meisten Interaktionen gab es demnach für die Schlagzeile "Angela Merkel: Deutsche müssen Gewalt der Ausländer akzeptieren", die von einem Videoportal namens Gloria.tv verbreitet wurde. Tatsächlich hatte die Kanzlerin gesagt, man müsse die hohe Zahl der Straftaten akzeptieren, im Sinne von: Man darf davor nicht die Augen verschließen. In dem Gloria.tv-Beitrag fehlte dieser Kontext aber.
Wie werden Falschinformationen die Bundestagswahl beeinflussen?
Auch die Dokumentation Im Netz der Lügen, die die ARD an diesem Montag zeigt, versucht, das Modethema zu erklären, in dem es sich seinem Sujet nach Art der Sendung mit der Maus nähert: Was sind Fake News? Wie werden sie gemacht und warum verbreiten sie sich so schnell? Aber natürlich auch: Was kann man gegen gezielte Desinformation unternehmen? Der Ansatz ist ehrenwert: Nur weil Journalisten sich in den vergangenen Monaten schon viele Gedanken über das Thema gemacht haben, weil es ihren Beruf betrifft, muss das für das normalinteressierte Fernsehpublikum nicht ebenso gelten.
Als roter Faden dient dem Film ein Experiment der Universität Hohenheim, das zugleich eine Anleitung zur möglichst wirksamen Verbreitung von Fake News ist - auch wenn das freilich nicht die Intention des Filmemachers gewesen sein dürfte. Claus Hanischdörfer begleitet zwei Kommunikationswissenschaftlerinnen, die sich die Nachrichtenseite "Der Volksbeobachter" ausdenken, dort eine leicht als falsch zu erkennende Lügengeschichte über Gratis-Prostituierte für Flüchtlinge veröffentlichen und sich dann bemühen, diese mithilfe eines erfundenen Facebook-Profils so weit wie möglich im Netz zu verbreiten.
Dazwischen trifft Hanischdörfer Menschen, die auf verschiedene Arten mit dem Thema befasst sind: Die Organisation Mimikama, die sich mit Fake News schon befasste, bevor das Thema Konjunktur hatte, Polizisten aus Mannheim, denen vorgeworfen wird, islamistischen Terror zu verschweigen, aber auch den Lokalreporter Michael Würz vom Zollern-Alb-Kurier. Falschmeldungen aus dem Netz wie die, dass Flüchtlinge die Tiere aus dem örtlichen Streichelzoo gegrillt und gegessen hätten, versucht er, durch persönlichen Kontakt zu den Lesern auszuräumen. Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Schweiger erklärt den Begriff der Filterblase, und dass der Erfolg der Fake News auch mit Elitenverdrossenheit zu tun habe: "Alle die da oben, die sich zusammengetan haben, gegen die kleinen Leute da unten."
In den meisten Abhandlungen zum Thema bleiben jene viel beschworenen "kleinen Leute" eine anonyme, fremde Gruppe. Im Netz der Lügen trifft einen 68-Jährigen und dessen Hund "Herr Schröder". Der Mann hat früher SPD gewählt und ist heute für die AfD. Seit er Facebook nutzt, fühlt er sich besser informiert als vorher. Fake News hat er schon häufiger dort geteilt. "Was ich in Facebook mach', das ist meine Art von Protest", sagt er.
Um die Frage, wie Fake News politische Entscheidungen beeinflussen können, kreist eine zweite Dokumentation, die die ARD im Rahmen eines Themenschwerpunkts unmittelbar vor Im Netz der Lügen sendet: Infokrieg im Netz sucht in Washington, Moskau und Berlin nach Hinweisen, wie gezielte Manipulationen im Internet die Bundestagswahl beeinflussen können.
"Dass Facebook und andere Netzwerke das Problem in den Griff bekommen, ist unwahrscheinlich", heißt es in Hanischdörfers Film kurz vor dem etwas schwülstigen Schlussappell, dass "Fakten und Aufklärung" notwendig seien, "damit die Gesellschaft nicht weiter polarisiert wird". Das ist ganz schön alarmistisch, aber zugleich völlig korrekt.
Infokrieg im Netz , Das Erste, 23 Uhr; Im Netz der Lügen , 23.45 Uhr.