ARD-Doku:Schrecklich modern

Geschichte im Ersten

Schon immer sehr geschäftstüchtig: Das Foto zeigt das Bayerkreuz am Eingang der Bayer AG, aufgenommen im Jahr 1955.

(Foto: WDR/picture-alliance)

Die Filme der Reihe "Akte D" sind Geschichtsfernsehen im besten Sinne: aufklärerisch, mit ganz klassischen Mitteln, ohne bombastische Effekte.

Von RENÉ MARTENS

Zu viele Spielszenen, bombastische Musik, Freunde oder Verwandte von historischen Protagonisten als Zeitzeugen - solche Elemente tragen oft dazu bei, einem zeitgenössische TV-Geschichtsdokumentationen zu verleiden. Die Macher der ARD-Reihe Akte D, die es sich unter anderem zum Ziel gesetzt hat, die Geschichte deutscher Industriebranchen zu beleuchten, setzen auf einen anderen Weg: Sie werten Akten aus, befragen Historiker und andere Fachleute, zeigen Ausschnitte aus den TV-Archiven. Klingt profan, aber die erste Staffel entfaltete eine derart aufklärerische Kraft, dass sie 2015 mit einem Grimme-Preis belohnt wurde.

Zum Auftakt der zweiten Staffel zeigt die ARD am Montagabend "Die Macht der Pharmaindustrie". Mit dem Thema einzusteigen, liegt nahe, denn von dieser "Macht" und den gemessen an anderen europäischen Ländern überhöhten Medikamentenpreisen ist letztlich jeder Zuschauer in irgendeiner Form betroffen. Autor Winfried Oelsner geht zurück bis ans Ende des 19. Jahrhunderts, als die Firma Bayer das Wundermittel Heroin erfand. Geschäftstüchtig, um es wertfrei zu formulieren, war das Unternehmen schon früh: Obwohl das Medikament ab 1904 als Droge genutzt worden sei, habe die Firma die Heroinproduktion erst in den 1920er Jahren eingestellt, betont Oelsner.

Die Folge über Waffenhandel ist die brisanteste, weil sie einen aktuellen Nebenstrang hat

Die heutige Macht der Medikamentenproduzenten basiert unter anderem auf einer historisch gewachsenen laxen Gesetzgebung - sowohl was Preiskontrolle als auch Arzneimittelsicherheit angeht. 1992 wollte der damalige Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) eine sogenannte Positivliste einführen, wonach nur die Kosten für nachweislich wirksame Medikamente von der Krankenkasse erstattet werden sollten. Daraus wurde nichts. Jahre später sagte Seehofer in einem von Oelsner eingebauten TV-Interview, "seit 30 Jahren" bzw. "bis zur Stunde" seien "sinnvolle, strukturelle Veränderungen auch im Sinne von mehr sozialer Marktwirtschaft im deutschen Gesundheitswesen wegen des Widerstandes der Lobbyverbände nicht möglich." Selten hat ein Minister oder Ex-Minister, erst recht keiner von der CSU, sich so deutlich zu seinen eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten geäußert.

Wie Oelsner in "Die Macht der Pharmaindustrie" beschreibt auch Dirk Laabs in "Das Comeback der Rüstungsindustrie", dem zweiten Film der Staffel, dass Bundesregierungen immer wieder in Angriff nahmen, Gesetze zu verschärfen, doch die Pläne entweder im Sande verliefen oder allenfalls in abgeschwächter Form umgesetzt wurden. Der Film über den Waffenhandel ist der brisanteste in der neuen Staffel, denn er hat einen aktuellen Nebenstrang: Die mangelnde Rüstungsexportkontrolle ist zumindest eine der Ursachen für das Elend im Nahen Osten und damit indirekt auch für die Flüchtlingsbewegungen. So steigt Laabs, der vor allem durch Recherchen zum Rechtsextremismus bekannt wurde, mit einer Szene aus Syrien ein. Sie zeigt, wie dem Islamischen Staat eine Panzerabwehrrakete made in Germany in die Hände fällt.

Im dritten Film, "Mythos Trümmerfrau", korrigieren Julia Meyer und Judith Voelcker ein weit verbreitetes Bild - und enthüllen, dass die Grundlage dafür bereits die Nazis schufen, indem sie Schauspielerinnen bestens gelaunt Schutt beseitigen ließen. Auch die zweite Staffel von Akte D beweist, dass klassisches Geschichtsfernsehen hochmodern sein kann.

Akte D, ARD, drei Teile, montags, 23.30 Uhr.

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