ARD: 60. Geburtstag:"Liebe ARD, verehrtes Phantom ..."

Die ARD gibt es nicht wirklich, doch sie lässt es zum Sechzigsten krachen, mit alten Kameraden wie Jauch und Gottschalk.

Hans-Jürgen Jakobs

Liebe ARD,

zunächst einmal herzlich gemeinte Glückwünsche für diesen Ehrentag. Wer 60 wird, blickt stolz zurück, und in Deinem Fall muss jeder neidlos anerkennen: Du bist das gesündeste Phantom dieser Medienwelt.

Eigentlich gibt es Dich ja gar nicht. Du hast keinen richtigen Chef und keinen Hauptsitz, keine Heimat und keinen Eintrag im Handelsregister als GmbH oder AG. Du bist seit sechs Jahrzehnten die "Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland", wie Du offiziell heißt, eine Art Wanderzirkus, von dem man nie so genau weiß, welcher Tiger bald wieder durch den brennenden Reifen springt oder welcher Clown ruft: "Akrobat schööön."

Ein Intendant (vom MDR in Leipzig) hält Dich sogar für ein "Gesamtkunstwerk".

Du bist so phantommäßig drauf, dass Du Geburtstag feierst, wann immer es Dir passt. Du sollst ja am 5. Juni 1950 gegründet worden sein, weil da erstmals die Idee für eine solche Dachgemeinschaft aufkam, aber in dieser April-Woche lässt Du es bereits richtig krachen.

Du bringst unter anderem Reinhold Beckmann, Günther Jauch und Thomas Gottschalk zum ganz großen Unterhaltungsgipfel zusammen. Das ist kein Aprilscherz, sondern Retro-Chic, und weil es so schön ist, sendest Du immer wieder Szenen aus Tagesschau, Sportschau und Tatort, alles nach dem EWG-Motto: "Einer wird gewinnen - und das ist die ARD."

Als Du 50 wurdest, hast Du noch im September gefeiert, aber irgendwie ist es im Frühjahr auch schöner. Was soll's, Deine erste Sitzung fand am 5. August 1950 statt.

Einmal an der Börse

Wie gesagt, Funkhaus Fantomas: Es gibt Dich nicht, aber dafür ganz oft. Neun Landesrundfunkanstalten sind übers Land verstreut, Heimatfunker wie der WDR oder der NDR oder der Zwerg Radio Bremen. Und es gibt gemeinsame Programme mit Das Erste an der Spitze, ganz viele Tochterfirmen, Kommissionen, Gemeinschaftsredaktionen, Rundfunkräte, Verwaltungsräte, "Einrichtungen" und Beteiligungen. 20.000 Mitarbeiter gehören zu Dir.

Als richtiges Phantom bist Du einerseits fast staatlich, weil Millionen Bürger Dich finanzieren, wenn sie fernsehen und Radio hören wollen, andererseits aber bist Du richtig kommerziell, weil Deine privatwirtschaftlich tätigen Ableger im Produktionsgeschäft - Firmen wie Studio Hamburg und Bavaria - ganz viel machen können. Du bist Schulfunk und Pay-TV in einem. In den Zeiten der crazy New Economy warst Du - mittelbar - sogar mit der Firma Odeon an der Börse!

Ein solches Großgebilde - verzeih' bitte die Ehrlichkeit zum Jubiläum - hat natürlich manche Ecken, in denen sich Dreck sammelt und der Putzlappen nicht hinkommt. So konnte in Deiner Arbeitsgemeinschaft eine Zeitlang Schleichwerbung gewerbsmäßig blühen, so verkauften Sportredakteure einfach das Programm an zahlende Verbände oder eine Spielfilmchefin besserte als Drehbuchautorin mit Pseudonym die Haushaltskasse auf.

Deine vielen Chefs und Sous-Chefs sind pausenlos damit beschäftigt, sich über Geld und Programmanteile zu streiten. Weil dabei einige immer ärmer werden, wie der Saarländische Rundfunk, schultern andere immer mehr.

Weil all die Intendanten und Programmchefs und Chefredakteure und Abteilungsleiter Humor haben, übersetzen sie ARD schon mal mit: "Alle reden durcheinander."

Du hast die EU-Kommission in Brüssel in all ihrer Kompliziertheit schon vor vielen Jahren vorweggenommen. (Im Übrigen hast Du schon am 6. Juni 1954 mit Das Narzissenfest aus Montreux die erste Eurovisionssendung gehabt.)

Der Unterschied ist, dass selbst die EU nunmehr einen hauptamtlichen Ratspräsidenten und eine Außenministerin hat. Du aber, meine teure ARD, wechselst alle zwei Jahre den Vorsitzenden aus. Du hast halt eine geschäftsführende Anstalt mit Intendant.

Wer Dir zum 60., sagen wir, ein Gemälde schickt, der müsste sich darauf gefasst machen, dass es jetzt noch in Stuttgart, bald aber in Köln und danach Wer-weiß-wo hängt. Damit Du nicht ganz so austauschbar wirkst, hast Du Dir vor ein paar Jahren eine Generalsekretärin geleistet, von der man nicht mehr sehr viel gehört hat. Wahrscheinlich sitzt sie in einem Konferenzraum.

Du hast eine Art Ewigkeitsgarantie

Liebe ARD, wenn es Parkinsons Gesetz zur Bürokratie nicht schon gäbe, für Dich müsste es erfunden werden. Dabei hast Du viele gute Journalisten unter Deinem Jubiläums-Dach, die noch mehr könnten, wenn mehr Sendetermine für Dokumentationen existieren würden und gute Stoffe nicht ins Mitternachtprogramm abgeschoben würden.

Die fähigsten Deiner Juristen und Verwaltungsspezialisten sitzen über Verordnungen und Richtlinien und Kostenaufschlüsselungsprogrammen, und in Deinen Aufsichtsgremien wachen oft Parteienvertreter über die sogenannte Ausgewogenheit.

Ab zum Galopp mit Adolf Furler

Immerhin: Weil die Ministerpräsidenten und Landespolitiker bei Dir vorkommen dürfen, hast Du eine Art Ewigkeitsgarantie. Wer schafft schon ab, was einem schmeichelt?

Natürlich, die Bundesrepublik Deutschland ist mir Dir gewachsen. Zuerst warst Du noch ein Monopol, dann lebtest Du mit dem ZDF im Duopol, und all die Jahre hast Du Debatten geprägt, Stars gemacht und Kulturgeschichte geschrieben.

Bei Dir hielt Werner Höfer im Internationalen Frühschoppen das Weinglas hoch, zeigte Karl-Heinz Köpcke die richtige Krawatte und leitete Adolf Furler unvergesslich aufs Galopprennen über.

Mit Dir wurden die Bürger alt. Heute sind sie im Durschnitt über 60, wenn sie sich durch Deine vielen Programme zappen.

All der Klimbim (auch eine Deiner schönen Schöpfungen) soll ruhig bei den Privaten bleiben. Sollen sie sich doch verbohlen oder von Stefan Raab schlagen lassen. Du bist die schöne alte Dame ARD und auch mit 60 schön.

Als wolltest Du es allen zeigen, hast Du den im ZDF spaßelnden Showmaster Gottschalk für eine Deiner öffentlichen Geburtstagspartys geholt. Der wird passenderweise im Mai 60 und ist ein Fan des Classic Rock. Wie Günther Jauch hat er einmal vor vielen Jahren in der ARD angefangen.

Dieser Jauch hat ja einmal etwas despektierlich von Gremlins in Deinen Rundfunkräten gesprochen, weil die partout nicht erlauben wollten, dass er zur Millionen-Scheffelei beim Privatsender RTL parallel im Ersten den talkenden Intellektuellen gibt. Nun tritt Jauch kurzerhand so lange als Gast in der ARD auf, bis er für einen Moderator gehalten werden kann.

Sehr verehrte ARD, Du großartigste der lang lebenden Arbeitsgemeinschaften, Du hast es nicht nötig, belächelt zu werden. Du hast doch alles als Erste und als Erstes gehabt: Mit Wer bin ich? und Robert Lembkes Schweinderl-Einwurf die erste Gameshow, mit Margot Hielscher (1955) die erste Talkshow (Romy Schneider war Gast), mit Professor Bernhard Grzimek (Ein Platz für Tiere) die erste Natursendung und mit Panorama das erste kritische Polit-Magazin. Du hattest auch mal Leute wie Gaus, Rohlinger, Casdorff, die Politikern intelligent zusetzten und nicht lächelnde Beigaben waren.

Das Erste Erster, Süßstoff wirkt

Dein schönstes Geburtstagsgeschenk willst Du Dir vor einigen Jahren selbst gemacht haben, weil Du von den privaten Konkurrenzsendern alles über audience flow gelernt hast und kurzerhand Quote zur Qualität erklärt hast. So wurdest Du Marktführer. Das war die logische Folge Deiner selbstverordneten Süßstoff-Offensive. Und weil die Republik immer älter wird und in tristen Zeiten immer mehr Süßes braucht, bleibst Du einige Zeit an der Spitze.

Wenn Dir jemand auffällt in der Szene, so einer wie Harald Schmidt, dann kaufst Du ihn Dir einfach - und verlierst doch nicht Deine irgendwie staatstragende Aura. Es ist gemein, dass eine Zeitung titelte. "Alt, älter, ARD."

Mit dem Internet hast Du es nicht so. Da schauen andere missgünstig darauf, dass Du hier nicht zu viel machst. Schließlich bist Du mit rund sechs Milliarden Euro Jahresbudget nicht gerade im Armenhaus beheimatet.

Was Dir keiner nehmen kann, sind die Erinnerungen. Und all die Bilder, die die Republik begleitet haben. Du weißt selbst, dass künftig Dein Profil schärfer werden muss und Du spontaner sein könntest. Aber irgendwie gehörst Du mit Deinem Phantomwesen zu dieser Gesellschaft.

Nein, sicher, Du solltest nicht einfach so weitermachen, sondern Dich wirklich bessern. Dafür ist es nie zu spät. Dann wird man Dich noch einmal richtig lieb haben.

Ad multos annos!

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