Süddeutsche Zeitung

"Anne Will" zur Bamf-Affäre:Warum nur schwieg Herr Mayer von der CSU?

Ist die "Bremer Asyl-Affäre" ein Systemfehler oder nur ein Einzelfall? Zur Klärung dieser Frage nimmt Anne Will zunächst einen Staatssekretär in die Mangel.

TV-Kritik von Paul Katzenberger

Das deutsche Asylrecht ist eine zivilisatorische Errungenschaft, doch das gerät in letzter Zeit offensichtlich zunehmend in Vergessenheit. Das, was sich etwa in der Bremer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) zugetragen hat, erscheint manchem inzwischen gar typisch "Asyl" zu sein, geradezu der Beleg für einen grundlegenden Makel. Doch steht die Bestechlichkeit und die "bandenmäßige Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung", zu der es in Bremen nach Auffassung der Staatsanwaltschaft gekommen sein könnte, wirklich für ein Systemversagen? Darüber diskutierte die Runde bei "Anne Will" am Sonntagabend mit fünf Gästen, von denen zwei zunächst aber den Vortritt bekamen.

Der eine von ihnen war der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD), ohne den der Skandal womöglich niemals aufgeflogen wäre. Er hatte Wind von problematischen Entscheidungen der Bremer Außenstelle bekommen. Und sich 2016 in einem Brief an den damaligen Behördenchef Frank-Jürgen Weise darüber beschwert. Weise brachte die interne Revision des Bamf ins Spiel. Deren Nachforschungen führten zur Aufdeckung des Falls.

Der zweite war der neue Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Stephan Mayer (CSU). Auch er hat von der Angelegenheit früher erfahren als die meisten anderen, doch anders als für Pistorius ist das für ihn inzwischen ein Problem. Denn als er Anfang April von den Problemen in Bremen in Kenntnis gesetzt wurde, leitete er diese Information nicht unverzüglich an seinen Chef Horst Seehofer weiter. Der stattete dem Bamf in Nürnberg zwei Tage später einen Besuch ab und lobte die Behörde in seiner Ahnungslosigkeit in höchsten Tönen. Peinlich - nach allem, was man inzwischen über das Bamf weiß.

Da saßen sie nun also: ein mustergültig erscheinender Länder-Innenminister (Pistorius) und ein irgendwie unglücklich agierender Bundes-Staatssekrekretär (Mayer) - noch dazu von zwei konkurrierenden Volksparteien - eine solch dankbare Duell-Konstellation, um in die Diskussion einzusteigen, ließ sich Anne Will nicht entgehen: "Schwerwiegendste Vorwürfe, Herr Mayer, die da im Raum stehen: Korruption, Amtsmissbrauch, Vertuschungsvorwürfe gegen das Bamf (...), davon erfahren Sie persönlich, und informieren Ihren Minister nicht sofort. Warum nicht?", fragte sie den CSU-Politiker spitz.

Mayer antwortete langatmig, aber nicht stichhaltig. Er habe den Sachverhalt erst prüfen wollen, bevor er den Chef damit behellige: "Wenn man mit jedem Gerücht und jeder Behauptung, die eingeht, sofort den Minister konfrontiert, dann wäre ein Ministerium nicht operabel zu führen."

Pistorius nimmt die Vorlage gerne auf

Dass sie Mayer das dünne Argument nicht durchgehen lassen musste, dafür hatte Will ja Pistorius dasitzen, der selber ein Ministerium operabel führt: "Herr Pistorius, wie erklären Sie sich und uns und vielleicht auch Herrn Mayer, dass bei ihm nicht sofort alle Alarmglocken geschrillt haben, denn inzwischen hat sich das Ganze zu einem Riesending ausgewachsen."

Der niedersächsische Innenminister nahm die Vorlage dankbar auf und signalisierte blankes Unverständnis: Wenn ihm ein Mitarbeiter nicht wenigstens einen Hinweis auf einen solchen Bericht bei einer so diffizilen Behörde wie dem Bamf geben würde, wäre er einigermaßen sauer. "Herr Mayer bringt sich und Herrn Seehofer damit unnötig in Schwierigkeiten. Ein direkter Hinweis wäre wahrscheinlich der bessere Weg gewesen."

Das saß. Mayer wusste sich nur noch zu helfen, indem er nun reflexartig Pistorius Versäumnisse in seinem Bereich vorwarf, um dann im selben Atemzug zu beteuern, dass er diese Vorwürfe gegen Pistorius jetzt eigentlich gar nicht erheben wolle. Mayers Hilflosigkeit hatte kurz komödiantischen Charakter.

Freudiges Verbeißen in Verfahrensfragen

Erst nach dieser inszenierten Konfrontation band Will auch die anderen Gäste, den AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, und die investigative NDR-Journalistin Christine Adelhardt in die Debatte ein. Das Herausnehmen des konfrontativen Elements erhöhte den Informationsgehalt der Sendung allerdings nicht wesentlich.

Denn bestimmte Fragestellungen schienen zu früh gestellt zu sein. Die von Horst Seehofer geplanten sogenannten "Ankerzentren" etwa, in denen die Asylanträge der Flüchtlinge künftig zentral und zügig abgearbeitet werden sollen, haben zwar schon viel Kritik auf sich gezogen: ProAsyl und die Gewerkschaft der Polizei fürchten, dass da so etwas Ähnliches wie "Gefängnisse" oder "Lager" errichtet werden sollen. Doch wie die "Ankerzentren" genau funktionieren werden, ist noch gar nicht beschlossen. Da war es kein Wunder, dass auch bei "Anne Will" nicht zu klären war, ob die SPD mit ihrer Kritik an ebendiesen Zentren mit gespaltener Zunge spricht, weil sie solchen Aufnahmeeinrichtungen im Koalitionsvertrag im Prinzip zugestimmt hat.

Zudem verbissen sich die vier Politiker der Runde mit Freude in die Verfahrensfrage, ob die Causa Bamf, in der für den kommenden Dienstag angesetzten Anhörung vor dem Bundestags-Innenausschuss ausreichend gut aufgehoben ist, oder ob es darüber hinaus eines Untersuchungsausschusses bedarf: "Wir haben 55 Fragen für die Innenausschuss-Sitzung vorgelegt", nahm Göring-Eckardt für die Grünen in Anspruch. "Das hat sonst niemand gemacht." Schön zu wissen, aber muss man die Fernsehnation damit wirklich am Sonntagabend behelligen?

Pistorius spricht das Offensichtliche aus

Und auch die Beantwortung der zentralen Fragestellung dieses Diskussionsabends, ob im deutschen Asylrecht denn ein Systemversagen vorliege, geriet eher schwammig. Im Grundsatz war sich die Runde einig, dass die personelle Ausstattung des Bamf in den vergangenen Jahren unzureichend gewesen sei, dies aber nicht für ein Systemversagen stehe.

Unterschiedliche Auffassungen gab es eher noch in der Frage, wie schnell Asylanträge in Zukunft abgearbeitet werden sollen. Mayer wiederholte stoisch, dass er sich qualitativ bessere und zügigere Bescheide wünschte, womit er den Widerspruch von Adelhardt provozierte: "Ich höre immer, wir müssen noch schneller und noch effektiver sein. Machen wir damit nicht wieder genau den Fehler, der genau zu dem Skandal geführt hat, von dem wir jetzt reden? Denn 2015 ging's nur drum: Schnell. Schnell. Schnell. Da sind die McKinseys dieser Welt durchs Bamf gelaufen."

Doch was sich wie ein Dilemma anhört, ist nicht immer gleich eins: Denn wie wird in der Regel ein solcher Zielkonflikt gelöst? Pistorius sprach das Offensichtliche aus: "Man muss entsprechend investieren." Niemand widersprach.

Einziger echter Außenseiter der Runde war wieder einmal AfD-Chef Gauland, der von 600 000 ausreisepflichtigen Menschen sprach, die in Deutschland nicht abgeschoben würden. Die realistischere Zahl liegt bei 230 000, wie die Redaktion der Sendung in einem Einspieler klarstellte. Gauland opponierte nicht groß. Für eine echte Konfrontation war er an dem Abend offensichtlich nicht ausreichend präpariert.

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