SPD-Chef Martin Schulz bei "Anne Will":Erschöpfter Königspinguin im TV-Studio

SPD-Chef Martin Schulz, Anne Will, ARD

Wenige Stunden nach dem entscheidenden Parteitag in Bonn sitzt SPD-Chef Martin Schulz schon wieder im TV-Studion in Berlin.

(Foto: ARD)

Der SPD-Chef stellt sich nach dem knappen Ja seiner Partei zu Koalitionsverhandlungen der Talkrunde bei Anne Will. Selbst Peter Altmaier und Christian Lindner scheinen Mitleid zu haben.

TV-Kritik von Lars Langenau

Was war das (wieder) für ein Tag für SPD-Chef Martin Schulz. Was war das für ein Parteitag. Genossen, die sich stundenlang streiten, gegenseitig plagen, fetzen. Nur dürrer Beifall nach seiner Rede - obwohl er doch seit Wochen die Last zwischen Staatsräson und Parteierhalt ganz alleine schultert. Und seine Genossen mit diesem letzten, eindringlichen Appell davon überzeugen wollte, dass es richtig ist, Koalitionsverhandlungen mit der Union aufzunehmen. Und dann ein solch dürres Abstimmungsergebnis: 362 Ja-Stimmen, 279 dagegen. 56 Prozent. Nur 56 Prozent.

Normale Menschen würden sich nach so einem Sonntag kurzfristig Sonderurlaub genehmigen, sich ein wenig zurückziehen, zur Ruhe kommen. Viel schlafen, vielleicht Enten füttern, nachdenken. Und Martin Schulz? Der sitzt am späten Abend, ein paar Stunden nach dem entscheidenden Parteitag in Bonn, in Berlin im TV-Studio. Spricht bei Anne Will von einem "historischen Tag für die SPD". Schulz' Augenringe sind tief, er wirkt erschöpft und sieht ein bisschen aus wie ein gerupfter Königspinguin.

Seine Partei stellt sich - wenn die Basis auch noch folgen sollte - abermals der Regierungsverantwortung. Mit dem hohen Risiko, den meisten sozialdemokratischen Schwesterparteien auf dem Kontinent in die Bedeutungslosigkeit zu folgen. Wird man eines Tages in den Geschichtsbüchern diesen 21. Januar 2018 als den endgültigen Sargnagel dieser einst großen, stolzen deutschen Arbeiterpartei betrachten?

Entwaffnende Offenheit, auch in der persönlichen Niederlage

Schulz ist sich der Tragweite der Entscheidung bewusst, die er und die Delegierten früher am Tag getroffen haben. Er ist sich bewusst, dass er in einer erneuten großen Koalition zum Erfolg verdammt ist. Einen Großteil der Delegierten habe er nicht erreicht, sagt der Mann aus Würselen mit jener entwaffnenden Offenheit, die ihn inzwischen auszeichnet und von Schönrednern abhebt. Aber das habe daran gelegen, dass sie sich vorher festgelegt hätten.

Wortbruch nach den wiederholten und vehementen Absagen an eine erneute große Koalition? Glaubwürdigkeitsprobleme? Angst vor Neuwahlen? "Eine völlig neue Situation" sei nach dem Scheitern von Jamaika entstanden, widerspricht Schulz. "Wir müssen an die Menschen im Land denken", argumentiert er und verspricht, für sehr viele Bürger mehr Gerechtigkeit zu erreichen. "Ein Prozent von etwas ist mehr als 100 Prozent von nichts." Das kann man Verantwortung nennen.

"Wenn man gestalten will, dann muss man regieren", sagt Peter Altmaier, Chef des Bundeskanzleramtes und amtierender CDU-Finanzminister, vor allem in Richtung von FDP-Chef Christian Lindner. Altmaier macht eine gute, kanzlereske Figur. Und er gibt Schulz Hoffnung, dass Positionen nachverhandelt werden, wenn das den Menschen tatsächlich helfen würde. Schließlich habe der Koalitionsvertrag vor vier Jahren auch mehr als 100 Seiten gehabt, das aktuelle Sondierungspapier aber nur 28 Seiten. Es kommt dem Zuschauer in diesem Moment so vor, als wolle dieser riesige Mensch Altmaier seinen Kollegen Schulz am liebsten in den Arm nehmen wollen. Weil der so klein, zerknittert und eingefallen aussieht.

Lindner kritisiert die "Methode Merkel"

Das, was die Groko nun besprochen habe, sei im Großen und Ganzen dasselbe, was Jamaika verhandelt habe, wirft Lindner ein. Aber warum sei er dann vor der Regierungsverantwortung geflohen, fragt Anne Will. Weil es eben keinen echten Neuanfang gegeben hätte. Es habe größere Unterschiede zwischen seiner Partei, den Grünen, CDU und CSU gegeben, als zwischen Union und Sozialdemokraten bestünden. "Es gibt nicht nur die Pflicht zum Konsens, sondern auch zur Kontroverse."

Außerdem könne man "als Elf-Prozent-Partei nur machen, wenn die anderen mitmachen". Aber es sei eben die "Methode Merkel", selten Position zu beziehen, resümiert der FDP-Mann. Trotz seiner fast unerträglich anmaßenden Attitüde versteht er es, sich nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Schließlich war er es, der sich im November vor dem Regieren drückte und damit Schulz erst in die Bredouille zwang. Lindner zeigt sich beeindruckt von der Debattenkultur, die die SPD auf ihrem Parteitag bewiesen habe. Seine Überheblichkeit wirkt plötzlich etwas gezügelt. Es scheint fast, als habe auch Lindner Mitleid mit Schulz.

Christiane Hoffmann, stellvertretende Leiterin des Spiegel-Hauptstadtbüros, wirft die Frage auf, was Mut denn eigentlich bedeute, im politischen Sinne. Eine richtige Antwort bekommt sie nicht. Ihr selbst fällt auch nicht mehr ein, als die immer gleichen, inhaltsleeren Forderungen nach einem "Neuanfang" und "Generationswechsel" in der deutschen Politik zu beschwören. Sie versteigt sich gar in die Formulierung, dass sie die aktuelle Politik an die "Endzeit der Sowjetunion" erinnere.

Wäre die FDP eine echte Alternative gewesen?

Das wiederum ist reine Agitation und wird weder Angela Merkel, noch Martin Schulz und seiner SPD gerecht, die so offen und ehrlich mit sich gerungen haben, wie es nur noch selten zu beobachten ist. Und wäre eine Regierungsbeteiligung der FDP wirklich eine Alternative gewesen? Die Partei scheint ihrem Posterboy blind zu folgen, weil der den Eindruck von Jugendlichkeit und Aufbruch vermittelt, gleichzeitig aber Arbeitgeberpositionen von anno dazumal vertritt. Vielleicht können die ganz normalen Arbeitnehmer froh sein, dass diese Generation von Politikern (noch) nicht an der Macht ist.

Ausgeschlafen sind Schulz und Altmaier allemal in der Lage, der neoliberalen Dampfplauderei Paroli zu bieten. Genau das bleibt in den kommenden vier Jahren zu hoffen. Andernfalls könnte auch Merkel aussehen wie ein zerrupfter Königspinguin.

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