Süddeutsche Zeitung

"Anne Will" zum Soli:Für eine Gerechtigkeitsdiskussion fehlt die Zeit

Bevor die Talkrunde bei "Anne Will" über das Thema der Sendung redet, geht es erst mal nur um Olaf Scholz. Dann wird Christian Lindner unruhig - und Scholz gibt ihm ein wenig recht.

TV-Kritik von Henrike Roßbach

Olaf Scholz ist es gewohnt, sich gegen Kritik zur Wehr setzen zu müssen. Der Bundesfinanzminister ist schon zu lange in der Politik, um das Prinzip von Angriff und Verteidigung nicht zu kennen. Dass er sich am Sonntagabend in der ARD-Talkshow "Anne Will" aber ausgerechnet dem Vorwurf mangelnder Nüchternheit ausgesetzt sah, dürfte den Sozialdemokraten, der als Generalsekretär seiner Partei einst mit dem Titel Scholzomat bedacht worden war, dann doch verblüfft haben.

Ihr sei aufgefallen, sagte die Moderatorin, dass er nicht einfach ganz nüchtern über seinen Gesetzentwurf zum Solidaritätszuschlag spreche. "Doch, ich bin nüchtern", entgegnete Scholz, und präsentierte sein Wasserglas.

"Streit um Soli-Abschaffung - für wen zahlt sich das aus?", darum ging es nach einer Woche, in der das Kabinett die Abschaffung des Solidaritätszuschlags für 90 Prozent der Soli-Zahler beschlossen hat, während die oberen zehn Prozent der Steuerzahler ganz oder teilweise weiterzahlen sollen.

Oder besser: Darum sollte es gehen. Denn bis die Runde beim eigentlichen Thema landete, war etwa ein Drittel der Sendezeit verstrichen. Will hatte zu Beginn nämlich sehr ausführlich von Scholz wissen wollen, warum er jetzt auf einmal doch genug Zeit habe, neben seinem Amt als Finanzminister SPD-Vorsitzender werden zu wollen. Er habe ja niemandem versprochen, nicht zu kandidieren, antwortete Scholz, und dass er seine Meinung eben geändert habe.

Scholz bekommt Schützenhilfe von links

Diese Befragung samt Meta-Ebene, was eine solche Meinungsänderung mit der politischen Glaubwürdigkeit mache, zog sich zunehmend zäh dahin, bis es dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner irgendwann zu bunt wurde. Man könne jetzt mal zu den Inhalten kommen, sagte er missmutig, und meinte damit vermutlich auch, man könne jetzt mal zu ihm kommen, schließlich war er zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht dran gewesen. So wie die anderen Gäste, Linken-Chefin Katja Kipping und die Wirtschaftswoche-Journalistin Elisabeth Niejahr, im Übrigen auch.

Im Zentrum der Debatte stand dann für den Rest der Sendung die Frage, ob Scholz und seine Partei derzeit eine Neiddebatte schürten. Nein, sagte der Finanzminister, das sei keine Neiddebatte, sondern eine "Gerechtigkeitsdiskussion". Für einen Dax-Vorstand mit 7,5 Millionen Euro Gehalt würde die komplette Soli-Abschaffung eine Steuerentlastung von 180.000 Euro bedeuten, rechnete Scholz vor. "Es gibt keinen Grund, alle zu entlasten." Dafür sei jetzt nicht die Zeit.

Wann, wenn nicht jetzt, fand dagegen Niejahr und verwies auf 50 Prozent höhere Steuereinnahmen als vor sechs Jahren. Und Lindner sagte: "Die paar Dax-Vorstände und Millionäre!" In Wahrheit gehe es doch um den Mittelstand, und überhaupt wolle Scholz bewusst Ressentiments schüren, indem er von Dax-Vorständen spreche, aber nicht von Fußballprofis oder Handwerkern. "Ich führe gerne mit Ihnen eine Gerechtigkeitsdiskussion", sagte Lindner dann noch, aber schon jetzt sorgten 50 Prozent der Steuerzahler für 90 Prozent des Steueraufkommens. "Das ist Umverteilung at its best, das können die Zuschauer googlen."

Scholz gab zu, dass auch er es besser fände, das verbleibende Soli-Aufkommen über eine Veränderung des Einkommensteuertarifs zu erwirtschaften. Aber für einen höheren Spitzensteuersatz gebe es nun mal kein Einvernehmen zwischen den drei Regierungsparteien.

Schützenhilfe bekam Scholz einzig von Linken-Chefin Kipping, und zwar gleich zwei Mal. So nannte sie es einen typischen FDP-Trick, über den Mittelstand zu reden, aber Multimillionäre zu meinen. Und gleich zu Beginn hatte sie betont, sie müsse Scholz in Schutz nehmen. Seine Steuervorschläge gingen wirklich nicht weiter als die der Linkspartei.

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