ARD:Der Keks und ich

Seit seinem Start als "Tagesthemen"-Moderator sucht Ingo Zamperoni einen Schlusssatz. Jetzt sucht er auch noch einen Parkplatz - eigentlich aber nach öffentlich-rechtlicher Leichtigkeit.

Von Cornelius Pollmer

Ende Oktober veröffentlichte die Welt eine Variation der Schöpfungsgeschichte und wenn die Welt hier nun kursiv geschrieben steht, dann weil nicht die Welt im Sinne des Planeten auf einmal ihre Sicht auf die Genesis und den Anteil Gottes daran dargelegt hätte. Sondern es war dann doch nur die Welt im Sinne von Springer, die auf die erste Woche von Ingo Zamperoni als neuem Hauptmoderator der Tagesthemen blickte. Die Welt protokollierte also: Am ersten Abend schuf der Halbitaliener am Ende der Sendung den Satz "Isch abe gar keine Schlusssatz". Am zweiten Abend sprach Zamperoni: "Möge die Nacht mit Ihnen sein." Und die Nacht ward mit uns. Am siebten Abend sagte Zamperoni, er habe noch immer keinen Schlusssatz. Und fügte hinzu: "In diesem Sinne, die Erde dreht sich trotzdem weiter. Bis bald!" Und die Erde drehte sich weiter.

Nun sind wir im Dezember angekommen, Zamperoni hat noch immer keinen Schlusssatz, und wer jetzt schon gelangweilt die "s" im Wort Schlusssatz zählt, dem können die Tagesthemen selbst abhelfen. Die Redaktion hat in einem Video noch vor Zamperonis Dienstantritt genau jenes Problem erst etabliert, das zu lösen nun ein weiteres öffentliches und ehrlicherweise nebensächliches Kapitel ausmacht. In dem Einspieler mit dem kafkaesk-grishamigen Titel "Der Schlusssatz" fragt die Moderationskollegin Caren Miosga, ob Zamperoni inzwischen einen Schlusssatz gefunden habe. Und fügt wunderbar kühl und nur gespielt Morningshow-doof den präzise spöttischen Satz hinzu: "Ihr Männer habt doch immer so was."

Alle seine Vorgänger hatten einen Schlusssatz, aber keiner hat das Thema so ausgekostet

Als da bislang waren: Ulrich Wickert, der in Gedanken immer schon beim Château Haut-Brion war, als er den nicht Tagesthemen moderierenden Teil des Landes in eine "geruhsame Nacht" entließ. Später präsentierte Tom Buhrow einen so nüchtern-tautologischen wie entschlossen antiapokalyptischen Satz, der jede Sendung in bescheidener Zuversicht nachhallen ließ: "Morgen ist ein neuer Tag." Thomas Roth erwies sich als skeptischer, die Tagesthemen gingen ja auch zu seiner Zeit nicht nahtlos in den neuen Morgen über. Also bat Roth, mehr Arzt als Anchorman, "kommen Sie gut durch diese Nacht".

Nun also der suchende, der zaudernde Zamperoni. Seine Suche nach einem Schlusssatz war angelegt worden als heiteres Spiel, als aktivierendes Element direkter Fernsehdemokratie, an dem ein jeder per E-Mail teilzunehmen aufgerufen war, mit freundlichen Grüßen an schluss@tagesthemen.de. Höhe- und Wendepunkt dieses Spiels erlebten Zamperoni und sein Publikum noch in der ersten Woche, als der Moderator die Sendung beschloss mit dem Hinweis, man sehe sich morgen wieder, "denn so zerbröselt der Keks nun einmal". Zamperoni lächelte danach sein flirtstarkes und sehr gewinnendes Lächeln, das gerade so noch auf seinen USP einzahlte, sein Alleinstellungsmerkmal. Ein solches hat man als hauptamtlicher Mitarbeiter der ARD schon, wenn man nicht nur seriös ist, sondern sich dann und wann auch mal locker machen kann.

Wer sich aber locker macht, dem wird schnell vorgeworfen, er sei ein Hampelmann. Und weil der realglobale Keks von Aleppo bis zu abstürzenden Flugzeugen erschreckend stark bröselt, kann es bei aller berechtigten Sehnsucht nach Leichtigkeit seltsam wirken, wenn ein Moderator sich in einer persönlichen Nebensächlichkeit zu sehr produziert. Erschwerend kam in diesem Zusammenhang für Zamperoni hinzu, dass er digitalöffentlich gerade auch noch mit einem Video virale Aufmerksamkeit erhielt, das ihn bei dem sichtbar gespielten Scheitern zeigt, ein Auto in eine zwei Autos breite Parklücke zu fahren. Das Filmchen wurde inzwischen als Teil einer Kampagne enttarnt, zuvor war es im Internet wie gewünscht diskutiert worden: Fake? Kein Fake? Egal, sagte die gefühlte Mehrheit, es sei nämlich so oder so toll, herrlich authentisch und .

.. wie viel "s" waren noch mal in Schlusssatz? Bei seinen bislang letzten Einsätzen hat sich Ingo Zamperoni dann und wann mit einem "Bis dahin" beholfen, eine dauerhafte Schlussformel schien nicht dabei zu sein, wobei die Vorstellung etwas hat, der Moderator könnte künftig jede Sendung an jedem Wochentag beenden mit: "Ein schönes Wochenende, tschüss!" Tatsächlich aber täte Zamperoni gut daran, seine Suche bald zu beenden und wieder ein wenig hinter das von ihm zu präsentierende Weltgeschehen zurücktreten. Und wen das Ganze jetzt schon nervt, dem sei als Tagesthemen-Ersatz eine neuere Ausgabe von Ernest Hemingways A Farewell to Arms empfohlen. Sie dokumentiert alle 47 verschiedenen Enden des Romans, die Hemingway einst unentschlossen suchend formulierte.

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