"Anne Will" zum Diesel-Chaos:Keiner will Verantwortung übernehmen

Anne Will diskutiert mit Gästen über die Diesel-Fahrverbote in Deutschland.

Thema bei Anne Will war am Sonntag: "Das Diesel-Chaos - wer übernimmt jetzt die Verantwortung?"

(Foto: dpa)

Anne Will lässt über die offenen Fragen bei den Dieselfahrzeugen diskutieren. Doch ein Verkehrsminister, ein VW-Manager und ein Formel-1-Weltmeister verschleudern die Sendezeit.

TV-Kritik von Lars Langenau

Hmmmm, warum dürfen die Gäste von Anne Will nicht über die Mitgliederentscheidung der SPD, über die Wahl in Italien oder über den Schweizer Volksentscheid zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk reden? Selten war ein Sonntag so voll mit wichtigen Entscheidungen. Doch die Redaktion der Talkshow entschied sich für: "Das Diesel-Chaos - wer übernimmt jetzt die Verantwortung?". "Es soll mal wieder um Sachthemen gehen", sagt Anne Will lächelnd gleich zu Beginn. Gut, nehmen wir ihr das mal ab.

Nun ja, auch wichtig. Schließlich fühlen sich die Besitzer der etwa 15 Millionen Dieselfahrzeuge in Deutschland hintergangen und fürchten, auf immensen Kosten sitzenzubleiben. Sie fühlen sich alleingelassen, ohne Hilfe von Politik und Autoindustrie, die sich nur gegenseitig die Schuld zuschieben. Tatsächlich stehen Dieselfahrer nun vor vielen Fragen: Lohnt sich die Neuanschaffung eines anderen Autos? Kommen nun Nachrüstlösungen, die die Fahrverbote doch noch verhindern können? Und: Wer bezahlt das?

Leider wird es am Sonntagabend auf keine dieser Fragen Antworten geben. Der äußerst blasse Noch-Landwirtschafts- und jetzt auch noch geschäftsführende Verkehrsminister Christian Schmidt will "saubere Luft ohne Fahrverbote": Durch Software-Aufrüstung der betroffenen Fahrzeuge und mehr Einsatz der Kommunen. So will der CSU-Mann auf elektrisch betriebene Busse setzen und fragt sich, warum die deutschen Kommunen noch nicht so weit sind. Der Mann lenkt ab.

Wer zahlt die Nachrüstung?

So wirft ihm Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, unter dem Beifall des Publikums auch "eklatantes Versagen" vor. Allerdings könne er ja gar nichts für die Misere, denn die habe ihm sein Vorgänger Alexander Dobrindt eingebrockt - er hingegen sei nur für das Pflanzengift Glyphosat auf deutschen Feldern verantwortlich.

Also keine konkrete Antwort aus der Politik. Dann vielleicht aus der Industrie? Wird sie angesichts ihrer Milliarden-Profite die Kosten der Nachrüstung mit besseren Katalysatoren tragen? Herbert Diess, Konzernvorstand für die Pkw-Sparte von Volkswagen, drückt sich ebenfalls vor einer konkreten Zusage und redet stattdessen von 20 Städten, in denen schnell gehandelt werden müsse.

"Wir müssen schneller besser werden" und sagt, dass VW "viel wiedergutzumachen hat". Sein Konzern produziere inzwischen Autos, die 30 Prozent weniger Stickoxide ausstoßen würden - und habe durch finanzielle Anreize geholfen, viele Altfahrzeuge aus dem Verkehr zu ziehen.

Keine Antworten aus Politik und Industrie

Es sind ein paar gebührenfinanzierte Werbeminuten für den VW-Mann, der noch auf die "effektiven Software-Updates" verweist und dann die Übernahme für die teure Hardware-Nachrüstung mit neuen Katalysatoren für Euro-5-Norm ablehnt. Dies sei auch nicht der Weisheit letzter Schluss, da diese Einbauten "kleine Chemiefabriken" seien.

Den Schwarzen Peter haben nun die Kommunen, klagt Thomas Geisel, Oberbürgermeister von Düsseldorf. Denn die müssen laut den aktuellen Urteilen der Verwaltungsgerichte dafür sorgen, dass die Luft reiner wird. Und Düsseldorf ist eine Stadt, die besonders unter schlechter Luft leidet. So fordert der SPD-Politiker die "blaue Plakette", weil bei angeordneten Fahrverboten ansonsten ein Chaos drohen würde. Andernfalls wisse er nicht, wie die Verbote durchgesetzt werden könnten. Doch die wiederum lehnt Verkehrsminister Schmidt ab.

Nach einer halben Stunde dreht sich alles im Kreis, etwas, das Formel-1-Weltmeister Nico Rosberg kennt. Der Multimillionär vertritt die Verbraucherinteressen in der Runde, verweist auf den immensen Wertverlust neuer Dieselfahrzeuge und warnt, die Kosten den Käufern aufzuhalsen, die dachten, ein sauberes Auto gekauft zu haben - und durch die Manipulationen der Autoindustrie gelackmeiert wurden.

Warum ist Deutschland bei den Elektroautos kein Vorreiter?

Nach etwa einer halben Stunde driftet das Gespräch in Richtung Hellseherei ab: Rosberg versteht nicht, warum Deutschland es versäumt hat, bei den Elektroautos Vorreiter zu sein. Göring-Eckardt fragt sich, warum es für diese Autos hierzulande noch keine Infrastruktur gibt. Und VW-Mann Diess versichert: "Wir kommen groß" im Elektromarkt. Man sei zwar etwas verzögert in diesen Markt gestartet, aber schon kündigt er den Durchbruch des Elektroautos in den kommenden zwei Jahren in Deutschland an. Allerdings, sagt Diess ganz in alter Tradition, brauche man den Diesel nach wie vor für längere Fahrten und schwere Autos.

Aber da ist die Diskussion längst entgleist in eine fröhliche Spekulation darüber, wie die Zukunft der Mobilität in Deutschland aussieht. Die Besitzer von Dieselautos lässt das genauso zurück, wie zuvor: ratlos.

Ach hätte Anne Will doch bloß über die SPD, die Italien-Wahl oder den öffentlich-rechtlichen Rundfunk plaudern lassen. Denn da wäre möglicherweise etwas Konkretes herausgesprungen anstatt nur verschleuderte Sendezeit am Sonntagabend.

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