"Anne Will" zu Thüringen:Planlos, aber mental stark

Anne Will zur Wahl in Thüringen

Bei Anne Will, v.l.: Sahra Wagenknecht (Die Linke), Alice Weidel (AfD), Wolfgang Kubicki (FDP), Anne Will (Moderatorin), Peter Altmaier (CDU), Melanie Amann (Leiterin des 'Spiegel'-Hauptstadtbüros), Kevin Kühnert (SPD)

(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)

Bei Anne Will versuchen Bundespolitiker verzweifelt, den Kontrollverlust über ihre Landesverbände in Thüringen zu erklären. Sahra Wagenknecht würde lieber über die großen Themen reden. Alice Weidel findet vieles "unglaublich".

Nachtkritik von Quentin Lichtblau

Dass sämtliche Orkanböen nicht würden verhindern können, dass an diesem Sonntagabend das Thema Thüringen auf dem Zettel von Anne Will stehen würde, war absehbar. Ebenso der einleitende Sturm-Vergleich von Will: Der politische Skandal sei ja genau wie Sabine - nur schon die ganze Woche - über das Land gefegt.

Es trotzen also alte Bekannte den Stürmen: Sahra Wagenknecht, Kevin Kühnert und Spiegel-Redakteurin Melanie Amann. Außerdem Peter Altmaier. Die undankbare Rolle des FDP-Verteidigers fällt an diesem Abend Vize-Parteichef Wolfgang Kubicki zu. Dass ihm dabei ausgerechnet Alice Weidel von der AfD zur Seite springen würde, überraschte dann allerdings doch.

Über die Einladung Weidels war im Vorfeld diskutiert worden. Einzelne TV-Sendungen hatten in der jüngeren Vergangenheit beschlossen, keine AfD-Gäste mehr einzuladen, die nachweislich nichts zu Debatten beizutragen haben. Doch weil, wie im Fall von Thüringen, die Stimmen eben dieser Partei erst für den Trubel der vergangenen Tage gesorgt hatten, war es schwierig, sie außen vor zu lassen. Es bleibt also vor allem eine Frage des Umgangs: Ist die Moderatorin vorbereitet? Wie viele Lügen verhallen unwidersprochen im Studio? Geht es beim Thema Thüringen nicht auch um viele AfD-unabhängige Eigenartigkeiten - den Kontrollverlust der Bundes-CDU über ihren Landesverband etwa? Und: Sollte Christian Lindners FDP, die durch ihre erst nach 24 Stunden revidierte Entscheidung, die Wahl Thomas Kemmerichs mit AfD-Stimmen zu akzeptieren, erst den Ball ins Rollen brachte, nun noch kluge Ratschläge erteilen, welcher Kandidat das Land denn nun wieder "beruhigen" könne?

Altmaier zeigt sich reumütig

Will macht in dieser Hinsicht einiges richtig. Dass außer der in Jena geborenen Wagenknecht niemand aus Thüringen anwesend ist, irritiert allerdings zunächst. Gerade bei der dortigen CDU scheint sich die Haltung ja doch deutlich von der in Berlin zu unterscheiden. Warum taucht sie hier nicht auf? Sicherlich hätte ein CDU-Vertreter aus Thüringen Peter Altmaier widersprochen, der sich zunächst erstaunlich reumütig zeigt: Die Vorgänge in Thüringen seien eine "Blamage, für ganz Viele, auch aus meiner Partei". Ähnliches hat man von der FDP noch nicht gehört. Die Partei war in den vergangenen Tagen eher von einem zunächst selbstbewussten auf einen eher unschuldigen Kurs eingeschwenkt: Als hätte Kemmerich die Wahl nie bewusst angenommen, sondern sei einem ausgefuchsten Hütchenspiel der AfD auf den Leim gegangen.

Kevin Kühnert sieht das anders: Im Moment der Wahl hätte Kemmerich klar sein sollen: "Scheiße, die haben mich gerade gewählt." Und infolgedessen habe dieser "fünf Sekunden" Zeit gehabt, "all seinen Anstand zusammenzukratzen", um der Verlockung einer Kooperation mit denen, also der AfD, zu widerstehen. Wolfgang Kubicki, an sich keine demütige Persönlichkeit, attestiert sich selbst, dass er, als der "mental Stärkere" die Wahl anstelle seines Kollegen Thomas Kemmerich nicht angenommen hätte. Als er daraufhin gefragt wird, warum er dann eben diesem Kemmerich zur Wahl gratuliert habe, verweist er darauf, dass er da ja nicht der Einzige gewesen sei. Der Bischof von Erfurt habe ja zum Beispiel auch gratuliert.

Ein durchaus überraschendes Argument. Auch als Spiegel-Redakteurin Amann ihm vorhält, dass die FDP durchaus mit den Stimmen der AfD habe rechnen können, und das auch in Szenarien besprochen habe, fällt ihm nicht viel mehr ein als "es ist schön, dass Sie das alles wissen".

Fallstricke im Umgang mit der AfD

Weidel bleibt zunächst ruhig, wartet wie immer steinern lächelnd auf einen möglichen Eskalations-Einsatz, und wirft bis dahin in gefühlt jedem zweiten Satz der anderen Gäste das Wort "unglaublich" ein, begleitet von einem Lachen oder einem herzhaften Schnäuzen. Nach dem etwa vierten "unglaublich" kommt dann ein etwas erwartbarer Opfer-Monolog, demzufolge es in Thüringen demokratietechnisch längst wie in der DDR zuginge - begleitet von einem erstaunlichen Loblied auf Kemmerich, der von einem "linken Mob" und Merkel aus dem Amt gejagt worden sei, dabei sei er doch "ein sehr guter Kandidat" gewesen.

Amann konfrontiert Weidel mit der Tatsache, dass sie selbst Björn Höcke einst aus der Partei ausschließen wollte - wegen seines nationalsozialistischen Gedankenguts. Nach einer Vermittlung durch den nicht minder rechtsextremen Verleger Götz Kubitscheck hatte Weidel ihr Bestreben 2019 aufgeben. Weidel behauptet nun, dass sich die damaligen Vorwürfe an Höcke als falsch erwiesen hätten und fügt dann natürlich noch ein "unglaublich" an. Nicht immer ganz so routiniert im Umgang mit Weidel ist Anne Will, die in Fragen an sie erstaunlich oft ihre Rhetorik übernimmt, etwa im Falle der "Altparteien", wenn auch mit einem nachgeschobenen "wie Sie sie nennen".

Richtig fahrlässig wird es, als sie den Rücktritt des Ost-Bundesbauftragten Hirte auf seinen Gratulations-Tweet an Kemmerich reduziert, womit sie die Weidel-Version, dass jeder Politiker, der einem Falschen gratuliere, von einer stalinistisch agierenden Merkel jederzeit aus dem Amt gejagt werden könne, eher bestätigt als in Frage stellt. Kühnert springt hier für die Anne-Will-Redaktion ein und erläutert, dass Hirte als Ost-Beauftragter der Bundesregierung schon länger einen eigenen parteipolitischen Kurs inklusive einer Vielzahl fragwürdiger Äußerungen gefahren sei, und schlichtweg nicht länger die Linie der Regierung repräsentierte - was allerdings nunmal seine Aufgabe war.

Wagenknecht, in dieser Ausgabe erstaunlich unauffällig, würde statt des parteipolitischen Kleinkleins lieber über die großen Dinge reden: Welche sozialen Probleme haben die Menschen in diesem Land? Wie lassen sich die abgehängten Wähler wieder einsammeln, die aus reinem Protest AfD wählten? Solche Dinge. Das rechtsextreme Potenzial der Bundesrepublik verkennt sie dabei leider ein wenig, schließlich gewinnt die AfD ihre Stimmen nicht trotz, sondern auch wegen ihres mittlerweile klar rechtsextremen Kurses.

Altmaiers undankbare Rolle

Über den vermeintlichen Extremismus ihres eigenen Genossen Bodo Ramelow, laut Kühnert so beliebt wie Thüringer Klöße und Vita-Cola, wird dann auch noch diskutiert. Altmaier widerspricht hier der Annahme, dass ein Grund für das Desaster von Thüringen war, dass die CDU immer wieder Linkspartei und AfD als Extreme an unterschiedlichen Rändern dargestellt hatte. Es sei diesbezüglich nie die Rede von einer "Äquidistanz" gewesen, sagt Altmaier, und verrennt sich dann in eine Mischung aus einer Art Laissez-faire-Haltung, laut der eigentlich jeder in der CDU mit der Linkspartei reden dürfe - und auf der anderen Seite angeblich unumstößlichen Parteitagsbeschlüssen, laut denen das genaue Gegenteil gelte.

In solchen Momenten tut er einem nahezu leid und auch der Moderatorin wird klar, wie undankbar Altmaiers Rolle ist: die Führungslosigkeit und den kaputten Kompass seiner Partei zurechtzuschwurbeln. Noch dazu muss er einen Plan für Thüringen skizzieren, der sich nach irgendwie durchdacht und Parteikonsens anhört. Hier tun sich auch die anderen Gäste schwer, so ganz genau weiß hier niemand, was denn nun passieren soll. Auf die Frage, wie fest Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer "im Sattel sitzt", findet Amann dann noch eine Antwort, die das doch recht abgedroschene Bild um eine interessante Facette weiterdreht: "Sie hängt mit einem Bein im Steigbügel und wird hinter dem Pferd hergezogen."

Weidel würde zum Ende noch gerne klarstellen, dass Alexander Gauland während der Holocaust-Gedenkrede des israelischen Präsidenten im Bundestag nicht geschlafen, sondern wirklich nur sehr aufmerksam zugehört habe - die zweite Hälfte der Sendung hat sie nahezu durchgehend geschwiegen. Wagenknecht würde schlussendlich auch noch mal gerne über die Parteien und den Wähler im Allgemeinen sprechen. Und Amann wünscht zumindest ein paar Inhalte, die über parteinterne Strategiefragen hinausgehen. Sie fragt sich, mit welcher Motivation die Menschen in Thüringen eigentlich in ein paar Wochen wieder abstimmen sollten. Aber dann grinst auch schon Ingo Zamperoni auf den Studio-Bildschirmen.

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