ARD: Boxvertrag mit Sauerland-Stall:Schlag ins Gesicht

Der WDR-Verwaltungsrat lehnt den Vertrag der ARD mit dem Boxstall des Promoters Wilfried Sauerland ab. Der millionenschwere Deal steht vor dem Aus - es zeichnet sich ein Eklat ab, den es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen so noch nie gab.

Hans-Jürgen Jakobs

Der Programmdirektor war voll des Lobes über den Partner. Der biete Spitzensportler, agiere "vorbildlich in der Dopingkontrolle" und engagiere sich für Sozialprojekte und in der Jugendarbeit. Vor allem würde man gemeinsam ein Millionen-Publikum erreichen, darunter viele Jüngere - der Boxsport sei "also auch ein Integrationsfaktor", rühmte Volker Herres, der Verantwortliche für das Programm der ARD.

Boxen - Klitschko - Brewster

Harte Gerade: Der WDR-Verwaltungsrat votiert mit klarer Mehrheit gegen den Vertrag mit dem Boxveranstalter Wilfried Sauerland. Damit stehen 54 Millionen Euro für die Laufzeit 2013 bis 2015 womöglich zur Disposition.

(Foto: dpa)

Und so freute er sich über einen neuen Vertrag bis 2015 mit dem Boxveranstalter Wilfried Sauerland, 71, für den auch Arthur Abraham kämpft. Die Intendanten der neun ARD-Sender bestätigten den Abschluss, das war im Februar 2010.

Seit dem vorigen Samstag sieht die Welt des Faustkampfs aus öffentlich-rechtlicher Sicht jedoch etwas anders aus. 15 Monate nach der freudigen Verkündung durch Herres ist der Sauerland-Deal auf einmal so gut wie K.o. - der wichtige Verwaltungsrat des Westdeutschen Rundfunks (WDR), des größten Senders der ARD, hat mit klarer Mehrheit gegen den Deal votiert.

Keine weitere Zusammenarbeit also mit Sauerland von 2013 bis 2015, so der Wille des Kontrollorgans. Nur ein Verwaltungsrat fand sich offenbar, der pro Sauerland stimmte - und zwar mit der Begründung, das Boxen dürfe nicht verteufelt werden.

Damit stehen 54 Millionen Euro für die Laufzeit 2013 bis 2015 womöglich zur Disposition. So teuer wäre die weitere Zusammenarbeit gekommen. Vor allem stellt sich die Frage, wie es um die WDR-Intendantin Monika Piel steht, die amtierende ARD-Vorsitzende.

Wie übermächtig können Intendaten noch sein?

Sie hatte ja, wie alle anderen, dem Boxvertrag zugestimmt. Jetzt geht es plötzlich darum, wie mächtig, manche sagen: wie übermächtig Intendanten noch sein können, und wie viel die Verwaltungsräte und Rundfunkräte mitzureden haben? Sie sind die Vertreter aller Gebührenzahler, die jedes Jahr der ARD und dem ZDF rund acht Milliarden Euro bringen. Früher waren die Gremien Abnickvereine, die von den Intendanten nur ordentlich umschmeichelt und gepudert werden mussten. Jetzt üben sie den Aufstand.

Der Fall Sauerland wird zum Härtetest, zum Politikum. Es zeichnet sich ein Eklat ab, den es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen so noch nie gab.

Über die Verträge mit dem Berliner Boxstall, die 2007 erstmals vom damaligen ARD-Programmchef Günter Struve abgeschlossen wurden, hatte vor 2011 noch nie ein Rundfunkrat befunden. Das ARD-Management wollte im harten Wettbewerb um Sportrechte schnell handeln und sah sich durch das von den Intendanten genehmigte Budget für Sportrechte dazu ermächtigt.

Aus Sicht des Programmdirektors des Ersten habe es "seinerzeit keinen Anlass zur Gremienzustimmung gegeben", führt die WDR-Intendantin Piel in einem internen Schreiben auf, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt: "Dies erweist sich in der Nachbetrachtung als bedauerlicher Irrtum, sollte jedoch nicht als bewusst gesetzwidriges Verhalten missinterpretiert werden." Es handele sich "auch nicht um den Regelfall".

Dass der neue Sauerland-Vertrag erst rund ein Jahr nach Vertragsabschluss vorgelegt wurde, erkläre sich damit, dass die Kollegen "keine unmittelbare Handlungsnotwendigkeit sahen".

"Man kann das auch anders sehen"

Herres, Struves Nachfolger, hatte am 29. Januar 2010 offenbar nicht nur den neuen Fünfjahresvertrag mit Sauerland (2010 bis 2015) unterzeichnet, sondern gleich auch mal den alten Struve-Vertrag um ein Jahr bis zum 31. Dezember 2012 verlängert. Ganz wohl ist Senderchefin Piel bei ihrer Argumentation augenscheinlich nicht, denn sie räumt "gerne" ein, "dass man das auch anders sehen kann".

Eine, die es anders sieht, ist die Chefin des WDR-Rundfunkrates, Ruth Hieronymi. Die CDU-Politikerin sucht die Auseinandersetzung. Sie antwortete der Intendantin Piel postwendend: Der Vertrag mit der Sauerland Event GmbH sei entgegen den verschiedenen landesgesetzlichen und satzungsrechtlichen Bestimmungen ohne Zustimmung der Gremien abgeschlossen beziehungsweise vollzogen worden, so Hieronymi. Dass die von Herres unterzeichnete Vertragsverlängerung erst ein Jahr später den Gremien zur Zustimmung vorgelegt werde, verdeutliche die "dringende Notwendigkeit" einer Formalisierung des ARD-Vertragsmanagements.

Hieronymi leitet in der ARD auch die Konferenz der Gremienvorsitzenden (GVK). Sie weist daraufhin, dass die GVK wiederholt in der ARD-Hauptversammlung die Übertragung von Profiboxkämpfen kritisiert habe: "Diese Position war somit bekannt."

Keine Frage, die Politikerin ist verärgert. Kaum vorstellbar, dass der von ihr geführte WDR-Rundfunkrat den Box-Deal nach dem ablehnenden Votum des Verwaltungsrat durchwinkt. Der WDR-Rundfunkrat beschließt auf Basis einer schriftlichen Stellungnahme des Verwaltungsrates.

Vorsorglich weist Hieronymi darauf hin, dass über den Box-Deal noch in den Rundfunkräten des NDR und des SWR entschieden werde. Mit den Kollegen dort stimme sie allerdings überein, dass vor dem Kauf von Box-TV-Rechten "zunächst die Verfahrensfragen des zukünftigen ARD-Vertragsmanagements" geklärt werden müssten. Angesichts dieser Lage relativiert sich, dass der MDR schon zugestimmt hat.

Die komplizierte Lage bei den Sportrechten der ARD hat Intendantin Piel vor wenigen Wochen in einem Papier skizziert. Da gibt es die großen internationalen Abschlüsse der EBU, die Aktivität der ARD-ZDF-Agentur SportA und dann eben die ARD-Verträge. Nur in einem einzigen Fall verhandele die ARD-Sportkoordination und schließe direkt ab, lässt Piel aufführen: beim Box-Deal mit Sauerland.

Suche nach Neuorientierung

Im internen Dossier wird das "Konkurrenzverhältnis zum SportA-Mitgesellschafter ZDF" erwähnt - die öffentlich-rechtlichen Freunde aus Mainz sollen wohl nicht mitbekommen, was im Ersten verhandelt wurde, schließlich ist das ZDF mit dem Box-Stall Universum handelseinig, Sauerlands Konkurrenz.

Am 5. April beschlossen die ARD-Intendanten, künftig keine Verträge mehr ausschließlich über ihre Sportkoordination abzuschließen. Sie suchen nach Neuorientierung in einem Feld, für das sie jährlich 214 Millione Euro zur Verfügung haben. Auch der WDR-Verwaltungsrat hat sich lang und breit mit den strittigen Sauerland-Verträgen beschäftigt. Es sei darin "kein Gremienvorbehalt enthalten", ist in einem Papier vermerkt.

Lediglich eine "lapidare E-Mail" aus der ARD-Programmdirektion weise auf einen Gremienvorbehalt hin. Und es gibt in den Box-Kontrakten neue Leistungsklauseln, wonach die ARD eine Minderung der Grundvergütung verlangen kann, wenn der Marktanteil der Zuschauer ab 3 Jahre unter 16 Prozent liegt. Bisher lag der Sendeminutenpreis für die Boxkämpfe bei 11600 Euro und der Quotenschnitt bei 16,5 Prozent.

Seine Tendenz zum Kampf gegen das Boxen begründet der WDR-Verwaltungsrat auch mit kontroversen Debatten in der Öffentlichkeit und in ARD-Gremien. Den von der WDR-Intendanz aufgeführten positiven Argumenten (Förderung von Integration und Bewegung) sei Kritisches gegenüberzustellen, heißt es im Entwurf einer internen Stellungnahme, so "erhebliche Verletzungsrisiken und einhergehende physische Schäden".

Ziel des Profiboxens sei es - im Gegensatz zu anderen Sportarten - den Gegner zu verletzen. Auch würden Ergebnisse von Profikämpfen als irregulär angesehen. Es könne also unterschiedlich bewertet werden, ob es sich bei der Übertragung von Profiboxen im Öffentlich-Rechtlichen "um einen Bestandteil des Programmauftrags handelt". Angesichts der angespannten Finanzlage könnte problematisiert werden, ob nur wenige Sportarten oder, wie vorliegend, ein ausgewählter Veranstalter, "privilegiert werden" soll.

ARD-Programmchef Herres wollte sich auf Anfrage nicht äußern. Im eigenen Laden jedenfalls scheint Boxen kein "Integrationsfaktor" zu sein.

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