Süddeutsche Zeitung

"Anne Will" zur SPD:Spott und Maßregelung für neue SPD-Führung

Lesezeit: 4 min

In der Talkshow "Anne Will" stellen sich Esken und Walter-Borjans vor. Dabei wird deutlich: In Berlin glaubt kaum jemand, dass die beiden wissen, was sie da tun.

TV-Kritik von Thomas Hummel

Ein Vorteil ist den designierten SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans gewiss: Teile des Berliner Betriebs aus Politikern, Forschern, Beobachtern und Medien erwarten nichts von ihnen. Machen sie alles falsch und werden in einem Jahr mit Schimpf und Schande aus der Stadt gejagt, werden viele das Kinn recken und erklären: Ich hab's doch gesagt, sie können es nicht.

Am Samstag verkündete die Partei das Ergebnis ihres Mitgliederentscheids. Statt der haushohen Favoriten Olaf Scholz und Klara Geywitz gewannen Esken und Walter-Borjans mit 53 Prozent der abgegebenen Stimmen. Eine Sensation. Das Paar muss noch auf dem Parteitag am kommenden Wochenende in Berlin von den Delegierten offiziell gewählt werden, aber das dürfte eine Formsache sein. Nun fragen sich die Leute: Wer sind die beiden? Also tingeln Esken, 58, und Walter-Borjans, 67, am Sonntag durch die TV-Sendungen von einer Vorstellungsrunde zur nächsten. Mit dem Höhepunkt am Abend in der Talkshow "Anne Will" und der Überschrift: "Die SPD wählt linke Spitze - zerbricht jetzt die Groko?"

Esken und Walter-Borjans sind wahrlich keine Talkshow-Profis, im Gegensatz zu den weiteren Personen in der Runde. Von denen wird das neue SPD-Paar gleich richtig in die Mangel genommen. Moderatorin Anne Will beginnt. Sie rechnet vor, dass bei Einbeziehung der Nichtwähler nur etwa 27 Prozent der SPD-Mitglieder für Esken und Walter-Borjans gestimmt hätten (dass Wahlbeteiligungen mit etwas mehr als 50 Prozent zwar niedrig, aber nicht außergewöhnlich sind, erwähnt sie nicht). Und Anne Will fährt fort: Der innerparteiliche Schaden sei immens. Parteispitze und Fraktion, die sich für Scholz und Geywitz ausgesprochen haben, seien beschädigt. Olaf Scholz sei gar gedemütigt. "Was ist gewonnen?" Falls die Moderatorin mit diesem Empfang eine möglichst große Geringschätzung in den Raum stellen wollte, um die Diskussion in Gang zu bringen, sollte ihr das gelingen.

Christoph Schwennicke, Chefredakteur der Zeitschrift Cicero, legt nach. Zu Esken und Walter-Borjans gerichtet, sagt er: "Sie beide haben nicht genug Führungserfahrung für diese Aufgabe. Ich weiß gar nicht, ob Sie sich im Klaren darüber sind, was da auf Sie zukommt." Soweit er informiert sei, sei das höchste Amt, das Frau Esken je bekleidet habe, eine Vizevorsitzende im Landeselternbeirat. Das sei bestimmt auch ein ganz schön anstrengender Posten, wenn man so in Elternversammlungen ist, spöttelt er. Und Walter-Borjans? Sei als früherer Finanzminister von Nordrhein-Westfalen ein Mann der Exekutive und nicht der Partei. "Deshalb stelle ich die Eignung infrage", schloss Schwennicke.

Spätestens jetzt müssen sich die Millionen Zuseher vor dem Bildschirm die Frage stellen: Wen haben denn mehr als 100 000 SPD-Mitglieder da gewählt? Sind die noch bei Sinnen?

Die alles in allem gerade demontierte Saskia Esken antwortet erstaunlich ruhig. Sie erklärt kleinteilig und ernst (Saskia Esken kann sehr ernst blicken), dass man hier offenbar keine Vorstellung habe, wie schwer die Arbeit im Landeselternbeirat Baden-Württemberg sei. Die Situation dort sei durchaus vergleichbar gewesen mit der Lage der SPD heute ("ein einigermaßen zerstrittener Laden"). Bei den Worten blickt Schwennicke, als müsse er sich mit Gewalt das Lachen verkneifen. Anne Will muss sich neu hinsetzen und blickt neckisch zu CDU-Mann Armin Laschet hinüber. Die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch blickt kritisch bis entsetzt und wirft ein: "Aber die Verantwortung liegt schon ein bisschen anders." Worauf Esken nun zum entscheidenden Gegenschlag ausholt: "Das mag durchaus sein. Aber das bedeutet nicht, dass ich nicht in der Lage bin, in die Aufgabe reinzuwachsen. Wenn wir grundsätzlich immer nur ermöglichen und erlauben, dass Menschen Parteien führen, die die letzten 20 Jahre nichts anderes gemacht haben, werden wir nie etwas verändern."

Das sitzt. Denn das war wohl der Hauptgrund, warum so viele SPD-Mitglieder jemand anderes gewählt haben als den etablierten Finanzminister Olaf Scholz. Weil sie einen Wunsch nach Veränderung hatten. Weil die Wahlergebnisse der SPD zuletzt erschreckend niedrig waren. Weil sie hoffen, dass ihre SPD nicht völlig untergehen möge. Jetzt also Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Was soll schon schiefgehen?

Die beiden durften dann ihren Plan erklären. Sie sollen ja vor allem für einen "Linksruck" der Partei stehen. Sie wollen also die sogenannte Revisionsklausel im Koalitionsvertrag mit der CDU/CSU ziehen und neue Forderungen ins Spiel bringen. Das Klimapaket soll aufgemacht und die Maßnahmen verstärkt werden. Der Mindestlohn soll erhöht werden, am besten auf zwölf Euro. Und weil die Konjunktur abflaue, müsse der Staat nun kräftig investieren. Zur Not auch, wenn dadurch die sogenannte "schwarze Null" geopfert werden müsse. Also der ausgeglichene Haushalt, der der Union sowie dem Immer-noch-Finanzminister Scholz so wichtig ist. Deshalb stellt die Runde mehrfach die Frage an Esken und Walter-Borjans: Raus aus der großen Koalition oder drinbleiben? Die Antwort: Kommt darauf an, was die Union zu den neuen Forderungen sagt.

Armin Laschets Gesichtsausdruck gegenüber wird immer finsterer. Er ist stellvertretender CDU-Parteivorsitzender mit Aussichten auf die Kanzlerkandidatur der Union. Und obgleich er als Erster anfangs in der Runde sagt, man müsse die Entscheidung der SPD-Mitglieder akzeptieren und die neue Führung anerkennen, tritt er später auf wie ein strenger Lehrer, der seine neuen, ungezogenen Schüler disziplinieren muss. Damit sie sofort wissen, wo es langgeht und nicht auf falsche Gedanken kommen. Er pocht darauf, am Koalitionsvertrag nicht grundsätzlich zu rütteln. Man könne ja nicht, nur weil der politische Partner eine neue Führung habe, alles wieder neu verhandeln. Er erinnert dabei an etwas, was außer ihm niemand mehr weiß: Den Koalitionsvertrag hat die SPD unter der Führung von Martin Schulz ausverhandelt. Ja genau, als Martin Schulz noch alleiniger SPD-Vorsitzender war. Im Februar 2018. Manchmal ist es schwer zu verstehen, wie lange 21 Monate dauern.

Gibt es am kommenden Wochenende keine Parteitags-Revolution, werden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans die altehrwürdige SPD übernehmen. Walter-Borjans glaubt den Grund dafür zu wissen: "Die Mitglieder wollten nicht mehr von oben herab gesagt bekommen, wo es langgehen soll." Also haben sie sich gegen die da oben entschieden und eben die anderen gewählt. In der Talkshow-Runde überzeugt das niemanden. Laschet, Münch, Schwennicke und selbst Anne Will blicken manchmal drein, als hätte die Tierschutzpartei überraschend die Bundestagswahl gewonnen und müsste nun mit Donald Trump über das Nato-Budget verhandeln. "Wie lange geht das gut?", fragt Anne Will. Ursula Münch antwortet: "Nicht mehr lange. Ich glaube, die Grundlagen fehlen dann doch." Am Ende versucht es Saskia Esken noch mit ein wenig Charme. In Richtung Armin Laschet sagt sie: "Ich finde, wir vertragen uns eigentlich bestens."

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