Süddeutsche Zeitung

ARD-Doku:Neustadt

Ingenieure sollen nach 1945 in deutschen Innenstädten stärker gewütet haben als der Bombenkrieg zuvor - aber stimmt diese These überhaupt? Zwei Filmemacher reflektieren in zwei Teilen über "Unsere Städte nach '45".

Von Viola Schenz

Einmal im Monat rauscht ein Radlerpulk klingelnd durch die Innenstadt von Hannover. Die "Critical Mass" protestiert dagegen, dass beim Bau des modernen Hannover die Fußgänger und Radler vergessen wurden. Ein lautes Beispiel dafür, wie sehr die Bausünden der Nachkriegszeit nachwirken. Das neue Hannover entstand rasend schnell, es galt als Vorbild beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg, der Autoverkehr hatte dabei Vorrang. Die zweiteilige Dokumentation Unsere Städte nach '45 von Susanne Brahms und Rainer Krause geht der These nach, dass der Wiederaufbau mehr Bausubstanz vernichtet hat als der verheerende Bombenkrieg. Zu Hilfe kommt ihnen ein bisher unveröffentlichter Farbfilm eines US-Offiziers, der 1948 in Deutschlands Innenstädten drehte, kurz bevor die Sprengorgien einsetzten. In Hannover hatte der Stadtplaner Rudolf Hillebrecht radikal gewirkt: großzügige Neubauten an breit angelegten Straßen, kreuzungsfreie Schnellstraßen, riesige Kreisel, von Licht und Luft durchflutet. Hillebrecht wurde zum Vorbild für ganz Westdeutschland, Der Spiegel schwärmte 1959 vom "Wunder von Hannover". Heute gilt die Stadt nur dort als schön, wo Hillebrecht nicht gewirkt hat.

Für die Visionen von Hillebrecht und Nachahmern wurden auch große Teile der nur leicht kriegsbeschädigten Innenstädte platt gemacht. Bremen sprengte zwei mittelalterliche Klöster, das Katharinenkloster musste einer Durchgangsstraße weichen, die nie gebaut wurde, ein Mauerrest blieb erhalten, verborgen unter einer Hochgarage. In Berlin fielen historische Bahnhöfe den Utopien zum Opfer, noch 1974 wurde der berühmte Sportpalast gesprengt und in Ost-Berlin das Stadtschloss. In Ulm baute man eine Stadtautobahn direkt neben das historische Münster. Dem ehemaligen Baubürgermeister Alexander Wetzig zufolge ist die Stadt das schlimmste Beispiel für misslungenen Wiederaufbau. Lange war er damit beschäftigt, die Bauverbrechen seiner Vorgänger zu tilgen. Deren Motiv sei "Hass auf die alte Stadt" gewesen, Hass, der ihnen im Architekturstudium eingeimpft worden sei. Darüber hätte man gern mehr erfahren in dieser sonst - im besten wie schlimmsten Sinne - anschaulichen Dokumentation.

Unsere Städte nach '45, ARD, 23.30 Uhr, 2. Teil am 13.2.

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SZ vom 06.02.2017
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