Helmut Schmidt war also im Fernsehen. Ehemaliger Bundeskanzler, 96 Jahre alt - und nein, hier soll es nicht um die Zigaretten gehen. Obwohl es naheliegend wäre. Von den Zigaretten ist es nicht weit zum Lagerfeuer und vom Lagerfeuer nicht weit zu den seltsamen Fernsehritualen der Deutschen und zu der Frage: Warum ist das eigentlich so, dass sich ein nicht unbeträchtlicher Teil der Bevölkerung gerne von einem sehr alten Ex-Politiker das Leben, die Welt, Politik und die Liebe erklären lässt?
Zwiegespräch am Dienstagabend: Helmut Schmidt war der einzige Gast von Sandra Maischberger.
(Foto: dpa)Klar, allein die Vorstellung, dass da ein Mensch beinahe das komplette vergangene Jahrhundert gesehen, miterlebt und zum Teil politisch mitgestaltet hat - diese Vorstellung reicht vermutlich schon aus, der Sendung trotz der fußballbedingten späten Ausstrahlung gute Quoten zu bescheren.
Wie war das zum Beispiel damals, unter Hitler in Deutschland? War Schmidt ein Geläuterter? Ein Mitläufer? Im inneren Exil? Oder doch ein Sympathisant, wie immer wieder gemunkelt wird? Letzteres nennt Schmidt "dummes Zeug", ansonsten beschreibt er seine Rolle knapp. "Ich habe meine Pflicht als Soldat erfüllt", sagt er. Mut zum Widerstand habe er nicht gehabt, von den Vernichtungslagern habe er nichts gewusst. "Ich glaube es fällt heutigen Menschen nicht ganz leicht, sich in die Lage eines Menschen zu versetzen, der zu Beginn der Nazi-Zeit noch ein Kind war", sagt Schmidt.
Das ist wahr. Nur ist ein Fernsehinterview mit ihm, dem inzwischen 96-jährigen ehemaligen Wehrmachtsoffizier, ganz offenkundig auch nicht dazu geeignet, daran etwas zu ändern. Als es einmal nicht um ihn persönlich geht, sagt Schmidt etwa den schönen Satz: "Das Bereuen der eigenen Rolle im Krieg ist eine sehr menschliche, im Grunde beglückende Erfahrung." Wie sich diese Erfahrung anfühlt, das wäre ein spannendes Thema gewesen, auf das Schmidt jedoch nicht einsteigt, egal, wie sehr Maischberger auch bohrt.
Viele große Fragen feuert Maischberger immer schneller ab
Überhaupt ist er, der kürzlich eine sehr persönliche Autobiografie vorlegte, sparsam mit seine Gefühlen. In seinem Buch schreibt er von einer Affäre, die er während der langen Ehe mit Loki hatte. Wolle er damit zeigen, dass selbst ein bundesdeutsches Vorzeigepaar schwierige Zeiten hat, legt ihm Moderatorin Maischberger die nächste Frage vor. "Diese sogenannte Krise liegt auch 40 Jahre mindestens zurück", bügelt er sie ab. Warum hat er überhaupt darüber geschrieben? Die Antwort: Damit es nicht andere tun. "Lassen sich die Menschen heute zu früh scheiden?", versucht es Maischberger noch einmal. "Jedenfalls lassen sich heute wesentlich mehr Menschen scheiden, als es zu meiner Zeit üblich war."
Viele große Fragen feuert Sandra Maischberger im Verlauf ihrer Sendung immer schneller in Richtung Schmidt ab, der sich dem Tempo konsequent entzieht. Manchmal blickt er die Moderatorin einfach an, wie eine halbe Ewigkeit wirkt das in so einer Fernsehumgebung. Und ganz in der Tradition des mystischen Orakels kommt so gut wie nie eine Antwort raus, die als Nachrichtenzeile taugen würde.
Das wird insbesondere in Maischbergers Versuch klar, von Schmidt Antworten auf die drängendsten Probleme der Gegenwart oder auch nur Kommentare zu den tagespolitischen Klatschgeschichten zu bekommen. Welche Krise ist die schlimmste - Euro, Ukraine oder die Bedrohung durch den Islamismus? "Die sind alle in gleicher Weise vordringlich."
Sind die griechischen Reparationsforderungen an Deutschland berechtigt? "Jedenfalls muss man sie zur Kenntnis nehmen." Soll Bundespräsident Joachim Gauck zu einer zweiten Amtszeit antreten? "Aus heutiger Sicht: ja." Vermisst er die FDP im Bundestag? "Nicht sonderlich." Wer wird Kanzlerkandidat der SPD? "Das ist momentan nicht aktuell." Ist die AfD eine vorübergehende Erscheinung? "Die ... Wie heißen die? Ach ja. Sie sind nicht lebensgefährlich, aber unerfreulich."