Süddeutsche Zeitung

ARD-Doku über Militärputsch:Seit es in der Türkei nicht mehr hell wurde

Zum ersten Jahrestag zeichnet eine ARD-Doku den türkischen Putschversuch nach - in angenehm unvoreingenommenem Ton.

TV-Kritik von Mike Szymanski, Istanbul

Drei Männer liegen am Boden. Sie sind verwundet, von Kugeln getroffen. Soldaten haben auf sie geschossen. Einer wimmert. "Wo bist du verletzt?", fragt ein Mann, der den Moment filmt. "Bruder, komm langsam her, wir bringen dich mit dem Auto weg. Gib mir deine Hand."

Es ist die Nacht zum 16. Juli 2016, eine Straße mitten in Ankara. Es ist die Nacht, in der Teile des Militärs den Aufstand gegen Präsident Recep Tayyip Erdoğan wagen. Eine blutige Nacht. Seither ist es in der Türkei noch nicht wirklich wieder hell geworden.

Auch der Film liefert keine klaren Antworten - wohl aber eine unvoreingenommene Annäherung

Zum Jahrestag des Putschversuchs am 15. Juli hat sich ein Team um den ARD-Korrespondenten Oliver Mayer-Rüth aufgemacht, die Geschehnisse dieser Nacht nachzuzeichnen.

Die Nacht, in der die Panzer rollten heißt ihr 45 Minuten langer Film. Gleich zu Beginn werden zentrale Fragen aufgeworfen: Wer gab den Einsatzbefehl? Wer trägt die Verantwortung? Was wusste die Spitze des Staates?

Große Fragen. Wenn sie denn geklärt wären, könnte das Land womöglich langsam zur Ruhe kommen. Aber so weit ist die Türkei noch lange nicht. "Es gibt viele dunkle Punkte bei diesem Putsch", dämpft ein Admiral gleich zu Beginn die Erwartungen. Auch die Dokumentation vermag deshalb keine präzisen Antworten zu liefern. Wohl aber eine Annäherung, vorgetragen in angenehm unvoreingenommenem Ton.

Ausgehend von jener Nacht blicken die Filmemacher zunächst zurück, greifen die Spur der mutmaßlichen Putschisten auf. Die Regierung in Ankara macht Erdoğans ehemaligen Gefährten für den Putsch verantwortlich, den islamischen Prediger Fethullah Gülen und die nach ihm benannte Bewegung.

Es gibt wenig, was die Türkei noch eint

Die Dokumentation beschreibt, wie sie über Jahrzehnte ein Netzwerk aufbauen konnte, das weit in den Staatsapparat hineinreichte. Im Schatten der Mächtigen war Gülen lange geduldet, unter Erdoğan habe dessen Bewegung ihre Blütezeit erlebt, berichten Zeitzeugen. Dann kam es zum offenen Machtkampf.

Aus deutscher Sicht hatte der Chef des Bundesnachrichtendienstes Bruno Kahl in einer umstrittenen Äußerung Zweifel an Gülen als Drahtzieher des Putsches geäußert.

Die Dokumentation hält Kahl reihenweise türkische Oppositionspolitiker und frühere Militärs entgegen, die Gülen sehr wohl für verantwortlich halten. Belegt ist damit zwar noch nichts. Der Zuschauer bekommt aber einen guten Eindruck davon, wie sehr die Sichtweisen auseinandergehen. Wie sehr die türkische Gesellschaft davon überzeugt ist, dass ihr Staat von Feinden unterwandert wurde.

Es gibt wenig, was die Gesellschaft noch eint, das Feindbild Gülen gehört dazu. Der Film blendet nicht aus, wie eng Gülen und Erdoğan einst waren, auch wenn der AKP-Politiker Mustafa Yeneroğlu darauf besteht, es habe nicht die geringste Sympathie gegeben.

Der Schatten der Putsch-Nacht reicht bis heute

Sehenswert ist die Dokumentation allein schon wegen der Filmaufnahmen aus der Putschnacht. Sie zeigen dramatische Szenen, Momente, in denen sich Bürger und Soldaten gegenüberstehen und um das Land ringen. Momente, in denen blinde Wut herrscht und Zivilisten auf Putschisten einprügeln mit allem, was sie in die Finger bekommen.

Der Schatten dieser Nacht reicht bis heute. Aus berechtigter Strafverfolgung sei - so die Menschenrechtlerin Emma Sinclair-Webb - eine Hexenjagd auf alle geworden, die der Regierung nicht passten.

Das letzte Wort im Film hat nicht der Mann, der sich seither stärker denn je fühlt: Erdoğan. Das letzte Wort hat eine nach dem Putschversuch entlassene zerbrechliche junge Lehrerin, eine Linke, die einfach nur ihren Job zurückhaben will.

Die Nacht, in der die Panzer rollten, Das Erste, 23.10 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 10.07.2017/pak
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