ARD: Der Krieg (3):Der Hunde-Gassi-Führer

Die ARD zeigte neue Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg. Nachkoloriert und digital aufgewertet. Das Ergebnis: Packender als die bekannten Wochenschau-Konserven. Als Dokumentation gescheitert.

Bernd Graff

Was weiß man schon vom Zweiten Weltkrieg und seinen Ursachen, das nicht als Schulfunk-Wissen durchgehen würde! Grobe historische Daten und Momente sind es: Machtergreifung, Rassismus und Judenvernichtung, Eroberungs- und Blitzkriege, Churchills Widerstand, die U-Boot-Waffe, der Hitler-Stalin-Pakt, das geheime Zusatzabkommen, Hitlers Bruch des Paktes und die Zerstörungsspur des Mordens und Vernichtens, die sich ab 1939 quer durch Europa zieht. Dann die Alliierten: Erst in der Defensive. Spitz auf Knopf. Dann aber erste Siege in Afrika, in Italien, an der Ostfront. Pearl Harbor. Eintritt der USA in den Krieg. D-Day und Bombardierung deutscher Städte. Dann Kapitulation. Auf Japan: Atombomben. Stunde null.

Was man an Stichworten jederzeit abrufbar weiß über den Zweiten Weltkrieg, passt in sechs Zeilen.

Zu bildverliebt

Was die ARD in zweieinviertel Stunden an nie gesehenem Material über den Krieg ausbreitete, würde vermutlich noch weniger füllen. Zu bildverliebt ist die Dokumentation, zu begeistert von sich selber und der eingesetzten Möglichkeit, die Originalmaterialien nicht einfach nur schwarz & weiß zu zeigen, sondern poliert auszubreiten.

Jede Folge verweist in der ersten Sendeminute darauf: "Die meisten Bilder dieses Kriegs sind schwarzweiß", säuselt eine Frauenstimme, "Für diesen Film aber wurden sie koloriert. Um zu zeigen, wie es wirklich aussah. Wie die Menschen damals diesen Krieg erlebten." Ein gewaltiges Unterfangen! Fast eine Anmaßung. Denn wie will man authentisch Erlebtes aus der Geschichte in die Gegenwart zurückholen, wenn man wenig mehr als einen Farbkasten, einen Soundtrack mit ordentlich Wumms und Sprecherpathos - und weniger als sechs Zeilen Stichworte zur Verfügung hat?

Der dritte Teil dieser Doku ist Sieg und Niederlage betitelt.

Gleich zu Beginn sieht man erschöpfte Sowjetbürger in Leningrad, frierende deutsche Soldaten vor Stalingrad und ein raunender Sprecher rekapituliert anhand einer animierten Landkarte der eroberten Gebiete das bisher Gesehene.

Nächtens gefilmte Flammenwerfer

Anderthalb Jahre nach dem Einmarsch in die Sowjetunion steckt die deutsche Angriffswelle fest. Leningrad verteidigt sich zäh, Moskau ist so unerreichbar wie die Ölfelder am Kaukasus und, so dröhnt es zu den Bildern massenhaft auflaufender und über die Wolga setzender Rotarmisten: "In Stalingrad nähert sich die Schlacht ihrem Höhepunkt. Und der Entscheidung."

Das klingt dann - zu Bildern von nächtens gefilmten Flammenwerfern - so:

"Wehrmacht und Rote Armee haben sich in zermürbendem Kampf verhakt: Straße um Straße. Haus um Haus." Die Deutschen also werden "dort gebunden", während die Rotarmisten "einen Plan" haben: Sie bauen jenseits des Wolga-Ufers eine große Streitmacht auf - "für einen vernichtenden Angriff".

"Der Krieg ist noch lange nicht zu Ende"

Den sieht - und hört - man dann aber nicht mehr, sondern erfährt, dass Amerika mit Schiffen Nachschub schickt und die Deutschen noch an einer zweiten Front in Afrika kämpfen müssen. Rommel, der "Wüstenfuchs", gegen Montgomerys Briten.

Letztere sind - trotz Kampfesmethoden "wie im Ersten Weltkrieg" - in der Überzahl. Und das bedeutet wohl: "Rommel schreibt an seine Frau und zieht sich schließlich zurück. Geschlagen." Und während Churchill danach den berühmten Satz ausspricht, dieser Sieg jetzt sei nicht der Anfang vom Ende, sondern das Ende des Anfangs, zeigt man Hitler: Allein mit Schäferhund in dürrem Forst und hört dazu diesen Kommentar: "Hitler sucht Ablenkung beim Spiel mit seinem Hund. Denn er sieht den Rückschlag in Afrika nur als Verzögerung. Stimmt. Der Krieg ist noch lange nicht zu Ende."

Markige Sprüche

Dann das: Die Amerikaner schicken nun auch Soldaten übers Meer (den Atlantik) nach Afrika, können jedoch immer von deutschen U-Booten angegriffen werden. "Doch, wie im Ersten Weltkrieg, sind die USA zum Sieg entschlossen. Und sie sind das wirtschaftlich stärkste Land der Erde." Deshalb kommen ihre Soldatenschiffe wohl auch an.

Dann heißt es weiter: "Angesichts dieses Feindes wird es für die Deutschen im Westen nur noch rückwärts gehen." Was so nicht stimmt, wenn man an die - militärisch völlig sinnlose - Ardennenoffensive im Winter 1944/45 denkt.

Jetzt aber zurück nach Stalingrad: Dort gibt es gerade einen sowjetischen Angriff mit dem "Feuer von 2000 Geschützen", dann Panzer und Bodentruppen. Darum ist es hier dann auch aus für die Deutschen und ihre Verbündeten: Ungarn, Rumänen, Italiener.

Wirklich so banal?

Die 6. Armee der Deutschen unter Generaloberst Paulus, eingekesselt. Dann: Hitler in Mercedes und großem, geradezu läppisch theatralischem Ornat. Der Sprecher dazu: "Die 6. Armee könnte entkommen. Aber Hitler befiehlt: Kein Rückzug!" In Russland, so erfährt man dann, sterbe nun alle sieben Sekunden ein deutscher Soldat: "Stalingrad - Massengrab."

Der Eindruck, der nicht weichen will: Trotz der spektakulären und spektakulär aufgemachten Bilder - das ist schon ziemlich unterkomplex, was da mit diesen Bildern an Geschichte erzählt wird. Die Deutschen werden gezeigt als "verhakt, eingekesselt, hungernd, frierend und schließlich geschlagen". Angeführt wurden sie von einem Operettendespoten, offensichtlich einem Hunde-Gassi-Führer, der besoffen von sich selbst und verblendend für alle anderen gewesen sein muss. Müssen wir uns das Dritte Reich wirklich so banal vorstellen? Und die Macht der Alliierten so schlicht, dass schiere Zahl (und ein bisschen Siegeswille) dafür sorgten, das man den Schalter zum "Ende des Anfangs" einfach umlegen konnte?

Wie kam und was bedeutet es, dass die Deutschen die Alliierten in Sizilien "nicht aufhalten konnten"? Gezeigt werden dazu übrigens tote Landser am Straßenrand. Genauso naiv: Der US-General Dwight D. Eisenhower schickt seine "indianisch getarnten" Fallschirmjäger und Landungstruppen am Vorabend des 6. Juni 1944 los mit den Worten: "Es ist ein Kreuzzug, den ihr jetzt beginnt."

Der Fund der Bilder als Anlass

Sollen also markige Sprüche das Fehlen echter Information kaschieren? Dann aber: Omaha Beach am Morgen des 6. Juni. Ort der Normandie-Invasion, jetzt in Farbe und Hochauflösung zu sehen. Allein, die Bilder (und der wummernde Soundtrack!) kommen nicht an gegen die Spielfilmbilder, die man von Spielbergs Saving Private Ryan im Kopf hat.

Das Drama des angekündigten Kreuzzugs kommt einfach nicht rüber - und am Ende "ergeben sich die wenigen Deutschen, die die Invasion überlebt haben".

Mit anderen Worten: Der ARD-Dreiteiler hat das Geschichte-Erzählen umgekehrt: Nicht mehr die Bilder illustrieren die berichtenswerte Geschichte, sondern der Fund der Bilder (und ihre Bearbeitung) liefert sich selbst Anlass genug für die berichtete Geschichte: Wenn es Bilder gibt, dann knallt ein markiger Satz drüber, gibt es keine, dann ist auch nichts zu erzählen.

Altbekanntes

Ganz offenbar also verzichteten die Produzenten vor lauter Finderglück darauf, hinter die Oberfläche des Sichtbaren zu schauen, um mehr als nur das Offensichtliche der sechs Zeilen Kriegswissen zu berichten, das jeder als Geschichtshandgeld sowieso mit sich herumträgt.

Wenn man also ein Fazit ziehen will nach diesem Dreiteiler: Schlauer ist man nicht. Mehr wissen tut man nicht. Das Publikum nickt sich durch zweieinviertel Stunden Altbekanntes. Aber es war der Rede wert, es anzusehen.

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