Anne Will über die WM:Arne Friedrich? Ist das alles?

Anne Will; Anne-Will-Sendung vom 03.06.2018

Anne Will ließ über "Putins WM" diskutieren

(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)

Anne Will diskutiert über die WM in Russland - findet aber außer dem Ex-Nationalspieler offenbar niemanden aus der Welt des Fußballs, der sich der Debatte stellen will.

TV-Kritik von Martin Schneider

Zu Beginn ein kurzes Gedankenexperiment: Sie wollen über die Fußball-WM in Russland debattieren, Unterthema: die politische Dimension des Turniers. Wen würden Sie einladen? Ein Vertreter der deutschen Nationalmannschaft wäre natürlich schön, im besten Fall ein Spieler.

Aber einer aus dem Funktionsteam würde es auch tun, vielleicht der Manager der Nationalmannschaft, Oliver Bierhoff. Ein Vertreter des Deutschen Fußball-Bundes wäre natürlich Pflicht - am besten der Präsident Reinhard Grindel. Wenn aktuelle Spieler nicht zu kriegen sind (denn sie müssen ja trainieren), dann wenigstens ein ehemaliger Spieler, der erzählen kann, wie das so ist, wenn ein Turnier politisch wird. 1978 in Argentinien etwa, da nutzte die Militärjunta die WM für sich. Deutsche Nationalspieler waren damals auch dabei.

In der Anne-Will-Sendung zum Thema Russland und die WM saß am Sonntagabend dann als einziger Vertreter aus der Welt des Fußballs der Ex-Nationalspieler Arne Friedrich. Gut, Friedrich ist 82-facher Nationalspieler und einer der Sorte, die geschliffener reden können als gewöhnliche Fußballer. Aber man fragte sich dann doch: Ist das alles?

Der interessanteste Fakt an dieser Talkshow war nicht, was in der Sendung gesagt wurde - sondern wer alles nichts sagte, weil er gar nicht da war. Wenn man der Anne-Will-Redaktion mal unterstellen mag, dass sie zu einer Fußballsendung auch Fußball-Menschen einladen will und am Ende nur Arne Friedrich dasitzt, dann hat sich das System Fußball dazu entschlossen, an einer politischen Debatte nicht teilzunehmen. Mal wieder.

Es diskutierten die gleichen Leute, die immer diskutierten

Stattdessen waren Norbert Röttgen (CDU) und Gregor Gysi (Die Linke) da, die mittlerweile zum Inventar dieser Sendung gehören wie die Sofas. Und die zu Russland und dem Präsidenten Wladimir Putin das sagten, was sie immer sagen (Gysi: brauchen Dialog; Röttgen: Sanktionen sind richtig).

Dann war noch Rebecca Harms da, die für die Grünen im Europäischen Parlament sitzt und Politiker zum Boykott der WM aufruft. Und die CSU-Größe Edmund Stoiber, der wieder Sätze mit Anfang und ohne Ende sprach und es schaffte, in einem einzigen Redeabschnitt die Wörter Bayern, Sowjetunion, Kulturpolitik, Schüleraustausch, Wirtschaftsannäherung, Kalter Krieg, Bipolare Welt, Washington, Moskau, Weltgeschehen, Putin, Jelzin, Eurasische Union, Europäische Union, Wladiwostok, Lissabon, Westen, Vereinigte Staaten, Obama, Romney, Gefühlslage, Regionalmacht, Schuldzuweisungen sowie die Jahreszahlen 1990, 1991, 1993 und 1995 unterzubringen.

Übrigens sagte er, er sei gegen einen Politiker-Boykott, weil das Symbolpolitik sei. Er ging aber nicht auf den Widerspruch ein, dass auf der Tribüne neben Putin zu sitzen auch Symbolpolitik ist.

"Man tut den Spielern keinen Gefallen"

Es diskutierten jedenfalls die gleichen Leute, die immer diskutierten. Mit im Schnitt rund vier Millionen Zuschauern erreicht die Talkshow eine sehr große Öffentlichkeit, jedenfalls groß in politischen Maßstäben. In Fußball-Maßstäben ist das wenig, und so blieben Grindel und Bierhoff in Südtirol, die Kanzlerin war ja zu Besuch.

Es kam auch kein DFB-Vizepräsident oder sonst irgendjemand, der Verantwortung in dieser Branche trägt. Ein Vertreter des Weltfußballverbandes Fifa, der hätte erklären können, warum die WM in Russland stattfindet, war natürlich auch nicht anwesend.

Die Hoffnung des Fußballs lagen also auf den Schultern von Friedrich und der entschied sich, Werbung zu machen. Er erwähnte jedenfalls plötzlich eine Aktion von Hertha BSC. Er wollte verdeutlichen, dass auch Fußballer politisch sein können und nannte den Kniefall der Berliner vor dem Bundesligaspiel gegen Schalke als gutes Beispiel.

Der geschah in Anlehnung an Footballspieler, die mit der Aktion "Take a knee" in der US-Profiliga NFL gegen Rassismus demonstrieren. Der Haken an der Sache: Hertha BSC wird in Fragen der Außendarstellung von einer Werbeagentur beraten, die 2016 auch Arne Friedrich als neuen Mitarbeiter vorstellte. Einen Hinweis darauf gab es in der Sendung nicht. Am Montag erklärte Friedrich auf Twitter, er sei seit einem Jahr nicht mehr für die Agentur tätig.

Wenn Merkel in die Kabine kommt, werden die Spieler vorgewarnt

Davon abgesehen redete Friedrich so, als könne er sich bald eine Karriere in der Politik oder in einem Verband vorstellen. Er sagte, dass er sich freuen würde, wenn Angela Merkel die Nationalmannschaft auch in Russland besuchen würde. Und dass es in der Kabine immer einen Hinweis gab, wenn die Kanzlerin komme, damit sich jeder Spieler wenigstens ein Handtuch umbinden konnte. Dass Friedrich Wahlkampf für Merkel gemacht hatte, das erwähnte Will dann aber.

Immerhin hatten die Ausführungen von Friedrich etwas mit Fußball zu tun. Aber seine durchaus berechtigte Forderung, dass vor allem die Sportverbände gefordert wären, die ging ein bisschen unter und wurde auch nicht weiter aufgegriffen. Stattdessen debattierte das Viereck Röttgen-Harms-Gysi-Stoiber weiter über Russland und die Beziehungen zu Russland.

Harms sagte, man unterstütze Putins repressive Politik, wenn man auf der Tribüne sitzt. Gysi sagte, Putin würde ein Fernbleiben nur Recht sein, weil er dann die Geschichte vom Westen weitererzählen kann, der Russland nichts gönnt. Der Fußball tauchte erst dann wieder auf, als Stoiber sagte, nach seinen Infos sei die russische Nationalmannschaft nicht so stark und könnte schon in der Gruppenphase scheitern.

Soll man Fußballern die Fähigkeit zur politischen Willensbildung absprechen?

Gegen Ende der Sendung sagte Röttgen dann noch die klarsten Sätze des Abends: "Ich würde mich als Spieler in Russland auf das Sportliche konzentrieren." Und weiter: "Man tut ihnen keinen Gefallen mit der Kompliziertheit dieser Thematik. Sie wurden ausgewählt als Fußballer und nicht als Politiker oder Diplomaten. Wenn man sie in diese Konfliktlage hineinwirft, kann das tendenziell nur schiefgehen."

Kurz vorher hatte Friedrich allerdings betont: "Wir sind alle mündige Menschen." Die Debatte, ob man Fußballern wirklich die Fähigkeit zur politischen Willensbildung absprechen sollte, nur um sie aus der Verantwortung zu entlassen, ob sie wirklich keine Meinung zu Putin haben sollten und ob das so wünschenswert ist, wenn eine deutsche Auswahl nach Russland fährt und dabei nur Fußball im Kopf hat - die könnte man wirklich einmal führen. Wenn schon nicht vor, dann vielleicht während der WM.

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