Anja-Niedringhaus-Preis für Heidi Levine:In der Sprache der Frauen

Sie verlor ihr Leben bei dem Versuch, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Die Kriegsfotografin Anja Niedringhaus fiel im April 2014 einem afghanischen Attentäter zum Opfer. Ein nach ihr benannter Preis ging nun an ihre Kollegin Heidi Levine. Auch deren Mut ist gewaltig.

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(Foto: dpa)

Zwei Frauen mit demselben Drang, uns die Augen zu öffnen: Heidi Levine (hier im September 2010 in Jerusalem) ...

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(Foto: obs/IWMF International Women's Media Foundation)

...und Anja Niedringhaus (hier links im Bild in Falludscha, Irak, 2004) berichteten beide seit Jahrzehnten als Kriegsfotografinnen von dort, wo es am gefährlichsten ist. Während gemeinsamer Einsätze im Nahen Osten lernten sie sich kennen und schätzen, doch sie wurden auf tragische Weise auseinandergerissen: Niedringhaus fiel im April 2014 in Afghanistan einem Attentat zum Opfer. An einer Straßensperre wurde sie von einem afghanischen Polizisten erschossen, der später angab, aus Rache für den Tod von Familienangehörigen bei einem Nato-Bombardement gehandelt zu haben. "Anja war eine Fotojournalistin und eine Frau, die ich bewundert und respektiert habe. Ich habe sie oft bei der Arbeit unter extremen Bedingungen um Rat gefragt. Wir hatten eine starke berufliche Verbundenheit und Vertrauen zueinander(...). Wir vermissen sie alle sehr", sagt Levine über ihre Kollegin. Niedringhaus, die 2005 als erste deutsche Fotografin mit neun weiteren Journalisten der amerikanischen Nachrichtenagentur AP den Pulitzer-Preis für ihre Berichterstattung aus dem Irak erhielt, fehlt den Kollegen sehr. Um sie in Erinnerung zu behalten, stiftete die International Women's Media Foundation (IWMF) in diesem Jahr erstmals den "Anja-Niedringhaus-Preis für Mut im Fotojournalismus", der mit 20 000 US-Dollar dotiert ist. Erste Preisträgerin ist ...

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(Foto: Nasser Shaouki/AP)

... Heidi Levine, deren persönliches Engagement die Jury für besonders preiswürdig hält. Die US-Amerikanerin zog 1983 von Boston nach Israel, um für die US-Nachrichtenagentur AP zu arbeiten. Zehn Jahre später kam die französische Fotoagentur Sipa Press als weiterer Auftraggeber hinzu. Ein jüdischer Siedler (Mitte) attackiert 1999 Heidi Levine (links) in Hebron im Westjordanland, während sie versucht, zu fotografieren.

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(Foto: dpa)

Seit Jahren lebt Levine mit ihren drei Kindern in Jerusalem. Als im vergangenen Jahr vor ihrer Haustür ... Heidi Levine 2004 in Kabul.

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(Foto: Ashraf Al Masri)

... der Gazakrieg entbrannte, zögerte Levine keinen Moment lang, Bilder aus dem Küstenstreifen zu liefern, während dieser von der israelischen Luftwaffe bombardiert wurde. Sie sehe sich denselben Gefahren ausgesetzt wie ihre Motive, von Raketenbeschuss und Luftangriffen permanent an die Bedrohung erinnert, schrieb die IWMF-Jury zur Begründung ihrer Entscheidung. Heidi Levine im Gaza-Streifen.

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(Foto: Lefteris Pitarakis/AP)

"Im Gegensatz zu anderen Journalisten, die nach ihren Recherchen in ein Flugzeug steigen, das sie in die sichere Heimat bringt", so die Jury, "ist Heidi Levine selbst ein Teil einer bedrohten Gemeinschaft. Als solcher zeigt sie tiefe Besorgnis für ihr Umfeld. Ihren palästinensischen Fahrer brachte sie beispielsweise in Schutz - einige Tage bevor dessen Haus in Schutt und Asche gebombt wurde." Heidi Levine (links) tröstet ihren Fahrer Ashraf Al Masri, der weinend vor dem zerstörten Haus seiner Familie in Gaza-Stadt steht.

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(Foto: Heidi Levine/The National/Sipa Press)

Es sei eine große Ehre für sie, einen Preis für Mut zu bekommen, sagte Levine dem Spiegel. "Gleichzeitig zerreißt es mir das Herz." Auf die Frage, ob Mut eine Voraussetzung sei, gute Fotos zu machen, antwortete sie: "Es braucht Mut, sich in bestimmte gefährliche Situationen zu bringen, genauso wie es Mut erfordert, in anderen Situationen Nein zu sagen." Palästinenser fliehen in Gaza-Stadt mit einer weißen Flagge vor dem Beschuss durch die israelische Luftwaffe. Nach Angaben der Vereinten Nationen forderte Israels Operation Protective Edge 2101 Todesopfer auf palästinensischer Seite, davon 1460 Zivilisten, von denen mehr als ein Drittel Kinder waren.

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(Foto: Heidi Levine/The National/Sipa Press)

Mit der Vorstellung, dass es als Frau schwierig sein muss, aus einem islamischen Konfliktgebiet zu berichten, räumt Levine auf. Sie sei nur selten Einschränkungen wegen ihres Geschlechts unterworfen, sagte sie dem Wall Street Journal. Vielmehr sei sie mitunter sogar im Vorteil gegenüber Männern. "Als Frau war es mir oft möglich, ganz unvermittelt eine Verbindung zu den Frauen aufzubauen, deren Schicksal ich dokumentierte. Türen wurden mir geöffnet, die Männern verschlossen blieben. Manchmal fühlt es sich so an, als ob wir Frauen unsere eigene Sprache haben, die auf Bindung, Vertrauen und Verständnis beruht." Palästinensische Frauen trauern im Juli 2014 um ihre Söhne, die während eines Artilleriebeschusses durch die israelische Marine ums Leben kamen.

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(Foto: Heidi Levine/The National/Sipa Press)

Doch einen Interessenskonflikt spüren weibliche Kriegsreporter fast immer deutlicher als ihre männlichen Kollegen: die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Heidi Levins Kollegin Stephanie Sinclair sagt dazu: "Speziell die Frauen überlegen: Wollen wir wirklich auf Kinder verzichten? Viele von uns, die über Kriege und Konflikte berichten, müssen sich diesen Fragen stellen. Es ist schon was anderes, wenn man für Monate vom Radar verschwindet." Levine hat die Frage klar für sich entschieden. Sie will beides: Mutterschaft und Beruf. Auch wenn es nicht immer einfach sei, die Balance zwischen beiden Sphären zu halten. Palästinensische Jugendliche bergen aus den Trümmern der Al-Qassam Moschee in Gaza religiöse Schriften. Zwei Tage davor hatte die israelische Luftwaffe allein an einem Tag 30 Angriffe geflogen.

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(Foto: Heidi Levine/The National/Sipa Press)

An ihre drei Kinder denke sie unentwegt, sagte Heidi Levine dem Spiegel. "Meine Tochter sagte mit viel schwarzem Humor zu mir, bevor ich zu meinem letzten Einsatz in Syrien aufbrach: 'Ich bringe Dich um, wenn Du umkommst und nicht zu meiner Hochzeit kommen kannst.'" Eine junge Frau im Juli 2014 im Krankenhaus von Gaza-Stadt: Zwei Angriffe der israelischen Luftwaffe auf die Wohnung ihrer Familie verwundeten sie schwer an den Beinen, der rechte Hand und im Gesicht. Drei Cousins und ihre Schwester starben bei dem Angriff.

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