Süddeutsche Zeitung

"Wer stiehlt mir die Show?":Gott schütze Anke Engelke

Die Entertainerin bringt mit einer ESC-Parodie Pro Sieben zum Leuchten. Eine Verneigung aus nicht nur diesem aktuellen Anlass.

Von Cornelius Pollmer

Wer den Namen "Peter Urban" liest, hat sofort eine Stimme im Kopf. Am Dienstagabend ist diese Stimme zu hören, überraschenderweise im deutschen Privatfernsehen, zur Eröffnung des Formats "Wer stiehlt mir die Show?" auf Pro Sieben. Die Eurovisionsmelodie wird gespielt, animierte Farbbänder hechten durchs Bild. Dann spricht Urban: "Berlin ist heute der Austragungsort für den ganz großen Traum dieser jungen Frau - Anke Engelke aus Montreal, Kanada."

Schon der nun folgende Einspieler ist von solcher Liebe fürs Fernsehen getragen, dass man daheim im Wohnzimmer aufstehen und applaudieren möchte, auch wenn die Nachbarn aus dem Haus gegenüber sich dann sicher wieder Sorgen machen. Anke Engelke meditiert an einem Flussufer, sie zieht herzförmige Seifenblasen, sie radelt lächelnd allein durch einen herbstlichen Park und winkt dabei, vermutlich ins Nichts. So geht es fort, und am Ende des Films sitzt Engelke auf einer Bank, Kopfhörer auf. Sie wiegt den Kopf versonnen und schaut in so originaler Weise geistesstarr in den Himmel, dass es von einem echten "Kandidaten stellen sich vor"-Einspieler beim European Song Contest kaum zu unterscheiden ist.

Und dann, dann geht es ja erst richtig los. Dieser Fake-ESC steht unter dem Motto "Give brain a chance", weitere Farbbänder hechten durchs Bild, das Bunte vertreibt tatsächlich ein paar Takte lang mal wieder das Böse. Tribal-Beats kommen hinzu, die Kamera fährt über das Publikum, darin, natürlich: Fähnchen ohne Ende. Auftritt Engelke, eingehüllt in deutschlandrote Flaggenseide: "Good evening Europe, welcome to ,Wer stiehlt mir die Show?' ... hello Europe, hello Australia, 180 Millionen people are watching right now ... my name is Änki Ängelicki and I think we should start the Show right away."

Die Abteilung Spezialeffekte haut alles raus, was sie zur Verfügung hat

Weitere fünf Minuten später hat Engelke den roten Stoff genauso abgeworfen wie das glitzergoldene Kleid darunter, unter dem sich wiederum ein drittes in Blau verborgen hatte. Sie hat mit Conchita Wurst eine Abwandlung von "Rise Like a Phoenix" gesungen, während die Produktion von Bodennebel bis Feuerkanonen fast alles abgefeuert hat, was die Abteilung Spezialeffekte so hergibt.

Spätestens an dieser Stelle müssen alle mal kurz durchatmen und Luft holen in Folge vier der dritten Staffel des sehr zeitgemäßen Formats "Wer stiehlt mir die Show?" von Joko Winterscheidt und der Florida TV. Bei dieser Quizshow können die prominenten Kandidaten im Wechsel die Hauptmoderation der jeweils nächsten Episode derselben Sendung gewinnen, und das funktioniert seit einer Weile schon ziemlich gut. Über den gleich bleibenden Rahmen der Show erfolgt eine gewisse Markenbildung und -bindung. Gleichzeitig aber ist die ständige Erneuerung der Show bereits im Konzept angelegt. Jede Folge hat einen gewissen Projekt- und Eventcharakter, und das ist sehr schlau im Sinne der gnadenlosen Aufmerksamkeitsökonomie, in der sich alles Bekannte ständig von einer neuen Treulosigkeit des Publikums bedroht sehen muss.

Am Dienstag funktionierte "Wer stiehlt mir die Show?" für Pro Sieben besonders gut: 24,1 Prozent Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen, Marktführung und Reichweitensieger zur Prime Time. Das hat dann natürlich auch etwas zu tun mit einer der wenigen Königinnen des deutschen Fernsehens, Anke Engelke.

Als Zuschauer ist man der humorbegabten, gesangstalentierten, showerfahrenen Engelke schon dankbar dafür, dass sie ihre öffentlichen Einsätze sehr genau auswählt. Allein ihre schiere Teilnahme an einem Format ist in der Regel wie ein verlässliches TÜV-Siegel, ausgestellt und aufgepappt durch den TV-Überwachungsverein Engelke. Das war zuletzt schon so beim sehr guten Amazon-Format "LOL: Last One Laughing", und es ist nicht anders bei "Wer stiehlt mir die Show?".

Florida TV stellt Fernsehen mit großem Showtreppenfaktor her

Die Show stiehlt damit im Übrigen auch Pro Sieben dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Während unter Innovation dort noch immer auch verstanden wird, an einem Furzkissen-Format wie "Verstehen Sie Spaß?" festzuhalten, es jetzt aber von Barbara Schöneberger moderieren zu lassen, sieht man nicht nur in dem hier besprochenen Format der Florida TV einen anderen Ansatz.

Hier stellt eine neue Generation von Menschen immer wieder sehr gutes Unterhaltungsfernsehen mit großem Showtreppenfaktor her, und es vertraut dabei auf neue interessante Köpfe wie Shirin David genauso wie auf Show- und Säulenheilige wie Bastian Pastewka oder eben Anke Engelke. Diese hat am Dienstag übrigens noch in möglicherweise sogar richtigem Polnisch Punkte verteilt und als Marge Simpson gesprochen. Gott schütze bitte alle Menschen, und ganz besonders schütze er Anke Engelke.

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