ARD-Doku "Der Sturz. Honeckers Ende":Immer stabil metallisch

Gefühllos, zwanghaft und formelhaft: Mit dem Ehepaar Honecker an der Spitze des Staats konnte sich eine autoritäre Blockwart- und Hausmeisterpsychopathologie über ein ganzes Land legen. Margot Honecker erklärt nun in einer ARD-Doku zum ersten Mal seit 20 Jahren ihre Sicht auf die DDR und offenbart sich als gruseliges Beispiel für eine stehengebliebene Lebensuhr.

Gustav Seibt

Jeder historische Umbruch hinterlässt Überlebende, deren innere Uhren zum Stillstand gekommen sind, wie rüstig sie sonst auch sein mögen. Das Interview, zu dem der brillante NDR-Dokumentarfilmer Eric Friedler jetzt Margot Honecker überreden konnte - das erste der vormaligen Ministerin für Volksbildung der DDR und Ehefrau Erich Honeckers seit zwanzig Jahren - ist ein monumentales, beeindruckendes, am Ende aber vor allem gruseliges Beispiel für so eine stehengebliebene Lebensuhr.

Der Sturz, DDR, Margot Honecker

"Perspektiven", "gute Bildung", ein "gutes Gesundheitswesen": Margot Honeckers DDR-Bild besteht vor allem aus Schlagworten.

(Foto: NDR)

Eigentlich hat Margot Honecker wenig zu sagen, vor allem nichts Unbekanntes; ihre Sicht der Geschichte besteht aus Schlagworten, die so hager und abgezehrt wie ihre äußere Erscheinung sind: Es gab "keene Wende", nur "ne Konterrevolution", die DDR war ein Land, das den Menschen "Perspektiven", "gute Bildung", ein "gutes Gesundheitswesen", ja "Mitsprache" bot, und wer "über die Mauer klettern wollte", "musste das ja nicht", sondern riskierte sein Leben für eine "Dummheit". Schießbefehl? Gab es schon gar nicht, sondern nur "Waffengebrauchsbestimmungen" wie angeblich überall auf der Welt.

Die linguistischen Untersuchungen zur bürokratisch erfrorenen Sprache der Diktatur, die nach 1945 auch im sowjetischen Deutschland - etwa aus der Feder von Victor Klemperer - herauskamen, sind jedenfalls an der Staatsspitze spurlos vorübergegangen.

Von den 7000 Zwangsadoptionen in ihrem Geschäftsbereich will Margot Honecker ebenso wenig etwas hören (der Staat "sorgte" für angeblich von ihren Eltern verlassene Kinder) wie von den gebrochenen Jugendbiographien der Insassen des Torgauer Jugendwerkhofes, die mit Isolationshaft, körperlichen und seelischen Misshandlungen gequält wurden.

"Banditen" sind ihr die Opfer der Staatssicherheit, "Feinde" habe die DDR gehabt, weil sie - naturgemäß? - in vierzig Jahren "noch nicht alle überzeugen" konnte. Auffällig an dieser Sprache ist nicht nur ihre Mitleidlosigkeit und Kälte, sondern auch ihre bemerkenswerte Vulgarität.

Unfähig, differenziert zu denken

Lothar de Maizière, der Übergangsministerpräsident der DDR von 1990, spricht in Friedlers Film von dem "außerordentlich geringen Wortschatz" Erich Honeckers, der ihm differenziertes Denken unmöglich gemacht habe. Ähnlich beschreibt es Helmut Schmidt, der einen beschränkten, der Wirklichkeit nicht zugänglichen Charakter diagnostiziert, eine Gestalt erstaunlicher Mittelmäßigkeit, der die DDR allen Ernstes für das siebte Industrieland der Welt hielt.

Und so schält sich im Lauf vieler Rückblenden bis in die kommunistische Jugend, die Haft im Dritten Reich, zum Aufstieg in der Ulbricht-DDR, dazu im Gespräch mit zahlreichen lebhaften Zeitzeugen, das eigentlich Bemerkenswerte heraus: Die innere Uhr der Honeckers muss wohl schon beträchtliche Zeit vor ihrem Sturz zum Stillstand gekommen sein, bei Erich vielleicht gar seit seiner zehnjährigen Gefängniszeit unter Hitler.

Man beginnt, den immerwährend verkniffenen Mund, die schnarrende, schnappende Stimmlage, die fade-penible Kleidung, all die äußeren Züge, die dem Ehepaar je länger, desto mehr gemeinsam wurden, physiognomisch zu lesen: als Chiffre einer autoritären Blockwart- und Hausmeisterpsychopathologie, die sich über ein ganzes Land zu legen vermochte. Gefühllos, zwanghaft, formelhaft und unerreichbar wirken diese Personen, in einem fast wieder auffälligen Sinn uninteressant.

Man hat sogar den Eindruck, dass Margot fanatischer, kaltherziger ist als ihr Mann, dem unmittelbare persönliche Schäbigkeit, gar sadistischer Machtgenuss nicht nachgesagt wird. Erich hatte sogar die Fähigkeit zu einer von Erschütterung gebrochenen Stimmlage, Margot dagegen bleibt immer stabil metallisch. Also glaubt sie weiter an ihre Propagandaphrasen vom eigentlich doch fast schon erreichten Wohlstand, von der bestenfalls weiterzuentwickelnden Infrastruktur, und ist sich sicher: Ein "Samenkorn" wurde in den Boden der Geschichte gelegt, das einmal aufgehen wird.

Und so wäre dieser Film zunächst vor allem geschickt erzählter Geschichtsunterricht, bei dem längst Bekanntes wie Honeckers Auftritt in Bonn 1987 neu belebt erscheint. Doch er hat auch ein paar echte Neuigkeiten, die man so bisher nicht kannte, und sie betreffen die Zeit zwischen Honeckers Entlassung aus seiner eintägigen Untersuchungshaft im Januar 1990 in Rummelsburg und der Einstellung seines Prozesses wegen Verhandlungsunfähigkeit ein paar Monate später. Die damalige Regierung Hans Modrows und ihre Nachfolgerin unter Lothar de Maizière versäumten es, für Unterbringung und körperliche Unversehrtheit der buchstäblich obdachlos Gewordenen zu sorgen.

Beinahe doch noch ein Blutfleck

Dass das ein Fehler war, der leicht den Lobetaler Pfarrer Uwe Holmer, der Honeckers in einem Haus unterbrachte, zum Märtyrer hätte machen können, sehen inzwischen die Beteiligten trotz eines gewissen Herumeierns ein. Als man auf die törichte Idee kam, die Honeckers in einem Regierungsgästehaus bei Lindow nahe Neuruppin unterzubringen, hätte die friedliche Revolution der DDR beinahe doch noch jenen Saint-Just'schen Blutfleck bekommen, den Karl Heinz Bohrer später allen Ernstes an ihr vermisste. Die herrenlose Wut, die damals in der zerfallenden DDR unterwegs war, wurde nur von ein paar heldenmütigen Dorfpolizisten aus dem Abschnitt Bernau von den gestürzten Machthabern abgehalten.

Eric Friedler hat seine Sache ausgezeichnet gemacht, und vielleicht trägt sein Film sogar dazu bei, Helmut Schmidts abschließende Prophezeiung zu widerlegen, dass im Jahre 2030 kein Schulkind den Namen Honecker mehr kennen werde - aber am Ende muss man sagen: Eine Winifred Wagner hat dieser späte Nachfolger Hans-Jürgen Syberbergs in Margot Honecker nicht gefunden. Die Hitler bis zu ihrem Ende verehrende Bayreuther Festspiel-Leiterin ist umso viel flackernd-interessanter wie das Dritte Reich verheerend-abgründiger war als der sowjetische Kasernenstaat DDR.

Heute kann man fast schon wieder lachen, wenn der ehemalige sowjetische Außenminister Schewardnadse mit barbarischer Gutmütigkeit erklärt, Honeckers sollten sich nicht so haben, die Kommunisten hätten ihre krank gewordenen Führer nach dem Sturz oft einfach erschossen.

Der Sturz Honeckers Ende, ARD, 21 Uhr.

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