Anne Will zur Türkei:Das Einmaleins der politischen Kommunikation bei "Anne Will"

Lesezeit: 2 min

Kanzleramtsminister Peter Altmaier (links) und der türkische Sportminister Akif Çağatay Kılıç im Schlagabtausch bei "Anne Will". (Foto: dpa)
  • Bei "Anne Will" diskutieren Kanzleramtsminister Altmaier und der türkische Jugendminister Kılıç über das deutsch-türkische Verhältnis.
  • Die Talkshow schneidet wichtige Fragen an, kann sie jedoch nicht beantworten.
  • Auf Twitter kritisieren die Zuschauer, dass die ARD Kılıç eingeladen hat und ihm eine Plattform zur Verfügung stellt.

TV-Kritik von Maximilian Heim

Auf dem Kopf des geduldigen wie stattlichen deutschen Kanzleramtsministers bildet sich mit der Zeit ein leichter Schweißfilm. "Natürlich haben wir Pressefreiheit", hat der türkische Minister für Jugend und Sport, Akif Çağatay Kılıç, gerade mal wieder erklärt. Peter Altmaier (CDU) könnte nun empört auf all die inhaftierten Journalisten in der Türkei verweisen, auf all die geschlossenen Redaktionen, aber das hat er ja schon mehrmals getan. Also versucht es der CDU-Mann mit einem skeptischen Gesichtsausdruck.

Einen "Minister-Gipfel" mit nur zwei Studiogästen hat die Redaktion von "Anne Will" kurzfristig anberaumt. Angesichts der jüngsten Zurufe des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Richtung Deutschland und Niederlande (Nazis! Faschisten! Bananenrepublik!) sicher keine schlechte Idee. Während Altmaier die Sichtweise der Bundesregierung darlegt, vertritt der in Siegen geborene Kılıç die Perspektive von Erdoğans Regierungspartei AKP.

Dabei wechselt der 40-jährige Sportminister munter zwischen deutscher und türkischer Sprache. Die angesichts seiner Biografie interessanten Fragen beantwortet er aber nicht. Kann man das Land, in dem er die ersten zehn Lebensjahre verbracht hat, mit Nazi-Deutschland vergleichen? Kılıç zeigt ein Erdoğan-kritisches Spiegel-Cover aus dem vergangenen Sommer. "Denken Sie, das kommt gut an in der Türkei?" Zweiter Versuch der Moderatorin: Ist Deutschland ein mit der NS-Zeit vergleichbares Land? "Es wurde nur gesagt, dass Deutschland Methoden benutzt hat, die an Nazi-Deutschland erinnern."

Kılıç meint damit die kurzfristig abgesagten Wahlkampfreden türkischer Regierungsvertreter in Deutschland. An Parkplatznot oder Brandschutz als Gründe für die Absagen glaubt er nicht. Anders als die Erdoğan-Anhänger dürfen Gegner des geplanten Staatsumbaus seiner Einschätzung nach durchaus in Deutschland auftreten. Über die türkische Regierung würde dagegen in deutschen Medien nur negativ berichtet.

Eine vertiefende Diskussion an manchen Stellen wäre klug gewesen

Schon klar: Nur die tapfersten Talkshow-Liebhaber dürften damit gerechnet haben, dass das Erste Deutsche Fernsehen die schweren diplomatischen Verwerfungen dieser Tage innerhalb einer Stunde lösen wird. Oder dass die Türkei gar, berauscht von Altmaiers Argumenten, den inhaftierten Welt-Journalisten Deniz Yücel umgehend in die Istanbuler Nacht entlässt. Dennoch wäre eine vertiefende Diskussion an manchen Stellen klug gewesen. Hat Kılıç nicht recht, wenn er Islamophobie und Fremdenhass in Europa anprangert? Wie kann es sein, dass die Türkei mehr Flüchtlinge versorgt als alle EU-Staaten zusammen? Haben die Niederlande ihren moralischen Kompass oder hat der dortige Premierminister ein saftiges Wahlkampfthema entdeckt?

Leider aber bleibt es an diesem Sonntagabend beim Einmaleins der politischen Kommunikation. Altmaier hat offenbar den Arbeitsauftrag "Deeskalation und Wahlkampftaktik" mit ins Studio genommen. Wenn er sich direkt an die hier lebenden Türken wendet und deren Stellenwert für die Gesellschaft betont, ballt er sehr gefühlvoll beide Fäuste und setzt einen sorgenvoll-nachsichtigen Blick auf. Auch in Deutschland soll es im Herbst eine nicht ganz unwichtige Abstimmung namens Bundestagswahl geben.

Plattform X

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von X Corp. angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von X Corp. angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Bei Twitter und auf anderen Social-Media-Plattformen im Internet regt sich schon während der Sendung viel Kritik an der Entscheidung, mit Kılıç einem Vertreter der türkischen Regierung zur besten Sendezeit eine große Bühne zu geben. Satiriker Jan Böhmermann, dem türkischen Staatspräsidenten bekanntlich tief verbunden, ätzt noch während der Ausstrahlung: "Wenn die offiziellen diplomatischen Gespräche zwischen Deutschland und der Türkei nur im Ansatz so ablaufen wie gerade bei #annewill, wundert gar nichts mehr."

Plattform X

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von X Corp. angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von X Corp. angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Und tatsächlich bleibt ein seltsamer Nachgeschmack. War es nicht genau dieser Minister Kılıç, der im vergangenen September Aufnahmebänder der Deutschen Welle nach einem kritischen Interview beschlagnahmen ließ? Warum kommt das in der Sendung überhaupt nicht zur Sprache? Und warum muss ein Mann, der fließend Deutsch spricht, immer wieder auf Türkisch zu wortreichen Erklärungen ansetzen?

Wenigstens Kanzleramtschef Altmaier hat sich ob der verfahrenen Situation - auch er verbittet sich erwartungsgemäß jeglichen Nazi-Vergleich - eine Portion Optimismus bewahrt. "Ich bin überzeugt, dass die Demokratie in der Türkei auf Dauer nicht abgeschafft werden kann", teilt er seinem lächelnden Ministerkollegen Kılıç gegen Ende noch mit. Die kommenden Wochen werden zeigen, wie dessen Lächeln zu deuten ist.

© sz.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Wahlkampfauftritte in Deutschland
:Türkische Politiker können sich bei Wahlkampf-Absagen nicht auf Grundrechte berufen

Das stellt das Bundesverfassungsgericht fest. Die Richter argumentieren, die Bundesregierung müsse dies politisch entscheiden.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: