Anne Will:Herumeiern um das L-Wort

Anne Will

"Gelingt der Ampel-Start in der Corona-Krise?" - Christian Lindner, Annalena Baerbock, Manuela Schwesig, Anne Will, Jens Spahn und Melanie Amann diskutieren.

(Foto: NDR/Wolfgang Borrs/NDR/Wolfgang Borrs)

Keiner der Politiker will in der Talkrunde offen aussprechen, was womöglich unausweichlich ist: der nächste Lockdown. Vor allem FDP-Chef Christian Lindner gerät unter Druck. Aber er lässt erstmals ein Hintertürchen offen.

Von Peter Fahrenholz

Wenn Politiker unter Druck geraten, weichen sie gerne aus. Und in Sachen Corona steht die Politik unter Druck. Die alte Bundesregierung, allen voran ihr geschäftsführender Gesundheitsminister Jens Spahn, wegen der Versäumnisse des Sommers, die Länderchefs, die ebenfalls alle Warnungen der Experten ignoriert haben, wer hätte denn auch voraussehen können, dass es wirklich so kommt? Und die neuen Ampel-Leute, die noch vor Regierungsantritt die epidemische Notlage beendet haben und sich damit selbst in eine Notlage gebracht haben. Aus der finden sie nur schwer heraus, was vor allem an der FDP liegt, deren Lernkurve mit den Infektionszahlen leider nicht Schritt hält.

In der gegenwärtigen dramatischen Corona-Lage gibt es vor allem zwei Reizworte. Das eine ist die Impfpflicht. Um die geht es bei Anne Will dieses Mal nicht. Es geht um das andere Reizwort, nennen wir es mal das L-Wort, weil es die Gäste, die mit einer Ausnahme alle aus der Politik kommen, so ungern in den Mund nehmen. Noch-Gesundheitsminister Jens Spahn meidet es seit Tagen konsequent, er fordert in der Runde mit einer Verve, die er vor ein paar Wochen noch nicht an den Tag gelegt hat, "Maßnahmen, die massiv die Kontakte reduzieren".

Talkmasterin Anne Will will es genauer wissen und hakt nach. Ob es in Spahns Augen einen bundesweiten Lockdown brauche. Spahn windet sich. "Ich bin auf jeden Fall dafür, dass wir bundesweit Kontakte reduzieren." Manuela Schwesig, die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, zählt auf, was ihr Bundesland schon alles macht (im Gegensatz zu anderen, wie sie nicht vergisst, zu erwähnen). Man setze jetzt "praktisch einen Lockdown für Ungeimpfte um". Später wiederholt Schwesig noch einmal, was für Ungeimpfte in ihrem Land nicht mehr möglich ist und wieder ist Will auf dem Posten. "Das trifft auch Geimpfte", wendet sie ein. "Ja, das trifft auch Geimpfte", gibt Schwesig zu.

Am schwersten hat es in Sachen Corona derzeit die FDP, die monatelang gut damit gefahren ist, alle möglichen Maßnahmen der bisherigen Bundesregierung als unverhältnismäßig zu geißeln und sich jetzt, wie man so schön sagt, dem Realitätscheck stellen muss. Gut, dass sie wenigstens nicht ihren Vize Wolfgang Kubicki in die Sendung geschickt hat, der momentan den Schaden für seine Partei in der Corona-Debatte praktisch mit jedem Wort weiter vergrößert.

"Da geht ja auch ein Schaden von Lockdowns aus"

Aber auch FDP-Chef Christian Lindner, der seine Kontrahenten gern mit oft schneidender Rhetorik in die Defensive drängt, steckt dort diesmal selber fest. Lindner erzählt, als er das Wort bekommt, als Erstes eine persönliche Geschichte. Wie er vor einer Apotheke in der Schlange gestanden habe, um sich testen zu lassen. Und wie ihn dort eine Geschäftsinhaberin aus der Nachbarschaft angesprochen habe. Einen erneuten Lockdown werde ihr Geschäft nicht überleben, habe sie erzählt. "Da geht ja auch ein Schaden von Lockdowns aus", sagt Lindner.

Aber Lindner ist Profi genug, um rechtzeitig Rückzugslinien anzudeuten. Am Dienstag entscheidet das Bundesverfassungsgericht über die Notbremse der alten Regierung mit ihren massiven Einschränkungen. Die Ampel will diese Entscheidung abwarten und nicht wenige bei SPD und Grünen dürften darauf hoffen, dass das Urteil die FDP dazu zwingt, sich zu bewegen. Lindner drückt das für seine Verhältnisse sehr umständlich aus. Im Zuge des Urteils werde der weitere Gang der Maßnahmen festgelegt werden. Wenig später fügt er hinzu, sollten weitere Maßnahmen erforderlich sein "ist der Bundestag jederzeit voll handlungsfähig". Das L-Wort spricht der FDP-Chef nicht aus, aber ein Hintertürchen macht er auf.

Während Spahn, Schwesig und die Grünen Co-Chefin Annalena Baerbock nicht groß in den Wunden der FDP herumbohren, greift die Spiegel-Journalistin Melanie Amann die Liberalen frontal an. Mitten in einer Notlage schaffe die künftige Regierung die Notlage ab und schließe mit ihrem neuen Gesetz bestimmte Maßnahmen ganz aus. "Einfach komplett etwas auszuschließen, das ist FDP-Ideologie", hält sie Lindner vor.

Doch noch bevor der sich aufplustern kann, kommt ihm seine neue Partnerin Baerbock zu Hilfe. Es sei doch vernünftig, zu korrigieren, was sich nicht bewährt habe. Etwa das Joggen zu verbieten. Oder Schulschließungen künftig zu verhindern. Immerhin, die politischen Reflexe der neuen Ampel-Freunde funktionieren. Als Regierung hält man zusammen, selbst wenn man belämmert dasteht.

Will lässt dann noch einen Einspieler laufen, in dem die sächsische Sozialministerin Petra Köpping (SPD) auf die Frage, ob es einen erneuten Lockdown geben müsse, sagt, jeder der eine andere Maßnahme kenne, möge sie ihr doch bitte nennen. Ihre Parteifreundin Schwesig beruhigt sie via Talkshow. "Ich bin sicher, wenn die Länder sagen, wir brauchen mehr, dass die Bundesregierung mehr ermöglichen wird." Das L-Wort spricht auch Schwesig nicht aus.

Anne Will: Peter Fahrenholz wünscht sich, dass Talkshows nicht immer dieselben Gäste einladen. Denn politische Diskussionen brauchen spannende Argumente statt altbekannter Standpunkte.

Peter Fahrenholz wünscht sich, dass Talkshows nicht immer dieselben Gäste einladen. Denn politische Diskussionen brauchen spannende Argumente statt altbekannter Standpunkte.

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