Süddeutsche Zeitung

ARD-Doku:Der Kaiser schweigt, doch seine Freunde reden

Die Geldverschiebungen vor der WM-Vergabe 2006 kann auch eine neue Doku über Franz Beckenbauer nicht ausleuchten. Enthüllend ist sie dennoch.

Von Holger Gertz

Schließlich läuft Franz Beckenbauer den Filmleuten tatsächlich noch vor die Kamera. Ein Zufallstreffer, Dreh beim Meisterkoch Schuhbeck in München, auf einmal ist auch Beckenbauer im Restaurant. Sie filmen ihn zuerst von draußen, und dann kommt Beckenbauer mit anderen raus, er trägt eine Schiebermütze und geht etwas gebeugt, aber ist schlank wie immer. Die Fassaden in der Umgebung sind schon weihnachtlich geschmückt, als sich dem Kaiser der Filmemacher Ole Zeisler entgegenstellt. "Herr Beckenbauer - haben Sie Zeit für ein kurzes Interview?" Beckenbauer will nicht, der Journalist respektiert die Absage und wünscht ihm einen schönen Abend. Wofür Beckenbauer sich kurz bedankt, sprichwörtlich im Vorübergehen.

Paul Breitner findet, "der Deutsche" sei da sehr "brutal"

Diese hingetupfte Begegnung zwischen Beckenbauer und einem Reporter im adventlich kühlen Münchner Glanz steht am Ende der Dokumentation Franz Beckenbauer - Der Fall des Kaisers, aber sie steht sinnbildlich für ein zentrales Thema des Stücks: Wie die Öffentlichkeit inzwischen dem Kaiser begegnet - bzw. der Kaiser der Öffentlichkeit. Auch weil der Kaiser der Öffentlichkeit gegenüber schweigt, ist ja das Rätsel der Geldbewegungen bei der Vergabe der WM 2006 noch immer nicht gelöst, genauso wenig wie der Grad der Verstrickung Beckenbauers. Die NDR-Autoren Zeisler und Sven Kaulbars können den komplizierten Vorgang auch nicht ausleuchten, enthüllend ist ihr Film dennoch, zum Beispiel da, wo es ihnen gelingt, Beckenbauers ehemalige Fußballfreunde ins Gebet zu nehmen.

Sein alter Mitspieler Paul Breitner äußert sich in anderen Angelegenheiten sehr weise, zum Beispiel wenn es um den Umgang des DFB mit der Junta in Argentinien in den Siebzigern geht. Zum Thema Umgang der Öffentlichkeit mit Idolen sagt Breitner in diesem Film: "Jeden runterzuholen, auf die eigene Ebene: Wenn der Deutsche da eine Situation sieht, dann macht er das. Brutal wie wahrscheinlich kein anderer." Aber wer ist denn der Deutsche? Ist der Deutsche nur ein Journalist, der recherchiert? Oder ein Jurist, der Ermittlungsakten anlegt? Ein Fan, der sein altes Trikot mit der 5 in den Keller räumt? Beckenbauers ehemaliger Kapitän Lothar Matthäus berichtet von Fragen, die er im Ausland gestellt bekommen hat: "Warum ärgert ihr euch, warum macht ihr da was gegen eure Helden?" Ihr, sagt er. Der Deutsche, von dem Breitner spricht, hat sich bei Matthäus offensichtlich schon vermehrt.

Hochprivilegierte, die über Hochprivilegierte reden

Nüchterner betrachtet: In Bern - des Deutschseins unverdächtig - läuft ein Verfahren wegen des Verdachts auf Untreue, Betrug, Geldwäsche, auch gegen Beckenbauer persönlich. Die Sache hängt also entsprechend hoch, aber die Sportler und ehemaligen Sportler lassen auf Mitglieder der eigenen Branche ("Braaasch", sagte der Franz) nichts kommen. Sie fordern Respekt für die erbrachte Leistung. Es sind Hochprivilegierte, die über andere Hochprivilegierte reden, oder eben nicht reden.

So war es auch beim ehemaligen ARD-Experten Mehmet Scholl, der im Sommer mal das Thema Doping im Fußball gar nicht interessant fand. Und weil es im modernen Medienbetrieb genug Quasselbuden gibt, in denen Athleten mit Reportern, die auch lieber Athleten wären, die heile Welt beschwören können, entwickelt sich dieser Bereich gerade in zwei Richtungen, die miteinander komplett unvereinbar sind. Hier die Schwärmer, da die Skeptiker. Fortsetzung dieser Auseinandersetzung, in der immer auch die Kampfzone News/Fake News berührt wird, folgt im großen Sportjahr 2018.

Die Dokumentation bildet diese Strömungen am Beispiel Beckenbauer schön ab, und es ist am Ende ein Skeptiker, der Philosoph Gunter Gebauer, der sagt: "Ich wünsche, dass er einen guten Freund und Mentor hat, der ihn an die Hand nimmt und mit ihm bespricht, was er jetzt noch tun kann, um die Reste seines Ansehens zu retten und die guten Seiten seiner Persönlichkeit in die Öffentlichkeit zu tragen." Aber auch im Advent bleibt ein Wunsch ein Wunsch.

Franz Beckenbauer - Der Fall des Kaisers, Das Erste, 23.30 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 19.12.2017/khil
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