Apokalypse im Fernsehen:Die große Lust am Untergang

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Es röchelt, spritzt und explodiert sehr vieles in der Serie "The Walking Dead". Es ist ein hartes Leben mit klarem Anforderungsprofil. (Foto: AMC)

Die Apokalypse ist zum Fernsehtrend geworden. Zombies und menschenleere Gegenden könnte man leicht als Gesellschaftskritik verstehen. Doch in Wahrheit sind sie Wohlfühlfernsehen mit anderen Mitteln.

Von Kathleen Hildebrand

Phil Miller wohnt in einer riesigen terrakottafarbenen Villa in Tucson, Arizona. An den Wänden hängen die berühmtesten Gemälde von van Gogh und Monet. Im Supermarkt muss er nicht bezahlen und zum Zeitvertreib sprengt er Luxusautos in die Luft. Phil Miller ist kein Börsentycoon, kein Internet-Milliardär und auch kein Drogenboss. Phil Miller ist der letzte Mensch.

Die Fernsehserie, deren Hauptfigur er ist, heißt The Last Man on Earth. Sie läuft seit März dieses Jahres im US-amerikanischen Fernsehen und ihre Quoten sind so gut, dass sie schon einen Monat nach ihrer Premiere um eine weitere Staffel verlängert wurde.

Mit Phil Miller, der sich erst nichts sehnlicher wünscht als eine Frau und der dann doch am Sozialen verzweifelt, als plötzlich eine nach der anderen nach Tucson kommt, wird der Fernsehtrend "Apokalypse" fortgeschrieben. Und dass er im Komödiengenre angekommen ist, heißt vielleicht auch etwas. Zum Beispiel, dass die Welt in der Unterhaltungsindustrie so oft ernsthaft untergegangen ist, dass Erdbeben, Kometeneinschläge und Todesviren nun auch mal anders als immer nur mit Roland-Emmerich-Pathos begegnet werden kann.

Letzter Mensch im Wohlstandsmüll: Will Forte spielt Phil Miller in der Serie "The Last Man on Earth". (Foto: Jordin Althaus/FOX)

Nach dem Ende wird es komisch

Vielleicht heißt es aber auch, dass angesichts der omnipräsenten Bedrohungsszenarien in den echten Nachrichten der Weltuntergang seinen Schrecken verloren hat: schleichender Klimawandel, Finanz- und Schuldenkrise. Das Fernsehen spekuliert jetzt darüber, was nach dem Ende kommt. In The Last Man on Earth ist das tatsächlich sehr, sehr lustig. Im großen Übererfolg der Untergangserzählung, der amerikanischen Horror-Serie The Walking Dead, ist es das eher nicht. Höchstens, wenn die Requisiteure sich wieder übermäßig an halbierten, schleimigen, explodierenden Zombies verkünsteln.

Die neue Lust am Untergang schlägt sich aber auch in ganz anderen Formaten nieder. Neben dem Reality-Sozialexperiment Newtopia auf Sat.1 geben die britischen Survival-Experten Ed Stafford und Bear Grylls auf DMAX Überlebenstipps und auf dem National Geographic Channel läuft Ausgesetzt: Überleben für Anfänger. Der Survival-Trend ist in den USA und Großbritannien gewaltig und die Verbindung zur TV-Apokalyptik dort noch klarer als bislang im deutschen Fernsehen: Es gibt Reality-Lehrfilme darüber, wie man den Weltuntergang überlebt, I survived a Zombie apocalypse schlägt sich eine Spielshow der BBC auf die Brust. In Apocalypse 101, einer Produktion des National Geographic Channel, wird das Einmaleins des Überlebens von Atomkatastrophen vermittelt - mit allen Mitteln, von der Pumpgun bis zur Jodtablette.

Wenn gute und erfolgreiche Fernsehproduktionen den Zeitgeist aufgreifen, die Ängste und die Hoffnungen der Menschen - was sagt die Lust an der Apokalypse dann über uns aus? Ist da vielleicht ein großes kritisches Projekt in Gang gekommen, dass die Welt auf den Bildschirmen in schrecklichster Zerstörtheit zeigt, damit man ihren Untergang verhindern will?

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Feuer, Eis oder Flutwellen - in Katastrophenfilmen wird New York immer wieder zum Ort des ultimativen Desasters. Elf Jahre nach 9/11 sorgt "Sandy" dafür, dass die düsteren Phantasien der Filmemacher zur Realität werden - zumindest ein Stück weit. Eine kleine Kulturgeschichte der New Yorker Heimsuchungen.

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Leider nein. Natürlich sind solche Sendungen erst einmal Eskapismus für Burnout-gefährdete Büromenschen. Ein Back-to-the-Roots für alle, die ohne ihr Handy kaum noch den Weg zum Bahnhof finden, ein Placebo gegen die Entfremdung durch Technik und durch eine kompliziert verflochtene Welt, die es den meisten unmöglich macht, die direkten Auswirkungen ihres Tuns zu sehen. Das Ende aller Dinge ist eine wohltuend rigorose Form von Komplexitätsreduktion. Survival-Experten wie Bear Grylls stellen sich schwierigen Aufgaben, die aber wohltuend klar sind: Der reißende norwegische Bergfluss muss überquert werden. Also wird der reißende norwegische Bergfluss überquert. Hinterher fühlt man sich gut und echt und rau. Und für alles gewappnet, was noch kommen mag.

Auch The Walking Dead begnügt sich nicht mit ekligem Splatter. Die Serie interessiert sich in Wahrheit weniger für ihre Untoten als für den Sozialdarwinismus innerhalb einer kleinen Gruppe Überlebender. Das ernüchternde, vorläufige Ergebnis: Ein weißer, männlicher Sheriff führt. Frauen und Schwarze folgen. Und doch: Immer wieder scheint die Apokalypse als die neue Chance auf, die sie schon in der Bibel war, die tabula rasa nach der Sintflut, die ja ein großes Versprechen birgt. Etwas Frisches, Neues und potenziell Besseres. Der Neubeginn, nicht die Vernichtung war schon immer die Essenz aller Erzählungen vom Weltuntergang. Es ist so verlockend, das ganze verkorkste Chaos vom Tisch zu wischen und nochmal neu anzufangen mit dem Projekt "Zivilisation".

Was die apokalyptischen Szenarien hingegen nicht tun, ist die Menschen zu aktivieren. Dazu, gegen bevorstehende Katastrophen anzugehen, gegen Gefahren, die der Zivilisation drohen. Es liegt in der Natur dieser Erzählungen, dass es dafür immer schon zu spät ist und gerade das macht ihre Faszination zu einer grundsätzlich gemütlichen: Nach ein paar Episoden The Walking Dead putzt man sich die Zähne und krabbelt glücklich in sein warmes, westliches Bett. "So schlimm ist es zum Glück nicht", denkt man - weil niemand in der Nacht mit einem Zombieüberfall rechnen muss, sondern höchstens damit, dass die Schere zwischen Arm und Reich wächst oder dass der Klimawandel auch vom nächsten Politikergipfel nicht gestoppt werden wird.

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Bei Serien liegt zwischen der Ausstrahlung in den USA und der in Deutschland oft nur noch ein Tag. Die Synchronstudios müssen sich also beeilen. Zu Besuch bei den Sprachaufnahmen für "The Walking Dead".

Von Niklas Hofmann

Das Erzählen von der Apokalypse lähmt auch durch die Form, in der sie über Phil Miller und den Walking-Dead-Sheriff Rick Grimes hereinbricht. Der Weltuntergang kommt immer ähnlich daher - sehr plötzlich. Wer aber heute auf die Apokalypse wartet wie auf den Zombie-Virus oder auf die riesige Tsunamiwelle, die die Freiheitsstatue unter sich begräbt - der wartet vergebens. Die großen Katastrophen unserer Zeit kommen schleichend: Grad für Grad auf dem Thermometer, Zentimeter für Zentimeter an den Küsten, wo der Meeresspiegel steigt, und mit jedem Prozent, das die Einkommensextreme auseinanderdriften.

Das sind die großen, die echten Katastrophen. Sie passen nicht in die Muster, die sich die Menschen für ihre apokalyptischen Fantasien gemacht haben. Und Vorbereitungen, wie Survival-Shows sie lehren, retten niemanden mehr, wenn die essbaren Käfer ausgestorben sind und der Regen ausbleibt, den man als Trinkwasser auffangen könnte. Sich auf die Apokalypse vorzubereiten, ist sicher nicht die Reaktion, die uns retten kann. Noch nicht.

Mit dem Fernseher schaltet man aber leicht auch das Nachdenken darüber aus, wie der prä-apokalyptischen Welt noch zu helfen wäre. Das ist schlecht, denn die Welt nach den Katastrophen, die der Menschheit momentan tatsächlich drohen, wird die Welt kein Ort für Abenteuer sein, kein Ort für einen visionären Neubeginn und erst recht keiner für Komödien.

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