Animationsserie für Kinder:Wie Tim und Struppi im Krieg

Die langen großen Ferien - allgemein 2

Zeichnungen veranschaulichen das Leben der Franzosen zu Zeit der deutschen Invasion.

(Foto: ZDF/ Les Armateurs/Blue Spirit StudioDQ Entertainment)

Wie kann man Kindern von heute die Nazidiktatur und ihre Opfer erklären? In "Die langen großen Ferien" ist der Zweite Weltkrieg ungewöhnlich verarbeitet - als Animationsserie. Der Versuch ist gelungen.

Von Joachim Käppner

Wie erzählt man Kindern vom Dritten Reich, dem Terror, der Judenverfolgung, dem Krieg? Wer in den Sechzigerjahren geboren wurde, für den war die Erinnerung an den Krieg omnipräsent, denn fast alle Erwachsenen hatten ihn erlebt und viel darüber zu erzählen, Schreckliches wie Naives, Verlogenes wie Vorbildliches. Viele sprachen nicht davon, aber dennoch war ihnen anzumerken, wie sehr eine Jugend unter dem Hakenkreuz sie geprägt hat.

Als Bücher für Kinder erschienen, welche am Einzelschicksal verdeutlichten, was eine Diktatur Entsetzliches anrichten kann (etwa Judith Kerrs Als Hitler das rosa Kaninchen stahl und, natürlich, das von Millionen gelesene Tagebuch der Anne Frank), da ließen diese auch die Eltern nicht unberührt; zumindest mussten etliche ihren Kindern sehr unangenehme Fragen beantworten: Was habt ihr damals getan?

Für heutige Kinder ist die Nazizeit mit ihren Schrecken gefühlt so weit fort wie Attila der Hunnenkönig, jedenfalls was den Bezug zum eigenen Leben angeht. Manchmal, vielleicht beim Besuch eines greisen Zeitzeugen in der Schule oder bei einer Klassenfahrt zu einer Gedenkstätte, sind sie schockiert darüber, welcher Abgrund sich da einst aufgetan hat.

Sicher ist jedenfalls: Anders als früher fehlt es gewiss nicht an Material über die Nazidiktatur und ihre Opfer. Nur: Wie bringt man es Kindern nahe, die Digital Natives sind und die man mit belehrenden Schriften nicht zwingend erreicht? Man kann es nur versuchen.

Ohne Kitsch, Pathos und Überpädagogisierung

Der Animationsfilm Die langen großen Ferien auf Kika ist so ein Versuch, und ein gelungener dazu. Sie schildert die Besetzung Frankreichs aus Sicht zweier Pariser Kinder, des zehnjährigen Ernest und der sechsjährigen Colette. Die Geschwister werden 1940 bei den Großeltern in der Normandie vom Krieg überrascht und müssen dort auf dem Land bleiben: "In diesem Moment wurde uns klar, dass wir Mama und Papa längere Zeit nicht sehen würden", sagt Colette als Erzählerin, die viel später, lange nach dem Krieg, schon den eigenen Kindern von den Ereignissen ab 1939 berichtet. Die Wehrmacht fällt in Frankreich ein und besetzt es schließlich, und die beiden Kinder lernen im normannischen Alltag mehr und mehr: Man kann sich vor dem modernen Krieg nicht mehr verstecken.

Im Comic-Stil der Dreißiger- und Vierzigerjahre

Die Zeichnungen sind sehr gelungen, weil schlicht, aber klar und realitätsnah, ein wenig und nicht zufällig erinnert der Stil an Tim und Struppi, den unsterblichen Klassiker des belgischen Zeichners Hergé. Die Abenteuer um den Reporter Tim streifen ja ebenfalls häufig das Böse, das der Mensch durch politischen Fanatismus und Machtgier anrichtet. Die französische Animationsfirma "Les Armateurs", die schon auf eine Oscar-Nominierung und den César für den Spielfilm "Ernest und Célestine" erhielt, hat die auf wirklichen Begebenheiten beruhende Geschichte sehr sorgsam, detailbewusst und eben im Comic-Stil der Dreißiger- und Vierzigerjahre gestaltet; das Ergebnis ist sehenswert, nicht nur optisch. Im Internet gibt es zu den Teilen der Serien auch Hintergrundmaterial für Eltern und für Lehrer.

Die langen großen Ferien sind aber doch ganz anders als Tim und Struppi. Sie entwickeln sich langsam, und vieles, was Sieben- bis Zehnjährige fesseln kann, hat gar nichts mit Terror und Besatzung zu tun. Da ist das Ferkel, das Colette und Ernest geschenkt bekommen, Probleme und Begegnungen der kleinen Pariser mit anderen Kindern, und ein wohl gehütetes Geheimnis. Sie arrangieren sich, und fast erscheint ihnen das Leben auf dem normannischen Land als jene "langen großen Ferien", wie die Serie auch heißt. Sehr schon geschildert ist diese Provinz mit ihren Dorfläden, Alleen und Kriegerdenkmälern, dem Baumhaus im Wald.

Erst nach und nach zieht der Schrecken ein: Als die französische Armee die Invasoren nicht aufhalten kann; als die Deutschen den Hof durchsuchen, weil der Vater aus der Kriegsgefangenschaft geflohen ist; als Nahrungsmittel knapp werden; die Judenverfolgung beginnt. Das alles wird in dieser Animationsserie erzählt ohne Kitsch und Pathos und vor allem ohne die gut gemeinte, aber oft eher abschreckende Überpädagogisierung des Themas in Unterricht und Museen.

Auch für Erwachsene beklemmend ist der Angriff eines deutschen Messerschmitt-Jägers auf einen Flüchtlingszug: die Hilflosigkeit derer am Boden, die Furcht der Kinder, und eines von ihnen springt mitten in die Feuerlinie, um das Schweinchen zu retten. Als ein britischer Kampfpilot mit dem Fallschirm abspringen und sich vor der Wehrmacht verstecken muss, werden die moralischen Fragen noch drängender, jene Fragen, für die Kinder sich ja immer interessieren: Was ist böse? Gibt es das Böse schlechthin? Was kann man wie dagegen tun?

Ohne zu spoilern, darf man verraten: Am Ende werden die Kinder, nun fast schon Jugendliche, den Weg zur Résistance finden. Sie haben ihre Entscheidung getroffen.

Die langen großen Ferien, KiKA, ab Sonntag immer wöchentlich, 13.00 Uhr

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