Hongkonger Zeitung "Apple Daily":Drei Jahre, fünf Jahre, lebenslange Haft?

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Nach der Durchsuchung ließ die Tageszeitung acht Mal mehr Exemplare drucken als an einem normalen Tag: Unterstützer mit "Apple Daily"-Ausgaben. (Foto: ISAAC LAWRENCE/AFP)

Die Tageszeitung "Apple Daily" des Hongkonger Medienunternehmers Jimmy gehört zu den schärfsten Kritikern der Regierung - und droht ihr nächstes Opfer zu werden.

Von Lea Deuber, Peking

Sie müssten um jeden Preis weiterkämpfen, so stand es in roten Schriftzeichen auf der Titelseite der Hongkonger Tageszeitung Apple Daily, keine 24 Stunden, nachdem die Polizei den Gründer Jimmy Lai festgenommen hatte.

Vor einer Woche drangen 200 Polizisten in die Räume der Redaktion ein, die Bilder der Liveübertragung gingen um die Welt. Seitdem sind Jimmy Lai und seine Reporter zu Gesichtern des Widerstands in Hongkong geworden, während die Stadt einen Verlust von Freiheit erlebt, wie er vor einem Jahr noch undenkbar schien.

Nach Verhaftung
:Hongkonger kaufen aus Protest "Apple Daily"

Bereits am Vormittag war das pro-demokratische Blatt des festgenommenen Verlegers Jimmy Lai ausverkauft.

Apple Daily ist Teil von Lais Medienunternehmen Next Digital und hat nichts mit dem Techunternehmen Apple zu tun, sondern wurde nach dem Apfel aus dem Paradies benannt (wenn Eva den Apfel nicht gegessen hätte, gäbe es weder Böses noch Nachrichten in der Welt, sagt Lai). Die Zeitung gehört nicht mehr nur zu den schärfsten Kritikern der Regierung - sie droht ihr nächstes Opfer zu werden. Christophe Deloire von Reporter ohne Grenzen spricht von einem Versuch, eine "Ikone der Pressefreiheit" zu Fall zu bringen.

Die Apple Daily, 1995 gegründet, ist die zweitauflagenstärkste Zeitung der Stadt, in der Presse- und Meinungsfreiheit noch bis 2047 im Grundgesetz festgeschrieben sind. Sie ist bekannt für ihre Klatschseiten. Die auffälligen Überschriften, die Geschichten über Berühmtheiten, Drogen und Sex haben nach dem Erfolg von Apple Daily zu einer Boulevardisierung der ganzen Branche geführt. Gleichzeitig bringen die Journalisten mit ihren investigativen Recherchen auch immer mal wieder das politische Hongkong zum Beben, nicht erst seit die Zeitung eine Stimme für die pro-demokratische Protestbewegung geworden ist, die Gründer Lai offen unterstützt. Vor Märschen druckte die Redaktion auch mal ganzseitige Plakate, die Leser aus dem Blatt trennen und zu den Demonstrationen mitnehmen konnten. Gerade hat sie eine Sammlung von gelben Zetteln abgedruckt, auf die Hongkonger Protestslogans schreiben und an Wände, U-Bahn-Schächte, Schaukästen oder Bus-Sitze kleben. Da das unter dem neuen Sicherheitsgesetz eine Straftat sein könnte, hängen die Menschen inzwischen nur noch unbeschriftete Zettel auf. 2019 ist die Zeitung bei einer Umfrage vom drittletzten Platz der vertrauenswürdigsten Medien in der Stadt auf Platz 3 vorgerückt.

In einem Videointerview mit "Radio Free Asia" begann Lai zu weinen

Gegen Lai, 71 Jahre alt, seine zwei Söhne und mindestens vier weitere Mitarbeiter seines Medienunternehmens wird wegen des Verdachts auf geheime Absprachen mit Kräften im Ausland, Betrug und andere Verstöße ermittelt. In Dutzenden Kisten hat die Polizei Unterlagen aus den Geschäftsräumen der Firma getragen, die eine "Komplizenschaft mit ausländischen Beziehungen" beweisen soll. In der Redaktion fragen sich die Reporter jetzt, wie viel sie dafür bekommen, ihre Arbeit zu machen: drei Jahre, fünf Jahre oder womöglich lebenslange Haft?

In einem Videointerview mit Radio Free Asia begann Lai zu weinen, als die Journalistin ihn fragt, ob er seine Zeitung aufgeben würde, wenn die Kommunistische Partei seine Familie als Druckmittel einsetzt. Seine Familie käme natürlich an erster Stelle, sagt er, ungewöhnlich still, sonst tritt er deutlich kampfeslustiger auf. Der 71-Jährige ist als Kind aus Südchina nach Hongkong geflohen, wo er sein Medienimperium aufbaute. Ein Teil seiner Familie lebt noch in Festlandchina, wo Sippenhaft ein immer noch übliches Einschüchterungsmittel ist. Gegen seine Söhne wird bereits ermittelt. Auf Fotos, die Lai zwei Tage nach seiner Festnahme bei seiner Rückkehr in die Redaktion zeigen, sieht er müde aus. "Wir haben die Unterstützung der Menschen in Hongkong. Wir dürfen sie nicht enttäuschen", sagte er dort nach 40 Stunden in Polizeigewahrsam.

Immer mehr Artikel erscheinen ohne Autorennamen

Viele Hongkonger haben seit der Durchsuchung ihre Unterstützung gezeigt, indem sie die Zeitung kauften, 550 000 Exemplare ließ Apple Daily am Tag nach der Durchsuchung drucken, acht Mal mehr als an einem normalen Tag. In einigen Wohnhäusern warfen Unbekannte Ausgaben in jeden Postkasten.

Völlig neu ist der Druck auf die Zeitung nicht. China wirkt seit Jahren auf chinesische und Hongkonger Firmen ein, damit sie keine Anzeigen in Peking-kritischen Zeitungen schalten. Laut Next Digital soll das Liaison Office, die Vertretung der Zentralregierung in Hongkong, drei Banken 2013 zum Anzeigenstopp gezwungen haben. Dieses bestreitet das. Häufig erscheint die Apple Daily aber ohne eine einzige Anzeige aus Hongkong. Das kostet den Verleger nach eigenen Angaben jedes Jahr 44 Millionen Dollar.

Was das Staatsicherheitsgesetz für die Redaktion bedeutet, lässt die Durchsuchung erahnen. Kurz vor Inkrafttreten haben die Reporter bereits Recherchematerial auf Server im Ausland umgezogen. Um Quellen zu schützen, verschlüsseln die Journalisten ihre Kommunikation, Gesprächspartner werden vielfach nur noch anonymisiert zensiert, immer mehr Artikel erscheinen ohne Autorennamen. Die englischsprachige Zeitung Hong Kong Free Press überlegt, ob sie ihren Sitz ins nicht-chinesische Ausland verlegen sollen. Das will Jimmy Lai bisher nicht. Die Behörden haben die Konten der Firma gesperrt, die Journalisten erhalten keine Gehälter mehr. Doch ein bekannter Satiriker und Kolumnist hat es am Tag nach der Durchsuchung in der Apple Daily so formuliert: Sie können uns nicht alle töten.

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