"Anne Will" nach den Landtagswahlen:Proteste gegen die "bürgerliche Volkspartei"

Gauland und Habeck bei Anne Will

Gauland und Habeck geraten bei "Anne Will" nur einmal aneinander.

(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)

Für Alexander Gauland ist die AfD eine solche. Nicht nur bei Anne Will sorgt das für Entrüstung, sondern auch, weil sich zuvor eine ARD-Moderatorin ähnlich äußerte.

TV-Kritik von Thomas Hummel

Bis zu dieser Sendung bei Anne Will ahnt niemand, dass Robert Habeck und Alexander Gauland offenbar ein Mindestmaß von gegenseitigem Respekt pflegen. Ausgerechnet. Zu Beginn denkt man: Oh, oh, jetzt setzt die Redaktion den Grünen und den Rechten nebeneinander, das geht nicht gut. Werden sie sich Anbrüllen? Beleidigen? Wenn in weiten Teilen dieses Landes gerade Wähler von Grünen und AfD an einem Tisch sitzen könnte man vermutlich für nichts garantieren, so vergiftet ist bisweilen die Atmosphäre. Doch dann stellt sich heraus: Gut, Habeck und Gauland mögen sich nicht. Aber auf einem doch recht sachlichen Niveau.

Nur einmal kracht es zwischen den beiden. Ein bisschen wenigstens. Zuerst spricht Gauland Habeck ab, bürgerlich zu sein. Nicht dem Habeck selbst, so viel Höflichkeit muss sein, aber den Grünen als Ganzes. Das bringt Habeck in Rage und er begeht einen Fehler, denn er sagt: Wer anderen abspreche, bürgerlich zu sein, sei selbst nicht bürgerlich. Dabei sprechen die anderen Parteien natürlich auch der AfD ab, bürgerlich zu sein. Und im Habeckschen Sinne würde das ja dazu führen, dass... Der eigentlich begabte Redner Robert Habeck merkt seinen Fehler wohl gleich, braucht aber kurz, um sich zu fangen. Gauland erklärt zum x-ten Male, er erfahre im Bundestag Ausgrenzung, man spreche ihm ab, Demokrat zu sein. Er richtet es sich so richtig schön im Opfermythos ein. Da appelliert Habeck: "Also jetzt keine Wehleidigkeiten." Immer austeilen und dann Mitleid einfordern, das sei nun wirklich albern.

Die beiden Landtagswahlen im Osten brachten im Vergleich zu den Wahlen fünf Jahre zuvor viele Verlierer hervor. Die Grünen haben ein bisschen gewonnen. Doch es verwundert niemanden, dass es bei "Anne Will" hauptsächlich um die AfD geht, bei Ergebnissen von mehr als 27 Prozent in Sachsen und mehr als 23 Prozent in Brandenburg. Entsprechend tritt Alexander Gauland, Fraktionsvorsitzender im Bundestag und Bundessprecher der Partei, auf: wie ein Sieger. Der noch größere Siege ankündigt. "Wir sind in keiner Weise am Zenit. Wir sind auf dem Weg, die bürgerliche Volkspartei zu werden. In Brandenburg sind wir es schon", sagt er. Da ist es wieder, das Streitwort des Abends: bürgerlich.

Der Begriff ist gerade jetzt wichtig, denn wer das Schild "bürgerlich" trägt, ist nicht radikal. Und damit regierungsfähig. So sprechen die Rechten den Grünen ab, bürgerlich zu sein, diese seien schließlich linksradikal. Nun ja, den Grünen kann man heutzutage sicherlich vieles nachsagen, aber linksradikal? Da muss sogar Reiner Haseloff, CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, kurz durchschnaufen. Er koaliert in seinem Bundesland mit den Grünen und sagt: "Im empfinde das als widerlich. Einen Partner so bezeichnen zu lassen. Ich möchte auch nicht so bezeichnet werden." Der Anwurf kam nämlich von den rechten CDU-Rebellen der Werte-Union, die lieber mit der AfD Politik machen würden. Aber vertritt die AfD bürgerliche Werte?

Schon am frühen Abend kam diese Frage auf, als ARD-Moderatorin Wiebke Binder nach der ersten Prognose dem CDU-Politiker Marco Wanderwitz vorrechnete: "Eine stabile Zweierkoalition, eine bürgerliche, wäre ja theoretisch mit der AfD möglich." Das führte zu erheblichen Irritationen in den Social-Media-Netzwerken, teilweise zu wildem Protest. Es folgte der nächste Aufreger-Moment von Binder, dann im Gespräch mit dem sächsischen AfD-Spitzenkandidaten Jörg Urban. Als der eine mediale Kampagne gegen seine Partei beklagte, sagte Binder: "Ich denke, wir haben sehr viel über die AfD berichtet, da war schon viel zu erzählen, und auch viel Unterschiedliches." Der grinsende Urban warf ein: "Positives." Woraufhin Binder sagte: "Positives, auf jeden Fall." Der MDR sah sich auf Twitter zu seiner Erklärung veranlasst: "Unter dem enormen Stress einer Live-Sendung bei einer solchen Doppelwahl mit ständig neuen Ergebnissen und wechselnden Konstellationen kann es zu Missverständnissen kommen und können Unschärfen passieren."

Gauland will die Revolte der CSU-Basis abwarten

Aber zurück zum Thema "bürgerlich". Bei Binder protestierte CDU-Mann Wanderwitz gegen diese Bezeichnung für die AfD, bei "Anne Will" folgte SPD-Co-Vorsitzende Manuela Schwesig. Haseloff erzählt davon, dass man der AfD bei ihm im sachsen-anhaltinischen Landtag nur zuhören müsse und man wisse, warum sie keinesfalls bürgerlich sei. Und der Grüne Habeck klärt auf: "Die Grenze, Herr Gauland, verläuft immer da, wo völkisches, ausgrenzendes Denken menschenverachtende Züge annimmt, und die wird permanent von ihren Leuten überschritten." Gauland protestiert, er könne mit dem Wort "völkisch" gar nichts anfangen.

Nun hat vor einem Jahr sogar das CSU-Blatt Bayernkurier der AfD die Bürgerlichkeit, zudem auch noch die Anständigkeit abgesprochen. CSU-Chef Markus Söder spricht davon, die AfD entwickle sich nur neuen NPD. Auch Gauland weiß, dass die Tendenz zum rechtsnationalen Gedankengut in seiner Partei eher zu- als abnimmt. Der Kampf um die Deutungshoheit in der Partei zwischen den eher gemäßigten Mitgliedern und dem völkisch-nationalen "Flügel", der vom Verfassungsschutz beobachtet wird, ist im vollem Gange. In Nordrhein-Westfalen und Bayern droht der Streit die Partei zu zerreißen, mit Andreas Kalbitz hat die Partei in Brandenburg einen Spitzenkandidaten, der früher mit Rechtsextremen und NPD-Funktionären verkehrte. Der Flügel will in der Partei mehr Macht, es droht spätestens nach der Wahl in Thüringen Ende Oktober (mit dem Spitzenkandidaten Björn Höcke) ein harter Richtungsstreit. Bürgerlich? Wird immer weniger.

Anne Will rechnet Gauland vor, dass selbst Teile der eigenen Anhängerschaft in Brandenburg (37 Prozent) und Sachsen (48 Prozent) meinen, die Partei distanziere sich nicht genug von rechtsextremen Positionen (die Frage, warum diese Anhänger ihre Partei dennoch wählen, wird leider nicht beantwortet). Gauland fühlt sich total missverstanden und gibt den Medien die Schuld an diesem Bild. "Wenn alle sagen, sie sind rechtsradikal, dann muss ja was dran sein." Wenn es unbequem wird, sind eben die anderen Schuld.

Ist Alexander Gauland aber an diesem Abend eh egal, denn er ist der Sieger. Weil die CDU in Sachsen mit Michael Kretschmer an der Spitze erklärt, sie wolle mit der AfD nichts zu tun haben, kommt vermutlich die sogenannte Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen. Das wird nicht ganz leicht werden, haben sich CDU und Grüne in Sachsen jahrzehntelang mehr angefeindet als sachlich miteinander diskutiert. Gauland versinkt bei der Vorstellung genüsslich im beigen Sessel. "Die Basis der sächsischen CDU wird das auf Dauer nicht mitmachen", orakelt er. Schwere Kompromisse mit den Grünen? "Auf diese Basis-Revolte warte ich. Wir können ganz ruhig und vernünftig darauf warten." Er klingt dabei wie einer, der sich seiner Sache äußerst gewiss ist.

Die Antwort kommt von Zeit-Journalist Martin Machowecz: "Wenn die Bürger das Gefühl haben, es gibt einen Block und der andere Block ist die AfD, dann macht das der AfD den Wahlkampf in fünf Jahren leicht." Die etablierten Parteien müssten jetzt was aus dem Ergebnis machen. Aber: "Das ist die erste und letzte Chance."

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