Süddeutsche Zeitung

Schauspieler Álvaro Morte:"Wir wollen niemandem erklären, wie er zu lieben hat"

Nach "Haus des Geldes" ist Álvaro Morte in "The Pier" zu sehen - die Geschichte einer Dreiecksbeziehung. Ein Gespräch über Charisma, Betrug und den Rat, die Serie nicht am Stück zu schauen.

Interview von Claudia Tieschky

Álvaro Morte hofft, dass die Telefonverbindung hält, wenn er gleich ins Auto steigt. Er spricht über seine Rolle als Óscar in der neuen Serie The Pier, die von 30. November an bei Joyn Plus läuft. Er spielt einen Mann, der zwei Frauen liebt und zwei Leben führt. Natürlich hält die Verbindung.

SZ: Die meisten Zuschauer kennen Sie als "El Profesor" aus der Serie Haus des Geldes. Die war ein enormer Erfolg. Und Sie sind der Mann, der die Strippen zieht und alles kontrolliert. Werden Sie auf der Straße erkannt?

Álvaro Morte: Auf der ganzen Welt! Das ist eine verrückte Sache, du machst eine Serie in Spanien und dann gingen wir beim Dreh für die dritte Staffel in Thailand die Straße runter und jeder dort kannte uns. So ist das auf der ganzen Welt. Ich bin in London in Chinatown spazieren gegangen und alle zwanzig Schritte sprach mich jemand an, aus Australien, Dakar, Argentinien, Kanada, Polen. Es ist abgefahren, dass dich alle anschauen, als ob sie dich kennen, weil sie dich im Fernsehen gesehen haben und mitgefiebert haben. Aber du kennst sie nicht.

Was glauben Sie erwarten die Leute von Ihnen, wenn sie Sie sehen?

Die Sache ist die: Der Professor ist ein sehr angenehmer Charakter, ein hübscher Typ, total schlau und er hat dieses Charisma, das die Leute auf seine Seite zieht. Das wollten wir genau so, aber wir wollten es mit kleinen Dingen erzielen. Der Professor ist nicht George Clooney in Ocean's Eleven, der sagt, "Leute, los, kommt mit, wir rauben jetzt die Bank aus". Er ist eine kleine Person, er ist schüchtern und doch hat er dieses immense Charisma. Und deshalb sind die Leute beinahe vorsichtig, wenn sie sich mir auf der Straße nähern. Sie zeigen eine Menge Respekt. Ich arbeitete mal in einer spanischen Soap, ich war der Doktor. Die Leute kamen: Hey, du bist der Doktor! Und jetzt sagen sie: Hey, du bist Álvaro Morte. Sie bemerken die Arbeit, die der Schauspieler leistet, um diese Person zu schaffen. Das ist sehr schön.

Für The Pier haben sie mit dem gleichen Showrunner gearbeitet wie bei Haus des Geldes, mit Álex Pina und seiner Frau Esther Martínez Lobato. Aber jetzt spielen Sie Óscar, einen Mann, der ein Doppelleben führt und der bei seinem Tod zwei Frauen hinterlässt. Hat Álex Pina zu ihnen gesagt: Hör zu, wir machen mal Urlaub vom antikapitalistischen Bandentum und drehen zur Entspannung etwas, das mit Liebe und schöner Landschaft zu tun hat?

Ein kleines bisschen war es so. Er rief mich an und sagte, ich möchte wieder mit dir arbeiten, in einem neuen Projekt. Ich möchte, dass du eine sehr, sehr schwierige Sache spielst: einen Mann, der gleichzeitig in zwei Frauen verliebt ist. Er ist verheiratet, aber kann nichts dagegen tun, dass er sich total in diese andere Frau verliebt. Aber er ist auch in seine Frau verliebt. Er betrügt sie nicht einfach so. Er leidet ganz schön, weil er weiß, dass es nicht richtig ist, was er tut, aber er kann es nicht ändern. Er ist ein (lacht herzhaft) Opfer der Liebe. Also, Álex Pina rief mich an und sagte, ich biete dir diese sehr schwierige Sache an - denn ich möchte, dass die Zuschauer diesen Typen verstehen und ihn nicht verdammen. Ich meine, klar, die erste Redaktion von jedem, der von diesem Typen hört, der seine Frau betrügt, wäre doch: was für ein Aschloch. Und das wollte Álex Pina verändern. Wir wollten über die unterschiedlichen Arten von Liebe reden. Ich liebe solche Herausforderungen. Also sagte ich okay, ich bin dabei.

Man könnte sagen, Haus des Geldes ist auch eine moralische Erzählung über Sabotage am Kapitalismus. Gibt es einen moralischen Kern in The Pier?

Das wichtigste ist: Wir wollen niemandem erklären, wie er zu lieben hat. Wir reden einfach über dieses Thema. Wir legen eine Konstellation auf den Tisch - und es wäre toll, wenn das Publikum darüber nachdenken würde. Wir fänden es auch wunderbar, wenn die Leute The Pier nicht binge-watchen, sondern wenn sie eine Episode schauen, darüber reden, vielleicht beim Abendessen mit ihrem Partner oder ihren Freunden. Hey, hast du schon mal von jemandem gehört, dem sowas passiert ist, oder ist das dir schon passiert, oder was hältst du davon? Ich meine, man liebt Vater und Mutter gleich - und keiner findet das falsch. Aber in der Partnerschaft herrscht die Vorstellung: Ich will diesen Menschen nur für mich allein und ihn mit niemandem teilen. Und noch etwas: Óscar liebt beide auf völlig unterschiedliche Art. Er liebt nicht nur diese Frauen, sondern das ganze Universum, für das sie stehen. Verónica verkörpert eine neue Welt für ihn.

Abgesehen davon, dass es eine Männerphantasie ist, zwei Frauen zu haben.

Ich denke, das ist nicht auf Männer beschränkt, es ist eine sexuelle Fantasie. Hier könnte es eine männliche Fantasie sein. Nur: Álex Pina wollte unbedingt von diesen beiden Frauen erzählen. Er wollte, dass die Frauen seine Hauptfiguren sind. Ich sterbe in Folge eins! Und dann geht es um sie. Ich bin nur Rückblende.

Ist Óscar eine schwache Person, ein schwacher Mann, weil er sich nicht entscheiden kann?

Ich glaube, Óscar ist ein mutiger Mann, aber er hat Schwächen, wie wir alle. Keiner ist immer total mutig. Oder total schwach. Es gibt Situationen, in denen wir uns selbstbewusster und wohler fühlen, und andere, in denen wir es nicht tun. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese zwei selbstbewussten, starken, schlauen Frauen sich so sehr in einen schwachen Mann verlieben würden.

Alejandra und Verónica sind zwei gegensätzliche Frauen, beide sind durchsetzungsfähig und folgen ihrem eigenen Kopf. Aber es sind auch zwei Lebensentwürfe - das spontane, aber eher karge Leben, altmodische Leben mitten in der Natur und das urbane Leben der modernen Zeit. Welche Variante würden Sie selber bevorzugen?

Ich lebe in der Großstadt. Ich könnte nie in einem Dorf leben. Nur muss ich manchmal raus, da brauche ich Ruhe und Entspannung. Die Stadt bietet so viele kulturelle Angebote, ich kann in einer kleinen Ortschaft nicht ins Theater gehen. Ich lebe in der Großstadt, aber einem Vorort, ich habe kleine Kinder, mit ihnen würde ich nicht im Zentrum wohnen wollen. So ist mein Leben.

Nachdem Sie diese Rolle gespielt haben: Was raten Sie einem verheirateten Mann, dem wie Óscar beim Baden die Kleider gestohlen werden, wenn so er nackt einer unwiderstehlichen Frau begegnet?

Nun... Óscar stirbt am Ende! Also schwierig, da einen Rat zu geben. Ich würde vielleicht sagen, übrigens auch zu Óscar: Stell dich deiner Wirklichkeit, sei ehrlich zu dir selbst. Und wenn die Leute um dich herum das nicht verstehen, ist es okay, vergiss es. Alles das ist passiert, weil Óscar fürchtete, dass Alejandra diese Dinge nie verstehen würde. Aber am Ende zeigt sich, dass sie alles versteht. Gut, das Raffinierte daran ist, dass sie es vielleicht versteht, weil er ja schon tot ist, also man weiß es nicht. Ich könnte keinen Rat geben.

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Quelle:
SZ vom 29.11.2019
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