ARD-Dokumentarfilm:Nicht jeder Muslim trägt einen Sprengstoffgürtel

Lesezeit: 3 min

Wegsehen unmöglich: Bei einer Aktion in Essen sollen die brutalen Auswüchse des Islam für jeden Passanten deutlich werden - gezeigt von Muslimen. (Foto: Till Vielrose/dpa)

Der ARD-Dokumentarfilm "Glaubenskrieger" erzählt vom Kampf zweier muslimischer Brüder gegen die Vereinnahmung ihrer Religion durch Gewaltideologien.

Von Moritz Baumstieger

Das Spiel mit der Angst funktioniert einfach zu gut, als dass man sich ihm entziehen könnte - das gilt im Fall der Glaubenskrieger gleichermaßen für Regisseur Till Schrader hinter der Kamera als auch für die Männer davor. "So weit läuft alles", sagt zu Beginn des Dokumentarfilms ein bärtiger junger Mann auf Arabisch zu einem anderen. "Aber Ahmed muss die Pistole noch besorgen." Man werde um elf Uhr vormittags losschlagen, wenn die Fußgängerzone voll ist. Bis die Polizei komme, sei die Aktion gelaufen.

Was ist das, die Planung eines islamistischen Anschlags in der Bundesrepublik, von einer Kamera mitgeschnitten fürs deutsche Fernsehen? Düsseldorf, der Ort, an dem die Dokumentation in weiten Teilen spielen wird, stand bei der Terrormiliz Islamischer Staat tatsächlich als Ziel eines Anschlags im Visier, das behauptet zumindest ein syrisches IS-Mitglied, das sich 2016 stellte. Der Anschlag aber, den die jungen Männer zu Beginn des Films vorbereiten und anschließend auch ausführen, ist kein gewaltsamer. Es ist ein Anschlag auf das Islambild vieler Muslime und Islamhasser in Deutschland gleichermaßen.

Anschlag von London
:Gewöhnen wir uns an den Terror?

Mittlerweile beschäftigen Anschläge die Öffentlichkeit nur noch kurz. Zugleich aber machen Rechtspopulisten mit ihnen erfolgreich Politik. Wie passt das zusammen? Ein Gespräch mit dem Soziologen Armin Nassehi.

Interview von Kathleen Hildebrand

Die Gruppe will zeigen, dass auch Muslime von der Gewaltideologie abgestoßen sind

Hassan Geuad - der junge Mann, der nach der Pistole fragte - wird mit seinen Freunden kurz darauf in der Fußgängerzone von Essen ein grausiges Spektakel inszenieren: Vermummte Gestalten treiben Gefangene vor sich her und richten sie anschließend scheinbar mit einem Kopfschuss hin. Um zu zeigen, dass auch Muslime von der Gewaltideologie abgestoßen sind, stellt die von Hassan und seinem Bruder gegründete Gruppe "12thMemoRise" die grausigen Inszenierungen in der Öffentlichkeit nach, niemand soll wegsehen können. Um auch die schärfsten Islamgegner davon zu überzeugen, dass nicht jeder Muslim einen Sprengstoffgürtel trägt, fahren die Brüder zu Pegida und auf rechte Demos in Berlin.

Mit dem Film Glaubenskrieger beginnt in der ARD die Saison des Dokumentarfilms, in der Sommerpause der Talkshow von Sandra Maischberger laufen in den kommenden Wochen immer mittwochs Dokus in Spielfilmlänge, ein Genre, das im Programm der öffentlich-rechtlichen Sender sonst kaum eine Rolle spielt. Erst vor ein paar Wochen hatten einige bekannte deutsche Dokumentarfilmer ihre Arbeitsbedingungen angeprangert, es ging um schlechte Bezahlung, aber vor allem auch darum, dass die Königsdisziplin für Dokumentarfilmer, der 90-Minüter, fast nie ins Programm findet - in der ARD quasi nur im Sommer, so wie jetzt, und auch da nur am sehr späten Fernsehabend.

Vorgebracht wurde die Kritik im Rahmen einer Preisverleihung, der SWR hatte zum Deutschen Dokumentarfilmpreis geladen, was insofern schlüssig war, als ARD und ZDF in diesem Genre zwar gern Preise vergeben und den Nachwuchs fördern, für die Filme selbst dann aber wenig Platz freiräumen. Die Idee zu Glaubenskrieger entschied im vergangenen Jahr auf der Berlinale den Wettbewerb "Top of the Docs" für sich, das beste Filmkonzept bekommt dort 250 000 Euro für die Umsetzung.

Der Film wirkt nur wenig inszeniert

Till Schrader gewann mit Hassans Geschichte, die sich ganz anders entwickelte als erwartet. Denn beschimpft wurde der 26 Jahre alte Student der Medienwissenschaften schon immer, doch als er offensiv deutsche Islamverbände dazu auffordert, sich mit großen Demos vom Terror zu distanzieren, kommen bald Todesdrohungen.

Für den Filmemacher ist diese Wendung Glück und Unglück zugleich: Unglück, weil sich die Gruppe zunächst unter dem Schock der Drohungen auflösen will, Glück, weil sie sich später zu einer Wiedervereinigung entschließt und Schrader so all ihre Zweifel und Ängste eingefangen hat. Interviews, die das reine Beobachten der Kamera unterbrechen, setzt er dabei nur sehr spärlich ein, und so wirkt der Film über die jungen Muslime, die für ihre Zwecke auf Inszenierung setzen, selbst nur wenig inszeniert. Gleichzeitig könnte der Zuschauer an manchen Stellen mehr Einordnung gut gebrauchen: Dass die Brüder Geuad, die mit ihren Eltern einst vor Saddam Hussein aus dem Irak flohen, als Schiiten für eine sunnitische Terrororganisation wie den IS grundsätzlich als Ungläubige gelten und so Zielscheibe sind, erfährt man nur am Rande. Der ästhetische Anspruch des Films erschwert zuweilen den Zugang in das politisch und gesellschaftlich komplexe Thema.

Immer wieder fragen sogenannte besorgte Bürger oder Politiker, warum so wenige Muslime ihre Stimme gegen Islamisten erheben. Tatsächlich halten sich Teile der Community zurück, auch weil sie Extremisten zwar als fehlgeleitet, aber als Brüder und Schwestern verstehen. Dass es auch andere Stimmen gibt und man sie nur hören wollen muss, das zeigt der Film - gut versteckt im Nachtprogramm der ARD.

Glaubenskrieger , Das Erste, 23.15 Uhr.

© SZ vom 19.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusJulia Kristeva im Interview
:Wie Europa sich erholen kann

Unser Kontinent ist in einer tiefen Krise. Die Psychoanalytikerin und Philosophin Julia Kristeva analysiert am Beispiel der französischen Depression, wie die Gesellschaft da wieder rauskommt.

Interview von Alex Rühle

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: