Anne Will über Jamaika-Sondierungen:"Politisch instabile Zeiten erwarten uns"

Bei "Anne Will" geben sich die Vertreter von CSU, FDP und Grünen bemüht bis ratlos. Stunden später scheitern die Gespräche - was bleibt von diesem merkwürdigen TV-Abend?

TV-Kritik von Maximilian Heim

Als die Hälfte dieser "Anne Will"-Sendung vorbei ist, fällt der entscheidende Satz. Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz spricht ihn. Es geht um die zu diesem Zeitpunkt noch laufenden Gespräche über ein mögliches Jamaika-Bündnis. Gerade hat von Notz der CSU vorgeworfen, ein Rechtsruck mache nur die Populisten groß. Empört hat CSU-Vertreter Stephan Mayer entgegnet, es habe nichts mit Populismus zu tun, wenn seine Partei die Zuwanderung kontrollieren wolle.

Da schaut von Notz einen Moment lang herrlich genervt, lässt einen Hauch Nachsicht über sein Gesicht ziehen und seufzt: "Jetzt sagst du das wieder!"

Genervtheit. Sympathie. Erschöpfung. Ratlosigkeit. Alles drin in diesem kurzen Satz. Und alles schon kurz nach der Sendung überholt. Als FDP-Chef Lindner in der Berliner Nacht erklärt, nicht zu regieren sei besser als falsch zu regieren.

Was bleibt da von einer Talkshow Stunden zuvor, in der die Beteiligten noch mühsam über mögliche Schnittmengen diskutieren? In der FDP-Vertreter Johannes Vogel von einem "Gesamtpaket, mit dem wir leben können" spricht? In der Grünen-Politiker von Notz mit staatsmännischer Note erklärt, ein Jamaika-Bündnis könne auch ein Zeichen sein, in diesen fragilen Zeiten für die Demokratie?

Aufrichtige Ratlosigkeit

Am wichtigsten sind wohl die Positionen zu möglichen Neuwahlen. Der Grüne von Notz warnt vor einem solchen Schritt, die Verfassung sehe das nicht vor. CSU-Mann Mayer erklärt gar, freilich ohne das sich anbahnende Scheitern zu kennen, man sei "sehr weit weg von Neuwahlen". FDP-Politiker Vogel sagt, seine Partei habe Neuwahlen nicht von sich aus propagiert, würde sie aber auch nicht fürchten. Und Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht wäre auch nicht begeistert über eine erneute Wahl. Ob ihre Partei profitieren würde? Das sei zu kurzfristig gedacht, so die Antwort.

Man kann also schon mal festhalten: In ihrer ganzen, aufrichtigen Ratlosigkeit stellt diese Runde ein ziemlich authentisches Abbild der derzeitigen Bundespolitik dar.

Aber selbst die Ratlosigkeit liefert Anknüpfungspunkte. Noch in der Nacht wird klar: Union und Grüne zeigen sich überrascht über Lindners Abgang. Blick also auf dessen FDP-Kollegen Vogel, einige Stunden zuvor. Weißes Hemd, schwarzes Jackett, große Gelassenheit. Stichelt gegen Grünen-Veteran Jürgen Trittin. Wiederholt Wahlkampf-Schlagworte (Einwanderungsgesetz! Kanada! Digitalisierung!). Liberale Talkshow-Routine. Keinerlei Hinweis auf eine Strategie hinter dem FDP-initiierten Verhandlungsstopps. Mögliche Erklärung: Der NRW-Generalsekretär gehört höchstens in die zweite Reihe einer Partei, deren Chef und Anchorman Lindner den Ruf hat, Entscheidungen im kleinen Kreis oder gleich mit sich selbst zu besprechen.

Grusel und Stockholm-Syndrom

Und nun raus aus dem Kleinklein der gescheiterten Jamaika-Verhandler. Den Blick von außen hat Spiegel-Journalistin Christiane Hoffmann. Ihr Fazit: Es sei zutiefst beunruhigend, wie die Sondierungen verlaufen seien ("Ich hatte auf etwas wie das Stockholm-Syndrom gesetzt"). Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier habe deutlich vor Neuwahlen gewarnt. Ob der nun zu seiner Partei gehen wird? Die SPD an ihre staatsbürgerliche Verantwortung erinnern und zu Gesprächen mit der Union ermutigen wird? Auch diese Fragen bleiben offen, weil sie an diesem merkwürdigen TV-Abend offenbleiben müssen.

Die weiteren Erkenntnisse der Sendung passen in ein Telegramm. Linken-Fraktionschefin Wagenknecht lässt wissen, sie hätte sich ein rot-rot-grünes Bündnis gewünscht. Derweil betont CSU-Mann Mayer mehrmals, dass er den Familiennachzug bei subsidiär geschützten Flüchtlingen wirklich gar nicht möchte. Und dass er nichts von einer Minderheitsregierung hält.

Stern-Kolumnist Hans-Ulrich Jörges sagt dann noch, dass er Neuwahlen für weniger gruselig hält als ein Notbündnis zwischen Angela Merkel und Martin Schulz. Und dass er generell davon ausgeht, dass uns politisch instabile Zeiten erwarten. Eigentlich meint er die fragile Architektur eines Jamaika-Bündnisses. Das aber ist hinfällig, noch bevor die Sendung in der Mediathek steht.

Dennoch dürfte Jörges, was ihm als meinungsstarkem Menschen vermutlich gefällt, Recht behalten. Alles spricht für politisch instabile Zeiten.

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