Seit zehn Jahren ist er nun der Außenminister, doch im Fernsehen war er noch nicht oft, zu groß war der Schatten seines langjährigen Premierministers Jean-Claude Juncker. Inzwischen ist Juncker Präsident der Europäischen Kommission, und Luxemburg hat ein neues Gesicht: Jean Asselborn, ein Mann mit Schnurrbart, der sein Land jovial verteidigt.
Seit einer Woche steht das kleine Land in der Mitte Europas mächtig unter Druck. Medien aus der ganzen Welt, darunter auch die Süddeutsche Zeitung, haben Dokumente der Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse-Coopers (PwC) ausgewertet. Aus den Akten geht so detailliert wie noch nie hervor, wie Hunderte Konzerne in Luxemburg Steuern sparen. Amazon, Ikea, Pepsi, Eon oder die Deutsche Bank, sie alle nutzen das Großherzogtum als Drehscheibe für ihre Geschäfte. Mal wird über intern verrechnete Lizenzgebühren die Steuerlast gesenkt, mal werden mit aufwendigen Zinskonstruktionen Gewinne verschoben.
Hauptdarsteller bei Anne Will ist Asselborn
Am Mittwoch stellte sich Kommissionspräsident Juncker nach Tagen des Schweigens zum ersten Mal der Presse, danach wurde er im Europäischen Parlament von den Abgeordneten befragt. Am Abend dann ist Asselborn dran. Im deutschen Fernsehen bei Anne Will. Die Redaktion hatte viele der Konzerne angefragt, alle sagten sie ab. Am Ende sitzen neben Asselborn noch Sahra Wagenknecht von der Linkspartei, der Wirtschaftswissenschaftler Michael Hüther und der Journalist Christoph Lütgert. Er hat für die NDR-Sendung Panorama einen Film über Luxemburg gedreht.
Doch der Hauptdarsteller, das ist Außenminister Asselborn. "Ich bin der einzige der Firmen, die gekommen ist", kokettiert er und fügt ernst hinzu: "Der Ruf Luxemburgs wurde durch diese Attacke schwer geschädigt."
Und um diesen Ruf wenigstens ein bisschen zu verbessern, dazu ist Asselborn hier. Immer wieder versucht er es mit Witz: "Wir haben keinen Platz für Häuser, nur für Briefkästen", scherzt er. Doch neben den Kalauern hat Asselborn auch eine echte Botschaft mitgebracht, die er vermitteln möchte und immer wieder einstreut: Luxemburg sei winzig und könne die Situation ohnehin nicht alleine ändern. Immerhin, sagt er, dass etwas passieren müsse, und damit zeigt sich Asselborn offener als sein Kabinettskollege, Finanzminister Pierre Gramegna. Im SZ-Interview hatte der noch betont: "Wir werden jetzt nichts ändern."
So verschlossen ist Asselborn nicht, ihm ist allerdings wichtig zu betonen, dass auch andere Staaten in Europa im Steuerwettbewerb mitmischen: die Briten, die Niederländer und auch die Belgier. "Die reichen Franzosen leben in Belgien, doch nicht weil sie das Manneken Pis so sehr mögen oder die Pommes frites", sagt er. Zweifelsohne ein Punkt, an dem Asselborn nicht unrecht hat. Doch gegen eine Verniedlichung Luxemburgs sprechen die Zahlen. Das Land ist zwar ziemlich exakt so klein wie das Saarland, doch als Finanzstandort ist Luxemburg eine Wucht. Etwa 3000 Milliarden Euro an Vermögen werden von dort aus gesteuert, nur in den USA wird mehr Kapital verwaltet.
Das sind Einwürfe, die man sich vor allem von einem Fachmann wie Michael Hüther wünscht. Er leitet das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, über Steuern hat er promoviert. Er könnte helfen, das komplexe Thema besser zu erklären. Doch genau das gelingt ihm nicht. Statt anschaulich zu formulieren, verliert er sich in Fachtermini. Immer wieder muss ihn Anne Will daran erinnern, dass sie selbst keine Wirtschaftswissenschaften studiert hat. Auch NDR-Mann Lütgert fährt Hüther irgendwann an: "Herr Professor, ich verstehe Sie genauso wenig wie meine Steuerberaterin."
In seinem Film hat Lütgert versucht, den Konzernen und ihren Ablegern in Luxemburg nachzuspüren, er stand vor Tausenden Briefkästen, überall wurde er abgewiesen. "Wenn Sie so viele Schilder sehen, dann erkläre ich Ihnen das. Es sind Fonds vor Ort, die werden dort gemanagt, dazu braucht man keine Menschen", sagt Asselborn. "Sie produzieren Autos, sie produzieren Lederhosen, ich weiß nicht was noch", und schiebt hinterher: "Wir sind ein kleines Land." Das sich auf Finanzdienstleistungen spezialisiert habe.
"Auch ein kleines Land kann innovativere Produkte anbieten", entgegnet Sahra Wagenknecht. "Die EU-Kommission reguliert jede Gurke und jede Pizza, warum schafft sie es nicht bei den Steuern?"
Juncker gegen Juncker?
Seit Anfang November ist Asselborns ehemaliger Chef Jean-Claude Juncker EU-Kommissionspräsident. Kann es Steuergerechtigkeit in Europa überhaupt geben, wenn die Kommission von einem Mann geführt wird, in dessen Amtszeit Luxemburg erst zu dem geworden ist, was es heute ist: eine Steueroase im Herzen Europas?
Die EU-Kommission hat ein Wettbewerbsverfahren gegen Luxemburg angestrengt. Juncker gegen Juncker also? Nein, heißt es aus Brüssel, Juncker werde sich nicht einmischen ins Verfahren. Und auch Asselborn warnt: "Wenn wir mit dieser Geschichte die Kommission destabilisieren, machen wir einen großen Fehler." Das sehen die anderen anders: "Natürlich wäre es das Beste, wir hätten einen anderen Präsidenten", sagt Lütgert. Und Sahra Wagenknecht ergänzt: Luxemburg habe bewusst Gesetze so gestaltet, um die Allgemeinheit in Europa um Milliarden zu prellen.
Wird Luxemburg, wird Jean-Claude Juncker die Krise überstehen? "Wir sind ein kleines Land, aber zäh und resistenzfähig", sagt Asselborn. "Ja, das ist zu befürchten", stöhnt Wagenknecht.