"Anne Will" zum Fall Nawalny:"Man darf sich auch nicht dümmer stellen als man ist"

Anne Will zum Fall Nawalny

Erregte Diskussion am Sonntagabend zum Fall Nawalny: Anne Will und ihre Gäste.

(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)

Linken-Politikerin Dağdelen spekuliert bei "Anne Will", ob nicht auch ein anderer Geheimdienst als ein russischer für den Giftanschlag auf Kreml-Kritiker Nawalny verantwortlich sein könnte. Die Reaktion ihrer Mitdiskutanten fällt harsch aus.

TV-Kritik von Frank Nienhuysen

Wolfgang Ischinger ist ein außergewöhnlich erfahrener Diplomat, der gelernt hat, sich nicht so leicht zu öffentlicher Entrüstung treiben zu lassen. Am Sonntagabend im ARD-Fernsehstudio aber war er machtlos. Sevim Dağdelen, die für die Partei Die Linke Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags ist, sorgte bei "Anne Will" für einen ungewöhnlichen Moment: Sie schaffte es, dass Ischinger sich aufregte.

"Was mich maßlos ärgert, ist der Versuch von Ihnen, Verwirrspiele zu spielen", sagte er. Und warf der Linken-Politikerin vor, im Fall Nawalny "Verschwörungstheorien Vorschub zu leisten". Ihre Unterstellungen seien "empörend", denn niemand in der Talkrunde habe "behauptet zu wissen, wer es war". Wer es war - das ist die Frage, auf die man im politischen Berlin gern dringend eine Antwort hätte: wer nämlich mit einem chemischen Kampfstoff den russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny so stark vergiftet hat, dass er in der Berliner Charité im Koma liegt.

Niemand hatte natürlich bei "Anne Will" auf diese Frage eine konkrete Antwort, auch Norbert Röttgen nicht, der sagte: "Es ist jedenfalls das System." Er meinte grundsätzlich das System Russlands von Präsident Wladimir Putin. Damit lieferte der CDU-Politiker die wohl wahrscheinlichste Erklärung - nur Dağdelen war nicht recht überzeugt. Sie hielt es als Einzige für völlig offen, ob nicht vielleicht ein anderer Geheimdienst als ein russischer bei Nawalnys Vergiftung seine Finger im Spiel gehabt haben könnte.

Es gibt nicht nur den Fall Nawalny

Wie sich das abgespielt haben sollte in Sibirien, während Nawalny dort von den russischen Sicherheitsbehörden beschattet wurde, hätte Anne Will ihren Gast durchaus fragen können. Das tat dann immerhin der Grünen-Politiker Jürgen Trittin, der an Dağdelen gerichtet sagte: "Man darf sich auch nicht dümmer stellen als man ist." Abgesehen von der Linken-Politikerin waren sich die Gäste weitgehend einig darin, dass die Debatte über eine mögliche scharfe Antwort an Russland auch deshalb so vehement geführt wird, weil es nicht nur den Fall Nawalny gibt.

Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, listete die Vergiftung von Sergej Skripal und seiner Tochter in Großbritannien auf, den Mord an einem Tschetschenen mit georgischer Staatsbürgerschaft in Berlin, den Hackerangriff auf den Deutschen Bundestag. Es gebe "eine ganze Abfolge von unerhörten Vorgängen", sagte Ischinger. Trittin erwähnte noch die Morde am russischen Ex-Vizepremier Boris Nemzow und der Journalistin Anna Politkowskaja und sprach von einem "System, in dem der politische Mord an Oppositionellen Tradition hat".

Nur, was folgt aus all dem, falls Russland den Fall Nawalny nicht zu klären hilft? Bundeskanzlerin Angela Merkel kommt so einfach nicht mehr aus der Sache raus, nachdem sie angekündigt hatte, die Welt werde auf Antworten warten. Was aber werden die Antworten sein? Über eine symbolische Ausweisung von Diplomaten oder Sanktionen gegen einzelne Personen wurde bei "Anne Will" erst gar nicht lange debattiert. Also ein Stopp der fast fertigen Ostsee-Pipeline Nord Stream 2?

Auch Deutschland käme nicht ungeschoren davon

Für Trittin zumindest ist sie ohnehin "überflüssig". Doch tatsächlich birgt diese Option ein Dilemma, das auch in der Talkrunde deutlich wurde: Denn auch Deutschland käme dabei nicht ungeschoren davon. Würde es den Preis bezahlen? Wills Gäste redeten ausführlich darüber, dass es eine klare, eine europäische Antwort an Russland geben müsse. Leider aber wurde nicht darüber diskutiert, ob eine klare Antwort auch Erfolg hätte. Dies wird - so der Eindruck - vorausgesetzt.

Doch in Russland geht es schon seit Längerem zunehmend um Machtsicherung, Moskau scheint bereit zu sein, dafür einiges auszuhalten. Für das grundsätzliche Verhältnis zu Russland blieb in der Debatte ebenfalls kaum Platz. Wolfgang Ischinger bedauerte dies offensichtlich sehr und ließ sich am Ende ungefragt darüber aus. Die Spannungen stimmten ihn "tieftraurig", betonte er. "Partnerschaft setzt Vertrauen voraus, und wenn wir solche Vorgänge haben, gibt's halt kein Vertrauen."

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