Süddeutsche Zeitung

Anne Will zur NRW-Wahl:"Du gibst den Leuten ständig die Botschaft: Ich nehme dich nicht richtig ernst"

Warum hat Hannelore Kraft die NRW-Wahl so krachend verloren? Giovanni di Lorenzo hätte ein paar Antworten parat, doch die Politiker reden lieber über andere Themen.

TV-Kritik von Ruth Schneeberger

Ob es nun an den Nachwehen des großen Cyberangriffs lag oder an der Überraschung über die krachende Niederlage der SPD in NRW: Die Öffentlich-Rechtlichen machten im Anschluss an die Wahl am Sonntagabend einen teils verwirrten Eindruck.

Während Frank Plasberg in der ARD am frühen Abend führende Parteivertreter befragte, wurde vom Sender immer genau in dem Augenblick zum nächsten Akteur umgeschaltet, wenn diese zu einer Antwort ansetzten. Plasberg selbst bestand darauf, wissen zu wollen, ob die grüne NRW-Bildungsministerin Sylvia Löhrmann nun von ihrem Amt zurücktrete. Woraufhin sie ihn darüber belehren musste, dass sie nun kein Amt mehr habe und deshalb auch nicht zurücktreten könne oder müsse. Und Jörg Schönenborn sprach bei einer späteren Wahlsendung konstant in die falsche Kamera. Da habe wohl die Technik ausgesetzt, entschuldigte sich Ingo Zamperoni. Anstelle von Tortendiagrammen sah der Zuschauer minutenlang nur den Moderator von der Seite.

Anne Will in Bestform - bis die Runde ausartet

Zumindest mittendrin schlug sich aber Anne Will ganz prächtig - etwa bis zur Mitte ihrer Sendung. Danach übernahmen die männlichen Gäste das Ruder - mit machtpolitischen Überlegungen, die eigentlich nur sie selbst interessierten. Auch da also: Verwirrung machte sich breit.

Immerhin war Anne Will tapfer angetreten, die erdrutschartige Niederlage der SPD zu ergründen, die kaum jemand in dem Ausmaß erwartet hatte. Sie stellte die richtigen Fragen, ließ sich nicht abwimmeln und insistierte auch bei Ausweichmanövern von SPD-Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (die der CDU einen "Wutbürgerwahlkampf" vorwarf) oder Hessens CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier (der an diesem Abend ganz besonders süffisant grinste, obwohl die CDU das zweitschlechteste Ergebnis ihrer Geschichte in NRW eingefahren hat - immerhin: die SPD holte ihr schlechtestes).

Doch dann kam Jürgen Trittin von den Grünen und war nicht so gut drauf. Er wollte dem stellvertretenden FDP-Bundesvorsitzenden Wolfgang Kubicki erklären, wie die FDP sich nun zu den Grünen zu verhalten habe. Das wollte der aber gar nicht hören. Kubicki wörtlich: "Dieser Trittin ist wirklich unerträglich." Fortan gifteten sich die beiden gegenseitig an - und die NRW-Themen waren vergessen. Auch Schwesig befand zwischendurch im Gespräch mit Bouffier: "Über NRW brauchen wir nicht mehr reden."

Schade eigentlich. Es hätte bestimmt viel dazu zu sagen gegeben, warum die Menschen in NRW ihre Regierung abgewählt haben - trotz des noch vor kurzem so gehypten SPD-Hoffnungsträgers Martin Schulz, der sich stark mit der NRW-Wahl identifiziert hatte und sogar Verbindungen zwischen dem erhofften Sieg Krafts und seiner Kanzlerschaft zog. Schwesig findet den Rücktritt der Genossin deshalb angemessen.

Bouffier zollte Kraft ebenfalls Respekt für den Rücktritt und sagte: "Es gab keine außer Kraft, die das Thema soziale Gerechtigkeit so in den Mittelpunkt gestellt hat. Diese Agenda ist erkennbar abgewählt worden."

Auch Giovanni di Lorenzo fand, das Thema soziale Gerechtigkeit sei von den Sozialdemokraten zu stark betont worden. Die SPD müsse sich wieder mehr an der Mitte orientieren. Es sei außerdem unverständlich, warum sich linke Parteien so vehement gegen das Sicherheitsbedürfnis vieler Bürger wehren würden. Das sende das Signal: Ihr seid hysterisch. "Du gibst den Leuten ständig die Botschaft: 'Ich nehme dich nicht richtig ernst'", so der Chefredakteur der Zeit.

Da wurde Trittin wieder wütend. Niemand habe sich vorher um ordentliche Schusswaffen für die Polizei in Berlin gekümmert, das sei mit der CDU nicht gegangen, sondern erst jetzt, mit den Grünen. So mache man Sicherheitspolitik.

Das ist der Moment, in dem der Moderatorin die Sendung aus der Hand gleitet und sie schon befürchtet, Ärger mit ihrer Mutter zu bekommen, wenn die wieder nichts verstanden habe - und das am Muttertag! Sie wird bis zum Schluss das Ruder nicht zurückbekommen, weshalb die Themen wild durcheinanderpurzeln, vom Glasfaserkabel bis zu Jamaika in Schleswig-Holstein. Nur um den Zustand in NRW geht es kaum. Kölner Silvesternacht, Einbruchsserien, Bildungspolitik, war da was? Es wird nur immer wieder betont, dass eine Landeswahl eine Landeswahl bleibe und keine Bundestagswahl sei. Das hätte der Zuschauer sonst allerdings auch glatt vergessen.

Es ist Manuela Schwesig, die immerhin zu einem schönen Schlusswort findet: "Wir können nicht so tun, als ob alles gut wäre in Deutschland. Und nur weil man an der Regierung ist, darf man nicht alles schönreden." Das gilt im übrigen für alle Regierungsparteien und auch für den Bundestagswahlkampf, der nun in die heiße Phase eintritt.

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